Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Staatsstrassen bleiben in der Verkehrskommission hoch umstritten.
Der Streit um Tempo 30 entzündete sich in Zürich. Hier ordnet der Stadtrat das Tempolimit seit einigen Jahren vermehrt auch auf Hauptstrassen an. Die Begründung lautet in den meisten Fällen, dass sich anders die Anforderungen an den Lärmschutz nicht umsetzen liessen.
In Zürich und Winterthur sind die Exekutiven dazu befugt. Laut Strassengesetz sind sie für Bau und Unterhalt der Hauptverbindungen auf ihrem Gebiet zuständig, ebenso für die Signalisation. Deshalb spricht man hier nicht von Staatsstrassen, sondern Strassen von überkommunaler Bedeutung. Die bürgerlichen Parteien wollten diese Kompetenzdelegation an die Grossstädte in den letzten 20 Jahren zweimal einschränken, sind damit aber im Kantonsrat gescheitert.
2022 lancierten SVP und FDP zwei Volksinitiativen zum Tempo 30. Mit der Mobilitätsinitiative wollen sie erreichen, dass der Kanton inskünftig auch die Geschwindigkeitslimiten auf Strassen von überkommunaler Bedeutung festlegt. «Eine Übertragung dieser Zuständigkeit ist ausgeschlossen», heisst es im Initiativtext.
Im übrigen Kantonsgebiet beantragen in letzter Zeit Gemeinden vermehrt innerorts Tempo 30 auf Abschnitten von Staatsstrassen und finden bei den kantonalen Stellen oft Gehör. Die Mobilitätsinitiative will dies insofern einschränken, als die bundesrechtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts nur «in Ausnahmefällen über kurze Strecken» herabgesetzt werden könnte.
Mit einer zweiten Initiative zum öV auf der Strasse wollen SVP und FDP verhindern, dass Tempo 30 Tram und Bus verlangsamt. Das kann dazu führen, dass der Fahrplan nicht mehr eingehalten werden kann und die Beschaffung von zusätzlichen Fahrzeugen sowie die Anstellung von Personal Mehrkosten verursacht.
Patt im Kantonsrat
Im Frühling unterstützte der Regierungsrat die Mobilitätsinitiative, was bei Volksbegehren eher ungewöhnlich ist, und formulierte zur ÖV-Initiative einen Gegenvorschlag. Nun hat die Verkehrskommission des Kantonsrats die Beratungen abgeschlossen. Ihre Anträge lassen eine heftige Debatte im Rat und in einem Fall eine vermutlich umstrittene Volksabstimmung erwarten.
Die Mobilitätsinitiative wird mit der knappen Mehrheit der Klima-Allianz mit 8 zu 7 Stimmen zur Ablehnung empfohlen. Da im Plenum dieses Mitte-links-Lager und die bürgerliche Seite genau gleich viele Sitze halten, ist ein knapper Entscheid zu erwarten abhängig davon, welche Seite mehr Abwesende hat.
Ausserdem hat eine Minderheit aus SP, GLP und EVP einen Gegenvorschlag formuliert. Demnach soll die Zuständigkeit für Geschwindigkeitsanordnungen zwar beim Kanton liegen, aber neu an die Gemeinden übertragen werden können. Da die Grünen diesen Vorschlag nicht mittragen, ist seine Chance gering.
Für SVP und FDP handelt es sich um einen Gegenvorschlag, der gar keiner sei, da er der Intention der Initiative direkt zuwiderlaufe. Kantonsrat Marc Bourgeois (FDP, Zürich) spricht gegenüber der NZZ von einer Frechheit, die nur darauf abziele, in der Stimmbevölkerung Verwirrung zu stiften. Immerhin zeige der Antrag, dass die Gegenseite Respekt vor der Initiative habe.
Oberstes Ziel der Initianten ist es, den Verkehr auf den Hauptverkehrsachsen zu kanalisieren und so den Individual- sowie den öffentlichen Verkehr leistungsfähig zu halten. Im Gegenzug sollten Quartiere durch Tempo 30 beruhigt werden.
Die Gegner befürworten Tempo 30 nicht nur, um den Strassenlärm einzudämmen und Sicherheit sowie Lebensqualität in den Ortszentren und Quartieren zu erhöhen. Sie kritisieren grundsätzlich, die Mobilitätsinitiative schränke die Autonomie der Städte und Gemeinden ein. Die GLP, die sich bis anhin zu den Begehren nicht geäussert hat, schliesst sich dieser Meinung an. Die Initiative erschwere Tempo 30 innerorts massiv, schreibt sie.
Der Zürcher Stadtrat lehnt die Mobilitätsinitiative ab. Er erinnert in einer Stellungnahme daran, dass das Bundesrecht die Strasseneigentümer dazu verpflichte, Massnahmen zum Schutz der betroffenen Bevölkerung vor Strassenlärm zu ergreifen. Ob dazu Tempo 30 nötig sei, werde immer im Einzelfall und mit einem Gutachten geprüft. Bei einer Annahmen der Initiative gerate diese Pflicht in Konflikt mit einem kantonalen Tempo-30-Verbot.
ÖV vor Mehrkosten schützen
Offener und etwas komplexer ist die Ausgangslage bei der ÖV-Initiative. Die Verkehrskommission lehnt sie ebenfalls ab. Ebenso den Gegenvorschlag der Regierung, den sie mit 10 zu 5 Stimmen durch einen eigenen Antrag ersetzt, auf den sich aber nicht alle Fraktionen einigen konnten.
Damit der ÖV durch Tempobeschränkungen nicht ausgebremst wird, schlägt die Mehrheit ein gemeinsames Vorgehen der Strasseneigentümer mit dem Verkehrsverbund vor. Dabei sollen alle Gemeinden entlang einer ÖV-Linie einbezogen werden. Erst als letztes Mittel ist eine finanzielle Kompensation vorgesehen, welche die Eigentümer der Strasse, also die Anliegergemeinden oder der Kanton, zu leisten hätten.
SP und Grüne sind aus unterschiedlichen Gründen nicht einverstanden. Die Grünen befürchten, dass der Einbezug aller Gemeinden ein Bürokratiemonster und Rechtsunsicherheit erzeugt. Für die SP ist die Verrechnung von Mehrkosten an die Strasseneigentümer nicht verursachergerecht. Sie verlangt, dass sie aus dem Strassenfonds gedeckt werden. Beide Parteien wollen, falls sie nicht durchdringen, den Gegenvorschlag ablehnen.
SVP und FDP beantragen (ohne Mitte) Zustimmung zur ÖV-Initiative, unterstützen aber auch den Gegenvorschlag, der im Rat eine Mehrheit auf sich vereinigen dürfte. Ob in diesem Fall das Volksbegehren zurückgezogen wird, will das Initiativkomitee laut Marc Bourgeois im Januar beraten. Möglich bliebe dann noch ein Referendum zum Gegenvorschlag, andernfalls käme es nicht zur Volksabstimmung.
Diese ist hingegen zur Mobilitätsinitiative so gut wie sicher, ganz gleich, wie der Rat entscheidet. Wird die Initiative abgelehnt, ziehen SVP und FDP sie auf keinen Fall zurück. Nimmt der Rat sie an, ist gegen diesen Entscheid des Kantonsrats das Referendum möglich. Das würden sich die Gegner mit ebenso grosser Gewissheit nicht entgehen lassen.