Mittwoch, Oktober 2

Der IT-Sektor bleibt im Rampenlicht. Allerdings sind längst nicht alle Vertreter gleich stark. Überzeugen können vor allem Halbleiterwerte.

Einige aufsehenerregende Kursbewegungen haben den Technologiesektor ins Rampenlicht gezerrt. Doch Technologie ist nicht gleich Technologie.

Der MSCI Information Technology besteht aus sechs Industrien. Zwei weisen neutrale Werte zum Sektorindex auf. Es sind dies Communications Equipment und Electronic Equipment.

Die drei grössten Industrien, Semiconductors, Software und IT Services, unterscheiden sich deutlich voneinander. Dazu einige Kennziffern:

Schliesslich gibt es noch eine kleine Industrie, Technology Hardware, in der ein Schwergewicht die einzige Konstituente ist, die seit elf Monaten relativ schwach zum Sektor notiert, und das ist Apple.

Der MSCI Information Technology weist eine leichte relative Stärke zum MSCI Welt auf.

Konsolidierung in Semiconductors

Anders Semiconductors mit einer deutlichen relativen Stärke. So zeige ich die gleiche Darstellung, die in meiner Kolumne vom 24.11.2022 erschienen ist. Sie hörte damals bei der grün gestrichelten vertikalen Linie auf:

Die Grafik stellt den DJ US Semiconductors dar, in dem die grösste Kapitalisierung der Industrie versammelt ist. Das erste untere Fenster zeigt dessen relative Stärke zum MSCI Welt, das zweite zum DJ US Technology Sector Index, das dritte zum DJ US Technology Software und das vierte zum S&P Global Information Technology Index. Seit Ende November 2022 bis zum vergangenen Freitag hat der DJ US Semiconductors 167,2% gewonnen.

Es ist die einzige Industrie, die tendenziell eine Blase bildet.

Das entscheidende Entgiftungsmittel bei Blasenbildungen, die zu den profitabelsten Vorgängen gehören, sind sporadische Konsolidierungen. Vor Monatsfrist befanden sich 59% der Konstituenten der Halbleiterindustrie in einer Konsolidierung. Derzeit sind es wie oben ausgeführt 32%.

Semiconductors mit dem IT-Sektor gleichzusetzen wäre ein Fehler. Was sonst im Sektor geschieht, hat kaum Einfluss auf diese Industrie. Sie weist einen hohen Grad an Autonomie auf, weil in ihr Aktien von Unternehmen versammelt sind, die in der heutigen Zeit transformativ sind.

Die Mikrostruktur des Marktes berücksichtigen

An dieser Stelle sollte auch die Mikrostruktur des Marktes nicht ausser Acht gelassen werden.

Abgesehen von der Digitalisierung und der damit einhergehenden starken Zunahme der verarbeiteten Datenmenge spielen vor allem zwei Veränderungen eine grosse Rolle: Die Zunahme der institutionellen Anleger und die Akademisierung der Akteure.

Institutionelle Anleger zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine stringente Strategie verfolgen mit Allokationsquoten, die nur träge verändert werden.

Überdies wird der grösste Teil des Vermögens passiv angelegt. Beides begünstigt Trends und Kapitalisierung. Rebalancing in Aktien mit hohem Momentum und ebensolcher Kapitalisierung kann ein Karriererisiko bei angestellten Asset Managern bedeuten.

Interessant ist die Entwicklung auf akademischer Ebene. Von Eugene Fama über Robert Shiller bis Andrew Lo hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass die Erfolgsfaktoren Momentum, Volatilität und Qualität sind.

Fast alle Institutionellen haben eine Aktienquote in Ergänzung zur passiv veranlagten Masse. Die akademisch geschulten Verantwortlichen institutioneller Portfolios setzen diese drei Faktoren ein. Dabei dürfte die Quantifizierung des Qualitätsfaktors zwischen den verschiedenen Akteuren am stärksten variieren. Aber auch die aktive Quote weist eine Tendenz zur Gleichgerichtetheit auf, da sich die Modelle stark ähneln. Das verstärkt die Trends derjenigen Aktien, die man haben muss, um nicht seine Karriere zu riskieren. Die meisten Titel, die unter die «Must have»-Klausel fallen, sind in Semiconductors.

Evolutive Modelle setzten sich durch

Mittlerweile bewegt sich die Finanzwissenschaft vermehrt in Richtung evolutiver Modelle. Sehr empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist das gerade erschienene Buch von Professor Andrew Lo und Ruixun Zhang «The Adaptive Markets Hypothesis: An Evolutionary Approach to Understanding Financial System Dynamics».

Das von Lo und Zhang entwickelte Paradigma weist der Effizienzmarkthypothese einen spezifischen Platz zu und lässt Emergenzen zu, die die mechanistische Sicht der neoklassisch inspirierten Standard-Lehre apriori ausschliesst. Ich denke beispielsweise an die vier Perioden seit 1993, in denen der Leitzins des Fed und der S&P 500 gleichzeitig deutlich gestiegen sind. Sie formalisieren die «animal spirits» von John Maynard Keynes und weisen Behavioral Finance und Neurofinance ihre konkreten praktischen Rollen zu: Behavioral Finance stufen sie wie Flugsimulatoren im Trainingsprogramm für Piloten ein, und Neurofinance sehen sie als Ansatz zur Eindämmung der Wirkung unserer archaischen Gehirnstrukturen, die im Extremfall nur die Wahl zwischen «draufhauen oder abhauen» lassen.

Schliesslich erheben sie die experimentell und empirisch erzielten Forschungsergebnisse zu einem marktrelevanten Paradigma.

Ob künstliche oder menschliche Intelligenz, es geht schlussendlich immer um den Entscheid: Schliesse ich mich dem Rudel an oder sondere ich mich ab? In Semiconductors bleibe ich dem Rudel treu, bis die vom Markt generierten Daten eine Abkehr nahelegen.

Alfons Cortés

Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.
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