Donnerstag, Januar 9

Jahrelang forderten Bürgerliche Massnahmen gegen die Kriminalität vor der Reitschule. Nun haben auch die Betreiber genug, sie schliessen für zwei Wochen. Doch schuld sei der Staat, sagen sie.

Die Berner Reitschule, das alternative Kulturzentrum am Bahnhof Bern, hat ein Gewaltproblem. Und zwar direkt vor der eigenen Tür. Deshalb schliessen die Verantwortlichen das Kulturzentrum bis zum 21. Januar.

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Auf der Schützenmatte und dem Vorplatz hätten sich «gewaltvolle Strukturen» etabliert, schreibt die Reitschule in einem Beitrag auf der Plattform Instagram. Konkret zeige sich dies in Drogendeals, Bandenkrieg, Perspektivenlosigkeit sowie psychischem und sozialem Elend. Im Beitrag heisst es weiter: «Wir sind nicht bereit, weitere Gewalteskalationen zuzulassen oder die Sicherheit von uns und unseren Besuchenden zu gefährden.»

Täter nennt die Reitschule in ihrem Communiqué nicht. Sie schreibt jedoch, die Situation sei die Folge einer repressiven Asylpolitik, einer gescheiterten Drogenpolitik und des systematischen Abbaus sozialer Infrastruktur.

Seit Jahren macht die Reitschule in regelmässigen Abständen Schlagzeilen. Bürgerliche kritisieren, dass die Reitschule ein rechtsfreier Raum sei. Linksradikale haben von dort aus schon gezielt Angriffe auf Polizisten organisiert. Im vergangenen Mai warfen sie Steine, Flaschen und Feuerwerk auf die Polizei und verletzten elf Beamte. Zugleich ist sie seit Jahren ein Anziehungspunkt für Drogenkriminalität.

Für viele Jugendliche, Randständige und Asylbewerber ist die Reitschule mit ihrem Vorplatz, den Konzerthallen, Bars und dem Kino allerdings vor allem ein Kulturzentrum mit günstigen Angeboten; ein Ort, um sich einzubringen und auszuleben. Sie gilt als Freiraum in einer durchreglementierten Stadt. Und als solcher Freiraum versucht sich die Reithalle seit Jahren dem Zugriff der staatlichen Gewalt zu entziehen, sich selbst zu regulieren.

Doch was, wenn sich Personen ausserhalb der linken Szene nicht an die Prinzipien der Reitschule halten, den Freiraum missbrauchen?

Die Polizei wünscht sich Kooperation

Manuel Willi, Chef der Regionalpolizei Bern, sagt: «In den letzten Monaten war die Lage auf dem Vorplatz angespannt, weil eine grosse Zahl von Personen, die zu einem grossen Teil aus dem Maghreb stammt, dort mit Drogen dealt, selbst konsumiert und Gewaltdelikte begeht.» Willi erklärt, dass die Zahl der Vorfälle stets gewissen Schwankungen unterliege, doch der Vorplatz sei einer der Brennpunkte in der Stadt.

Derzeit, so Willi, zähle man durchschnittlich fünf Gewaltvorfälle pro Monat. Damit sind Messerstechereien, Überfälle und Schlägereien gemeint. Vermutlich, sagt Willi, gebe es eine Dunkelziffer, da der Polizei nicht alle Fälle gemeldet würden. Genauere Zahlen über die Kriminalität gibt es nicht, da die Statistik die Vorfälle auf dem Vorplatz nicht separat erfasst.

Die Arbeit der Polizei auf dem Vorplatz ist mit gewissen Schwierigkeiten verbunden. Seitens der Reitschule ist die Polizei hier unerwünscht. Der Polizeichef Willi sagt, dass man eine Zusammenarbeit suche, die Reitschule dies derzeit aber ablehne. Diese Kooperation könnte aber dazu beitragen, die Sicherheit in und um die Reitschule zu verbessern, denn wie die Reitschule selbst schreibe, bestehe ein Sicherheitsproblem.

Dass es zu einem Übereinkommen zwischen der Reitschule und der Polizei kommt, ist allerdings unwahrscheinlich. Vergangenes Jahr verfasste die kirchliche Gassenarbeit, die eng mit verschiedenen Gruppierungen der Reitschule zusammenarbeitet, einen Brief an die Berner Stadtregierung. Darin schilderte sie die Situation und die Probleme auf dem Vorplatz. Zudem brachte sie Vorwürfe gegen die Polizei vor.

Im Schreiben hiess es, dass die Polizei regelmässig Personenkontrollen bei Personen aus dem Maghreb durchführe, doch nach wenigen Stunden oder Tagen befänden sich die Angehaltenen wieder am Ort, und an ihrer Situation habe sich nichts geändert. Weiter kehrten diese Personen vermehrt mit Knochenbrüchen und Prellungen von Kontrollen zurück und erzählten von massivsten rassistischen Beleidigungen durch die Polizei. Das Schreiben wurde von der Reitschule mitverfasst und mitunterzeichnet.

Die Kantonspolizei weist diese Vorwürfe von sich. Der Polizeichef Willi sagt, man habe klare Richtlinien für Personenkontrollen und halte sich daran. Falls es zu Fehlverhalten durch die Polizei komme, nehme man diese Vorwürfe ernst und untersuche sie. Doch gegenwärtig ist Willi keine Beschwerde gegen das Vorgehen von Polizeibeamten auf dem Vorplatz bekannt.

Die Problematik auf dem Vorplatz besteht schon länger. Willi sagt, die Polizei versuche die Kriminalität gemäss den Vorgaben der Politik zu bekämpfen. Doch auch er weiss, dass dieses Problem allein mit Polizeieinsätzen nicht zu lösen ist.

Der Gemeinderat ist besorgt

Marieke Kruit, die frisch gewählte sozialdemokratische Berner Stadtpräsidentin, skizziert auf Anfrage ein Dilemma. Kruit bestätigt die Darstellung der Polizei und spricht von einer Szene von vorwiegend ausländischen Personen, die im Drogenhandel vor der Reitschule aktiv sowie teilweise bewaffnet und gewaltbereit seien. Auf Anfrage schreibt sie: «Es ist klar, dass dieser Szene mit den bestehenden sozialen, integrativen, nicht repressiven Interventionen nicht mehr beizukommen ist.» Zugleich liefen repressive Interventionen im Asylsystem aber vielfach ins Leere.

In den vergangenen Jahren hat die Stadt verschiedene Massnahmen auf dem Vorplatz erlassen. Seit 2022 überwacht ein privater Sicherheitsdienst die Situation. Zudem wurde eine Koordinationsstelle eingerichtet und ein «Schutzmobil» eröffnet. Dabei handelt es sich um einen alten Wohnwagen, der an den Wochenenden als Rückzugsort für Personen dienen soll, die sexuell belästigt oder gewaltsam angegriffen werden oder sich von anderen bedrängt fühlen. Das Schutzmobil wird laut der Stadt von einem professionellen Team betreut.

Die Ursache für die gegenwärtige Situation sieht Stadtpräsidentin Kruit zu grossen Teilen in gesamtgesellschaftlichen Problemen. Die Stadt alleine könne diese nicht lösen. Trotzdem, so Kruit, sei klar, dass es angesichts der derzeitigen Situation zusätzliche Massnahmen und Interventionen des Gemeinderats brauche. Diese werde man mit den beteiligten Akteuren diskutieren und abstützen. Und weiter: «Hier steht durchaus auch die Reitschule in der Verantwortung.»

Für die linke Stadt Bern ist das eine ungewohnt klare Distanzierung.

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