Donnerstag, Mai 22

Der Kanton will der Stadt die Kompetenz entziehen, Tempo 30 auf Hauptstrassen anzuordnen. Die Stadt spricht von Verfassungsbruch.

Die Stadt Zürich gibt sich kampfeslustig. Der rot-grün dominierte Stadtrat fühlt sich bevormundet, weil der Kanton der Stadt die Kompetenz über die Signalisation ihrer Strassen entziehen will. Dann dürfte die Stadt nicht mehr in Eigenregie Tempo 30 auf Hauptstrassen anordnen. Darüber wird es eine kantonale Volksabstimmung geben. Der Abstimmungskampf ist zwar noch fern, aber der Stadtrat schlägt jetzt schon ungewohnt forsche Töne an.

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Die Tiefbauvorsteherin Simone Brander (SP) verglich das Vorgehen der Regierung im Stadtparlament mit dem Gebaren von Donald Trump: «Die Verfassung missachten, um seinen politischen Willen durchzusetzen: Das geschieht nicht nur im Weissen Haus, sondern auch im Kaspar-Escher-Haus.» Dort hat die kantonale Verwaltung ihren Sitz.

«Jetzt müssen wir uns wieder euer Geheule anhören»

Der Streit um Tempo 30 schwelt, seit der Zürcher Stadtrat vor einigen Jahren damit begonnen hat, das Tempolimit auch auf Hauptstrassen anzuordnen. Die Anforderungen an den Lärmschutz liessen sich nicht anders umsetzen, lautete die Begründung jeweils. Der Regierungsrat hat dieses Vorgehen mehrfach kritisiert.

Heute sind die Städte Zürich und Winterthur in der Signalisation sämtlicher Strassen frei. Die einzige Einschränkung ist der sogenannte Anti-Stau-Artikel in der Kantonsverfassung, wonach eine Signalisation die Kapazität jenseits der Stadtgrenzen nicht einschränken darf. Alle anderen Gemeinden im Kanton Zürich dürfen Signalisationsänderungen auf Hauptstrassen nur mit Einwilligung des Kantons vornehmen.

Dass die Ausnahmeregelung für Zürich und Winterthur fallen soll, ist eine Forderung der SVP. Der Regierungsrat unterstützt deren Mobilitätsinitiative. Und der Kantonsrat hat die Initiative kürzlich knapp angenommen.

Das kantonale Stimmvolk wird so oder so über das Begehren abstimmen. Doch der Stadtrat will, dass die Stadt zusätzlich das Gemeindereferendum gegen den Kantonsratsbeschluss ergreift. Stadträtin Brander sagte, der Kanton wolle den Städten die Kompetenz aus rein politischen Gründen entziehen. «Sie wollen uns Steine in den Weg legen, wenn wir in Übereinstimmung mit Bundesrecht Tempo 30 ausschildern.»

Dass dieser Entzug der Kompetenz ein Verfassungsbruch sein soll, liess der Stadtparlamentarier Stephan Iten (SVP) aber nicht gelten. Es gehe lediglich um die Anpassung einer Verordnung. Flächendeckend Tempo 30 verursache enorme Kosten für das Gewerbe, aber auch den öV, der gemeinsam mit den Autos heruntergebremst werde.

Dass die Stadt das Referendum ergreife, sei sinnlos, fand Iten: Das Volk werde an der Urne entscheiden. Dennoch debattiere nun das Stadtparlament darüber. An die Ratslinke gewandt meinte er: «Jetzt müssen wir uns wieder euer Geheule anhören.»

Allerdings waren es dann die Redner der SVP, die nicht weniger als sechs Mal ans Mikrofon traten.

Samuel Balsiger fand, Rot-Grün habe es mit der Anti-Auto-Politik übertrieben und müsse sich nicht wundern, wenn der Kanton reagiere. Michele Romagnolo sagte, Tempo 30 erschwere das Überholen, was den Verkehrsfluss stören könne: «Wir wollen zügig fahren und nicht schleichen.»

Und Bernhard im Oberdorf merkte zum Thema Lärmschutz an: «Man muss doch etwas ertragen können. Ich höre bei mir zu Hause das quietschende Tram ebenfalls, wenn es zur Geisterstunde Richtung Depot fährt.»

Die Bürgerlichen betonten in der Debatte die negativen Folgen von Tempo 30 auf Hauptstrassen – für den öV, aber auch für die Quartiere, weil sich dorthin der Verkehr verlagere, wenn überall das gleiche Tempolimit gelte. Martina Zürcher (FDP) sagte, das könne man in Höngg heute schon beobachten.

Die Votanten von Mitte-links strichen demgegenüber die Vorteile für den Lärmschutz und die Verkehrssicherheit heraus. Der Zeitverlust falle für die Automobilisten nicht ins Gewicht.

Die Stadt als Autobahnraststätte

Markus Knauss (Grüne) fand, es gehe um eine Grundsatzfrage: ob man eine urbane Schweiz wolle, bei der Wohnen und Arbeiten auf engem Raum möglich sei, oder ob man die Stadt als eine Art Autobahnraststätte sehe, an der man möglichst schnell vorbeifahren wolle. Nach dieser Logik seien dann Schulkinder und schlafende Leute ein Ärgernis.

Knauss gab Stephan Iten in einem Punkt recht: Das Gemeindereferendum sei überflüssig. Dennoch werde man es «selbstverständlich» unterstützen. Er fragte: «Macht der Stadtrat auch noch eine Kampagne?»

Der Rat folgte dem Antrag des Stadtrats mit 75 zu 36 Stimmen. Was die Auswirkung des Entscheids ist, formulierte Martina Zürcher so: «Der Stadtrat kann im Abstimmungsbüchlein eine Seite hinzufügen. Macht bei 930 000 Stimmberechtigten ebenso viele Seiten.» Die Exekutive wird dort Werbung in eigener Sache machen können, mit dem Ziel, möglichst viele Stimmberechtigte auf seine Seite zu ziehen im Ringen mit dem Kanton.

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