Donnerstag, Oktober 3

Männer haben eine geringere Lebenserwartung als Frauen. Das liegt nicht nur an ihrem Lebensstil. Der Arzt Tobias Jäger, erklärt, welche Rolle die Hormone spielen und wieso eine Erektionsstörung ein Warnzeichen für einen Herzinfarkt sein kann.

Herr Jäger, warum leben Männer im Schnitt etwa vier bis fünf Jahre weniger lange als Frauen?

Das ist sicher kein Naturgesetz. Es gibt eine grosse Studie, in der die Lebenserwartungen von Mönchen und Nonnen verglichen werden. Die Lebensbedingungen hinter den Klostermauern sind etwa vergleichbar. Der Unterschied in der Lebenserwartung ist dort geringer als in der freien Wildbahn.

Warum ist das so?

Man muss davon ausgehen, dass das Verhalten der Männer ausserhalb der Klostermauern einen Einfluss auf ihre Lebenserwartung hat. Dazu gehört zum Beispiel die ungesündere Ernährung der Männer im Vergleich zu vielen Frauen. Auch Stress im Beruf wirkt sich negativ auf ihre Gesundheit aus. Zudem sterben sie häufiger aufgrund von Unfällen und Suizid. Ich erlebe es als Urologe darüber hinaus regelmässig, dass Männer das erste Mal mit 60 oder 65 Jahren und mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung zu mir kommen. Die meisten gehen viel seltener zu Vorsorgeuntersuchungen als Frauen.

Woran liegt das?

Das könnte unter anderem daran liegen, dass Frauen viel enger mit dem Gesundheitssystem in Kontakt bleiben. Ein junger Mann geht ja mit 20 Jahren nicht einfach so zum Arzt. Bei Frauen ist das anders. Sie gehen zur Gynäkologin, weil sie verhüten wollen. In den meisten Fällen ist das eben immer noch Frauensache. Später begleitet der Gynäkologe die Frau auch bei positiven Themen wie der Schwangerschaft. Solch eine Kontinuität fehlt bei den Männern. Und nicht nur Check-ups beim Urologen wären sinnvoll. Auch Krankheiten wie Diabetes kann man viel besser behandeln, wenn man sie früh diagnostiziert.

Zur Person

PD

Tobias Jäger

Der Privatdozent für Urologie ist Gründer der Urologischen Praxisklinik Essen. Dort versorgt er mit seinen Praxispartnern nach eigener Aussage jährlich 20 000 Patienten. Tobias Jäger ist zudem Autor des kürzlich im Springer-Verlag erschienenen Buchs «Männergesundheit», in dem er darüber schreibt, was Männer wissen sollten, um gesund zu bleiben.

All das ist nachvollziehbar. Aber sind die Männer wirklich einfach selbst schuld an ihrem kürzeren Leben?

Das würde ich nun nicht behaupten wollen. Wir wissen, viele Männer haben mit zunehmendem Alter sinkende Testosteronwerte. Das ist in den meisten Fällen eine Folge von Übergewicht oder Erkrankungen wie Diabetes. Der Testosteronmangel wiederum verstärkt das Übergewicht und die damit verbundenen Krankheiten. Das ist ein richtiger Teufelskreis. Das schadet der Gesundheit von Männern enorm.

Das heisst, bei Krankheiten wie Diabetes sollte man auch an den Testosteronwert denken?

Bei jedem männlichen Diabetiker sollte es zum Pflichtprogramm gehören, den Testosteronwert zu bestimmen. Wenn Männer eine Insulinresistenz entwickeln, aber noch keinen manifesten Diabetes haben, kann es enorm helfen, einen Testosteronmangel zu behandeln. Einige brauchen dann keine weitere Diabetestherapie.

Geschieht das zuverlässig?

Das erlebe ich nicht so. Es kommt immer wieder vor, dass Männer wegen ganz anderer Probleme zu mir kommen, zum Beispiel wegen Erektionsstörungen. Wir betrachten dann den Testosteronspiegel, und dabei erfahre ich von den Patienten, dass der Diabetologe über das Thema kein einziges Wort verloren hat und die Werte auch nicht bestimmt hat. Auch der Cholesterinspiegel und der Testosteronwert hängen übrigens zusammen.

Erklären Sie das bitte genauer.

Testosteron wird aus Cholesterin synthetisiert. Stellt der Körper – aus welchem Grund auch immer – zu wenig Testosteron her, kann das den Cholesterinspiegel im Blut erhöhen. Deshalb kann ein niedriger Testosteronwert einen Risikofaktor für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall darstellen. Und auch die psychische Verfassung der Männer leidet unter dem hormonellen Mangel, sie können depressive Symptome entwickeln. Zu wenig Testosteron ist also ganz allgemein für die Männergesundheit nicht gut.

Brauchen die betroffenen Männer professionelle Hilfe? Oder können sie allein wieder aus dieser Situation herauskommen, zum Beispiel indem sie aktiv werden und abnehmen?

Letzteres kann schwierig sein. Wenn der Mann es schafft, sich aufzuraffen und Sport zu treiben, geht er womöglich ein paar Wochen lang ins Training. Aber wegen der niedrigen Testosteronwerte sieht er kaum eine positive Entwicklung. Das demotiviert zusätzlich. Und wenn sich Männer Hilfe suchen, weil sie sich zum Beispiel depressiv fühlen, kann es vorkommen, dass niemand auf ihren Testosteronspiegel schaut. Besteht der Verdacht auf einen Hormonmangel, sollte der Mann das abklären lassen – allein schon, weil der Mangel nicht immer am Lebensstil liegt, sondern auch durch ernsthafte Erkrankungen verursacht werden kann.

Ist Männern bewusst, dass Testosteron eine so wichtige Rolle bei ihrer Gesundheit spielt?

Eher nicht. Dass Frauen in die Wechseljahre kommen und hormonelle Veränderungen durchmachen, wissen eigentlich alle, auch die Männer. Aber dass die Hormone auch bei ihnen eine Ursache für die Entstehung von Krankheiten sein können, wissen die wenigsten. Da gibt es erheblichen Nachholbedarf.

Was können Männer tun, um ihren Testosteronspiegel auch im Alter in einem gesunden Bereich zu halten?

Übergewicht vermeiden und fit bleiben, das ist am wichtigsten. Kommt ein trainierter 80-Jähriger vom Sport zu mir in die Praxis, hat er in der Regel keinen Testosteronmangel.

In welchen weiteren Bereichen stehen Männer gesundheitlich schlecht da?

Verschiedene Tumorarten kommen bei Männern häufiger als bei Frauen vor. Dazu gehört natürlich Prostatakrebs, die Frau hat ja gar keine Prostata. Diese Krebsart tritt häufig auf, verkürzt aber das Leben der Männer eher selten. Anders ist es zum Beispiel bei aggressivem Lungen- oder Darmkrebs, die ebenfalls vergleichsweise häufig Männer betreffen. Ein gesünderer Lebensstil könnte den Männern helfen, diesen Krankheiten vorzubeugen.

Wie kommen Sie mit Ihren Patienten ins Gespräch, wenn es um einen gesünderen Lebensstil geht?

Viele fragen selbst danach. Bei der Krebsfrüherkennung oder beim grossen Thema Hormonstatus kommt häufig die Frage auf: Was kann ich denn tun, ausser zu Ihnen zur Untersuchung zu kommen? Besonders gut kann ich die Männer abholen, wenn sie fragen, wie sie ihre Potenz erhalten können. Denn das ist den meisten von ihnen wichtig, geradezu heilig.

Welchen Rat geben Sie?

Sport und Ernährung spielen eine entscheidende Rolle. Man muss ja nicht stundenlang trainieren, mit zwei oder drei Einheiten Muskeltraining pro Woche erreicht man schon viel. Sehr sinnvoll ist es, die Bewegung in den Alltag zu integrieren, Treppen zu steigen, statt den Fahrstuhl zu nehmen, oder selbst den Rasen zu mähen, statt den Roboter einzuschalten. Wer im mittleren Alter Sport treibt, erhält seine Erektionsfähigkeit mit grosser Wahrscheinlichkeit im höheren Lebensalter. Damit kann ich die Männer motivieren. Zudem kommen Tumore bei sportlich Aktiven seltener vor.

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Und was, wenn sich die Potenz trotzdem nicht erhalten lässt?

Dann sollte das unbedingt genauer abgeklärt werden. Eine Erektionsstörung kann zum Beispiel ein frühes Warnzeichen für einen drohenden Herzinfarkt sein. Bei einigen Männern mit Potenzproblemen tritt etwa fünf Jahre später ein Herzinfarkt auf.

Wieso?

Die Gefässe im Schwellkörper sind vergleichsweise klein. Wenn es Ablagerungen in Blutgefässen gibt, kommt es zuerst in den kleineren Gefässen zu Problemen. Ein Vergleich: Ein kleiner Gartenschlauch verstopft schneller als ein dicker Gartenschlauch. Genauso ist es in unserem Körper. Das kann sich dann als Erektionsstörung zeigen. Deshalb sollte man dieses Problem ernst nehmen und schauen, was dahintersteckt.

Zurück zum gesunden Lebensstil: Sie raten Männern, ihren Bauchumfang stärker im Blick zu haben als ihren Body-Mass-Index. Wieso?

Muskeln sind auch schwer, deshalb ist der Body-Mass-Index nicht unbedingt ein Hinweis auf zu viel Fettgewebe. Ein Bauchumfang, der geringer ist als 102 Zentimeter, geht mit einem reduzierten Risiko für Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen einher. Noch besser ist es, wenn der Umfang unter 94 Zentimetern ist. Aber man muss ja realistisch bleiben. Legt man die Latte zu hoch, fördert das die Motivation nicht.

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