Mittwoch, Januar 15

Nach der Tötung von Ismail Haniya in Teheran macht die Hamas ausgerechnet den Architekten des 7. Oktobers zu ihrem neuen Chef. Dies könnte für die Terrorgruppe in die Sackgasse führen. Doch auch Israel kann der Entscheid nicht freuen.

Mit der Ernennung von Yahya Sinwar zu ihrem Chef schickt die Hamas ein klares Signal an Israel: Der bewaffnete Kampf wird fortgesetzt um jeden Preis, einen Kompromiss wird es nicht geben. Kein Hamas-Führer steht so sehr für die Strategie des blinden Terrors wie Sinwar. Der Chef der Hamas im Gazastreifen gilt als Architekt des Massakers vom 7. Oktober, mit dem die Terrorgruppe das Gebiet in einen verheerenden Krieg gestürzt hat, der nach Angaben der Gesundheitsdienste bis heute rund 40 000 Palästinenser das Leben gekostet hat.

Zusammen mit dem Militärchef Mohammed Deif, der im Juli vermutlich bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen getötet wurde, hat Sinwar den Überfall auf die Städte und Kibbuzim in Israel geplant. Die Exilführung um Ismail Haniya und Khaled Mashal hat er vermutlich vorab nicht über die Pläne informiert. Der 61-Jährige wusste zweifellos, welche harte Reaktion er mit dem Massaker und der Geiselnahme provozieren würde. Doch den Preis war es ihm wert.

Mit dem Angriff hat Sinwar den Anspruch der Hamas bekräftigt, die Speerspitze des palästinensischen Widerstands zu sein. Er hat damit der Identität der Hamas als militärischer Akteur klar Vorrang gegeben gegenüber ihrer Rolle als politische Partei. Die Verwaltung des Gazastreifens und der Aufbau eines palästinensischen Staatswesens sind für ihn offensichtlich nachrangig. Der bewaffnete Kampf gegen den verhassten jüdischen Staat hat für ihn oberste Priorität.

Einem eigenen Staat ist die Hamas nicht näher gekommen

Allerdings wird dieser Kampf zum Selbstzweck, wenn er kein realistisches Ziel verfolgt. Die Hamas hat zwar seit dem 7. Oktober ihre Vormachtstellung gegenüber ihren palästinensischen Rivalen gefestigt, doch mit ihrer Strategie des Terrors hat sie sich als Gesprächspartner für Israel unmöglich gemacht. Auch für die Golfstaaten ist sie damit zum Paria geworden. Einem eigenen palästinensischen Staat ist die Hamas keinen Schritt näher gekommen. Nach zehn Monaten Krieg ist unklarer denn je, was ihr strategisches Ziel ist.

Indem die Hamas Sinwar zum Nachfolger ihres vergangene Woche in Teheran getöteten Politbüro-Chefs Haniya macht, beendet sie die bisherige Trennung zwischen der politischen Führung im Exil und der militärischen Führung in Gaza. Mit der Wahl von Sinwar, der als ebenso brutal wie fanatisch beschrieben wird, entscheidet sie sich ganz für die nihilistische Strategie des Terrors und gibt jeden Anspruch auf, ein konstruktiver politischer Akteur zu sein.

Für die Bewegung dürfte dieser Richtungsentscheid in die Sackgasse führen. Doch auch Israel kann dies nicht freuen. Mit Sinwar rückt die Hamas noch näher an Iran heran. Seine Wahl zeigt, dass sich innerhalb der islamistischen Bewegung der proiranische Flügel durchgesetzt hat. Der langjährige Politbüro-Chef Khaled Mashal, der eher den arabischen Golfstaaten zugeneigt ist und zunächst als wahrscheinlicher Nachfolger Haniyas gehandelt wurde, hatte das Nachsehen.

Auch Israel fehlt eine langfristige Strategie

Mit Sinwar an der Spitze werden die Verhandlungen über eine Waffenruhe und eine Freilassung der Geiseln noch schwieriger werden. Während die Exilführung um Haniya zu gewissen Kompromissen bereit war, gab sich Sinwar stets unnachgiebig. Trotz den immensen Zerstörungen in Gaza und dem horrenden Preis für die Bevölkerung forderte er unbeirrt die Fortsetzung des Kampfes. Lieber stirbt er in seinem Bunker unter Gaza, als die Waffen niederzulegen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich für Israel die Frage, wie klug die Tötung Haniyas war. Es bestätigt sich einmal mehr, dass auf einen getöteten Gegner ein noch radikalerer Nachfolger folgt. Die israelische Regierung gibt sich zwar unbeirrt und bekräftigt ihr Ziel, die Hamas komplett zu zerschlagen. Doch ist dies ebenso wenig realistisch wie das Ziel der Hamas, durch Terror einen palästinensischen Staat zu errichten. Letztlich fehlt Israel ebenso wie der Hamas eine langfristige Strategie. Allein mit Gewalt wird es den Konflikt nicht beenden können.

Exit mobile version