Sonntag, November 17

Für weibliche Tennisprofis sind drastische Kommentare im Netz Alltag. Manche zerfrisst die Situation, andere geben neuerdings Contra.

Die Mitteilungen im Internet sind getränkt von Hass, Beschimpfungen und Drohungen. Es heisst darin etwa: «Du dreckige Hure», «ich ficke deine Familie», «ich verspreche dir, ich komme und trete dich in deine Fresse, du dreckiges Stück Scheisse». Oder auch: «An deiner Stelle würde ich mich nicht mehr allzu sicher fühlen.» Und: «Wenn du wie eine Betrügerin spielen willst, dann musst du bereit für deine Bestrafung sein.»

Der Verband Swiss Tennis hat einen Teil der genannten Beispiele zusammengetragen; die Liste liesse sich beliebig verlängern. Cybermobbing gegen Spielerinnen wird im Profitennis zunehmend zu einem fundamentalen Problem. In Gesprächen der «NZZ am Sonntag» mit den Schweizerinnen Belinda Bencic, Viktorija Golubic und Céline Naef in Biel zeigt sich: Verschont bleibt niemand, der im Rampenlicht steht.

Einhellig berichten die Spielerinnen, sie erhielten praktisch nach jedem verlorenen Match Hassnachrichten. Meist kämen diese von Wettern, die Geld auf den Ausgang einer Partie gesetzt und verloren hätten. Die Wut an den Profis auszulassen, ist ihr Ventil, die eigene Enttäuschung zu verarbeiten. Auch männliche Profis sind betroffen, doch im Frauen-Tennis ist das Thema weit präsenter.

Naef ist 19 Jahre alt, im Ranking liegt sie auf Position 123. «Das Ganze begann bereits, als ich die Juniorenstufe verliess und auf Frauen-Ebene zu spielen begann», sagt sie. Naef war seinerzeit etwa 15 Jahre alt. «Wenn ich ehrlich bin, war es damals beinahe noch schlimmer als jetzt, da ich an grösseren Turnieren spielen darf.»

Gerade bei kleineren Turnieren, bei denen noch nicht so viel Geld und Weltranglisten-Punkte auf dem Spiel stehen, gibt es laut Naef immer wieder Aufforderungen, doch ein Spiel wegzuschenken. Oft begleitet vom Angebot, dafür Geld zu erhalten.

«Ich würde allen Spielerinnen und Spielern raten, unmittelbar nach dem Match nicht sofort auf die sozialen Plattformen zu gehen», sagt Naef. Sie selber lasse ihr Handy meist für vier, fünf Stunden ausgeschaltet. «Natürlich kommen die Nachrichten später trotzdem herein. Doch mit etwas Distanz kann man besser mit ihnen umgehen als mitten in der Enttäuschung über einen verlorenen Match.»

Dass die virtuellen Belästigungen zum Alltag gehören, bestätigt ihre Profi-Kollegin Golubic. Die 32-jährige Zürcherin sagt: «Ich habe es bis heute noch nicht so mit der Öffentlichkeit geteilt, weil ich ganz gut damit umgehen kann. Doch angenehm oder sogar schön ist es natürlich nicht.» Der Weltverband WTA unterstütze die Spielerinnen mit Beratungen sowie Programmen, die solche Nachrichten herausfiltern sollten. «Ich versuche sie zum Teil auch auszusortieren und zu löschen. Es sieht ja nicht unbedingt gut aus, wenn man unter seinem Foto ein paar Dutzend solcher Nachrichten stehen hat. Doch das Ganze ist auch eine Frage der Zeit. Der Aufwand ist beträchtlich.»

Die Olympiasiegerin Bencic sagt, sie begegne Hassnachrichten, indem sie versuche, diese gar nicht zu beachten. «Doch ich verstehe, dass sie für eine Spielerin oder auch einen Spieler zur Belastung werden können. Oft ist es auch gar nicht so einfach, die Absender zu eruieren. Die Nachrichten kommen von irgendeinem Fake-Account.»

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Anfeindungen lösten eine Depression aus

Die Situation ist keineswegs neu. Rebecca Marino, eine der grössten kanadischen Nachwuchshoffnungen, zog sich bereits 2013 mit 22 Jahren unter anderem wegen der latenten Hassnachrichten aus dem Tenniszirkus zurück. Der «New York Times» erzählte sie damals, die ständigen Anfeindungen hätten sie zermürbt. Sie sei auf eine Depression zugesteuert und habe gemerkt, dass sie nicht mehr bereit sei, sich dem Mobbing auszusetzen.

Acht Jahre später, den Tod ihres an Prostatakrebs erkrankten Vaters vor Augen, kehrte Rebecca Marino noch einmal in den Tenniszirkus zurück und sagte nach ihrem Comeback: «Wenn ich zurückschaue, steuerte ich vielleicht nicht wirklich auf eine Depression zu. Es war mehr ein Burnout. Ich wurde nicht fertig mit den Erwartungen, die auf mir lasteten.»

Doch wirklich die Alte wurde Marino nie mehr. Mit 33 Jahren ist sie die Nummer 103 im WTA-Ranking, einen Titel hat sie noch nicht gewonnen. Ihr bestes Resultat an einem Major-Turnier war die dritte Runde am US Open 2022. Die Hassmitteilungen haben ihre Karriere ausgebremst und beendet, noch ehe sie richtig begonnen hatte.

Spielerin konfrontiert die Frau eines Hasskommentators

Dergleichen soll sich nicht wiederholen: Erste Spielerinnen beginnen sich zu wehren. «Ich denke, es ist an der Zeit, dass man das Ganze thematisiert», sagt Golubic. Sie sei eher zurückhaltend damit, private und persönliche Dinge in der Öffentlichkeit zu äussern. «Andererseits hilft es uns, wenn andere darüber sprechen.»

Die deutsche Spielerin Eva Lys ist bereits einen Schritt weitergegangen. Als die 22-Jährige Anfang Oktober am WTA-Turnier in Osaka gegen die Japanerin Aoi Ito verlor, schrieb ihr jemand auf Instagram: «Das war eine feige Scheisse, die du da heute Abend abgezogen hast.» Lys drehte den Spiess um, markierte die Frau des Absenders im Post und fragte diese öffentlich: «Warum beleidigt dein Mann eine 22-Jährige auf Instagram?»

Der Verband Swiss Tennis widmet dem Thema regelmässige Schulungen. Sandra Perez, die Mediensprecherin, sagt: «Wir sensibilisieren unsere Kader-Junioren und -Juniorinnen seit einigen Jahren diesbezüglich genauso, wie wir mit ihnen Medienauftritte üben oder ihnen Tipps zu ihrer Social-Media-Präsenz geben. Normalerweise gibt es eine erste Schulung, wenn sie kurz davorstehen, die ersten Profi-Turniere auf der ITF-Tour zu bestreiten. Wir geben ihnen Tipps, wie sie damit umgehen können.»

Die International Tennis Integrity Agency (Itia) wiederum stellt Spielerinnen und Spielern Lernprogramme zur Verfügung, in denen sie erfahren, wie sie mit den Auswüchsen umgehen und sich vor diesen schützen können.

Eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Cybermobbing nimmt Roland-Garros ein. Initiiert unter anderem durch die Turnierdirektorin Amélie Mauresmo, eine ehemalige Top-Spielerin, stellte das Turnier den Spielern 2023 erstmals eine Art elektronischen Bodyguard zur Verfügung, der helfen soll, unpassende Nachrichten auszusortieren, ehe sie ihren Empfänger erreicht haben. Doch die Verrohung ist ein Zeitgeist-Phänomen. Sie vollständig zu eliminieren, dürfte auch im Tennis nicht möglich sein.

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