Donnerstag, Januar 9

Untersuchungen der Darmflora sind grade gross in Mode. Doch selbst die Experten verstehen den Zusammenhang zwischen den Bakterien im Darm und unserer Gesundheit nicht genau.

Die Mikroben im menschlichen Darm sind ein buntes Volk. Manche von ihnen helfen dem Organismus unmittelbar. Sie liefern etwa Vitamin K und förderliche Fettsäuren. Andere dagegen können schaden, bei einem geschwächten Immunsystem überhandnehmen und Infektionen auslösen. Wieder andere sind einfach da. Laut Schätzungen leben im Dickdarm in jedem Gramm Darminhalt etwa 100 Milliarden Mikroorganismen, alles in allem dürften es zig Billionen sein. Doch was sagt dieses Mikrobiom über Wohl und Wehe des Körpers aus?

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Längst sind Forscher fasziniert davon, dass sich die mikrobiellen Lebensgemeinschaften über vielfältige Signale mit den Immunzellen in der Darmschleimhaut austauschen und dadurch etwa chronische Entzündungen, Diabetes oder selbst neurodegenerative Leiden beeinflussen könnten. Mehr als 20 000 Artikel sind in den letzten zehn Jahren zum Darm und zu seiner natürlichen Flora in medizinischen Fachzeitschriften erschienen. Im Jahrzehnt davor waren es noch weniger als tausend.

Inzwischen bieten auch immer mehr Diagnostik-Dienstleister diverse Darmfloratests für den Privatgebrauch an – quasi als Leitschnur für ein gesundes Leben. «Dein Darm kennt die Antwort», verspricht etwa die Firma Biomes, die Mikrobiom-Analysen anbietet, auf ihrer Website.

In den Online-Shops lassen sich Test-Kits nach Hause ordern, eine Stuhlprobe wird eingeschickt, mit molekulargenetischen Methoden untersucht – und einige Tage später erhält man die Auswertung, oft mit Befunden zu Dutzenden Bakterientypen. Die Crux: Die Tests bringen offenbar nichts.

Ein zu komplexes Thema für einfache Handlungsanweisungen

«Teuer und sinnlos» – so urteilte die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten schon 2018 über die Mikrobiom-Analysen. Seither scheint sich die Meinung in der Fachwelt kaum verändert zu haben. «Die Tests sind medizinisch schlicht nicht aussagekräftig», unterstreicht Michael Scharl, Gastroenterologe am Zürcher Unispital. Vor zwei Jahren hat er dort die erste Mikrobiom-Sprechstunde der Schweiz eingerichtet.

Viele Ratsuchende kämen mit den Auswertungen ihrer Analysen in der Hand, erzählt Scharl. Manche seien durch Medienberichte neugierig geworden, wollten ihre Ernährung optimieren oder insgesamt etwas für ihre Gesundheit tun. Andere hofften, anhand der Untersuchungen beispielsweise ein Reizdarmsyndrom, Gelenkbeschwerden oder eine multiple Sklerose besser in den Griff zu bekommen.

«Allerdings sind wir einfach noch nicht so weit, um aus den komplexen Zusammenhängen im Mikrobiom einfache Handlungsanweisungen abzuleiten», sagt Scharl, der selbst mit seinem Team etwa die Rolle der Darmbakterien bei Krebs erforscht. Man weiss, dass sich die Darmflora bereits von Mensch zu Mensch unterscheidet und sich mit der Ernährung und dem Lebensalter verändert. Anders als bei einer Messung der Leberwerte, sagt Scharl als Vergleich, «können wir bisher gar nicht definieren, was ein gesundes Mikrobiom ist und was nicht».

Bekannt sei, dass die bakterielle Diversität etwa bei Krankheiten wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa oft verringert sei, so Scharl. Aber das bedeute im Umkehrschluss nicht, dass eine verminderte mikrobielle Vielfalt auch schon krank mache. «In vielen Fällen kann man gut mit ihr leben», so lautet das Urteil des Darmspezialisten. Ohnehin ergebe sich die physiologische Funktion der Flora weniger aus der Summe der Spezies als vielmehr aus der – erst teilweise verstandenen – Interaktion der Mikroben.

Wer lediglich seine mikrobielle Artenvielfalt bestimmen will, kann dies hierzulande zum Beispiel beim Labordienstleister Swiss Analysis für gut 200 Franken tun. Das Premiumpaket von Arktis Biopharma (inklusive Coachings, Darmglück-Selbsthypnose-Audio und darmfreundlicher Rezepte) schlägt dagegen mit dem Zehnfachen zu Buche.

Kunden könnten durch Tests, «die weder sie noch ihre Ärzte verstehen, finanziell ausgebeutet oder geschädigt werden», monierten amerikanische Experten unlängst im Fachblatt «Science». Die molekularbiologischen Laborverfahren seien zwar oft technisch zertifiziert. Doch die medizinische Interpretation der Befunde beruhe dann zumeist auf nicht repräsentativen Datenbanken und intransparenten Algorithmen.

Ernährungsexperten der Technischen Universität München haben in einer neuen Studie die Probe aufs Exempel gemacht. Für einen 24-jährigen stark übergewichtigen Mann als Beispielkunden orderten sie (neben weiteren kommerziellen Tests) zwei Mikrobiom-Analysen unterschiedlicher Anbieter.

Ergebnis: Beide Tests lieferten Befunde zu mehr als fünfzig Typen von Bakterien – allerdings mit irritierenden Unterschieden, schon was die Auswahl der Mikroben und selbst die gemessenen Anteile bei ein und derselben Bakteriengattung anging.

Noch pikanter allerdings sei gewesen, dass die mitgelieferten Ernährungstipps (etwa mehr faserreiche Nahrungsmittel zu verzehren) im Wesentlichen den weithin bekannten Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften entsprochen hätten, so die Autoren. Der 24-jährige Proband hätte die Ratschläge genauso gut nachlesen können – ganz ohne Test seines Mikrobioms.

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