Freitag, Oktober 11

Der Gründer des US-Autobauers setzt all seine Hoffnungen auf selbstfahrende Fahrzeuge, sagt aber fast nichts dazu, wie er sie konkret ab 2025 auf die Strasse bringen will. Das ist fahrlässig.

Tesla ist kein normales Unternehmen. Einen weiteren Beweis dafür erbrachte der Autobauer mit höheren Ambitionen am Donnerstagabend. Normale Unternehmen liefern den Investoren und Analysten so viele Informationen wie möglich, wenn sie ein bahnbrechendes neues Produkt vorstellen.

Der Tesla-Chef Elon Musk schmiss bei der Vorstellung des Robotaxis vor allem eine grosse Party. Er liess sich und seine Gäste in Los Angeles auf dem Studiogelände von Warner Brothers in Hollywood in Cybercabs ohne Steuerrad und Pedale herumchauffieren und von humanoiden Robotern bespassen. Aber bei den 20 Fahrzeugen handelt es sich um Prototypen ohne Strassenzulassung. Wann sie diese erhalten, ist unklar. Entsprechende Fragen wurden im Livestream, der auf Musks Plattform X ausgestrahlt wurde, nicht verhandelt. Der Abend war für Fans gedacht, nicht für die Medien.

Kameras müssen es richten

Die Anleger reagierten enttäuscht, die Tesla-Aktien sackten im Handel rasch um 8 Prozent ab. Derzeit türmen sich einige wirklich schwierige Probleme vor Tesla auf, die Musk nur am Rande ansprach. Erstens verzichtet Tesla für das vollautonome Fahren auf teure Assistenzsysteme wie Lidar. Konkurrenten wie die Google-Tochter Waymo oder der chinesische Tech-Konzern Baidu halten diese für unentbehrlich. Teslas System soll allein mit Kameras und KI-Unterstützung auskommen. Nur deshalb kann Musk einen Kaufpreis von weniger als 30 000 Dollar für das Cybercab versprechen.

Seine bestehenden Tesla-Modelle will Musk mit der Technologie seiner Wahl schon 2025 komplett selbständig herumfahren lassen; in Texas, Kalifornien oder gemäss Musk ebendort, wo die Regulatoren es zuliessen. Die zuständigen Behörden müssen aber überzeugt werden. Der Autokonzern General Motors ist mit einer solchen Anfrage für sein eigenes Robotaxi-Projekt gescheitert.

Die Sicherheit ist, zweitens, für Tesla nicht bloss ein technisches Problem. Musk kann noch so oft wiederholen, dass selbstfahrende Autos in Zukunft zehnmal so sicher sein werden als Autos mit Menschen am Lenkrad. Aber seine potenziellen Käufer sind keine Roboter, die eine rationale Kosten-Nutzen-Analyse erstellen, sondern Menschen mit Ängsten und Vorurteilen. Sie steigen nicht in jedes Auto ein.

Der Taxi-Dienst Uber hat sein Programm für selbstfahrende Autos nach einem tödlichen Unfall komplett eingestellt. Waymo und Baidu packen ihre selbstfahrenden Autos mit allen erdenklichen Systemen und Sensoren aus, um sich nie dem Vorwurf auszusetzen, bei der Sicherheit gespart zu haben. Dieser Vorwurf würde Tesla auf jeden Fall gemacht, falls ein Robotaxi einen tödlichen Unfall baut.

Mehr als ein Autokonzern?

Drittens geht Musk mit dem Robotaxi eine finanzielle Wette ein, die den gesamten Tesla-Konzern gefährden kann. Betrachtet man einzig die Finanzkennzahlen, ist Tesla heute ein Autobauer, der knapp zwei Millionen Fahrzeuge pro Jahr herstellt und dafür dank fortschrittlicher Technologie und einer starken Marke eine höhere Gewinnmarge erzielt als die Konkurrenz.

Musk hat jedoch die halbe Welt davon überzeugt, dass Tesla ein Technologieunternehmen ist, das die Welt verändern wird. Viele Investoren glauben das, weil Musk schon in Vergangenheit neue Märkte fast aus dem Nichts geschaffen hat: die private Raumfahrt mit SpaceX, das Elektroauto.

Aber im Falle des selbstfahrenden Autos hinkt Tesla der Konkurrenz hinterher. Waymo fährt seit einem Jahr mit Hunderten solchen Fahrzeugen durch eine Handvoll amerikanischer Städte, Baidu tut dasselbe seit April im chinesischen Wuhan. Falls Tesla die Regulatoren rasch von der Sicherheit seiner Fahrzeuge überzeugen kann, ist der Autobauer zurück im Rennen.

Falls der Coup misslingt, könnten die Aktionäre ihre rosa Brille abstreifen und die aktuellen Probleme des Autobauers in den Blick nehmen: Tesla hat schon länger kein neues Modell mehr präsentiert und muss auf der ganzen Welt Preisnachlässe gewähren, weil der Konkurrenzkampf derart hart ist. Für einen klassischen Autobauer wäre Tesla an der Börse aber drei-, fünf- oder zehnfach überbewertet. Der deutlich grössere Volkswagen-Konzern hat eine Marktkapitalisierung von etwas mehr als 50 Milliarden Dollar, bei Tesla sind es über 700 Milliarden.

Der Enthusiasmus seiner Anleger hat Tesla schon immer angetrieben. Bisher konnte Musk ihnen regelmässig neue Visionen präsentieren, um sie wieder für einige Monate zu verzaubern. Aber indem er die enormen Herausforderungen, die Tesla auf dem Weg zum selbstfahrenden Auto bewältigen muss, beiseitewischt, betreibt Musk ein riskantes Spiel.

Er muss baldmöglichst diese zentralen Fragen beantworten: Wie will Tesla gegenüber Waymo und Baidu aufholen? Wie soll das Unternehmen eine Genehmigung für Autos ohne Lenkrad erhalten, wenn General Motors damit gescheitert ist? Und wie bleibt Tesla im E-Auto-Geschäft konkurrenzfähig, bis die Robotaxis vom Band laufen? Sollte Tesla eine Antwort auf all diese Fragen finden, ist immer noch genug Zeit für Partys.

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