Freitag, Dezember 27

Während Jahrzehnten blieb eine Gesetzeslücke unbemerkt, nun wird sie zum willkommenen Geldsegen für die Kommunen.

Die Gemeinden rangen in den letzten Wochen um ihre Ausgaben im neuen Jahr. Da und dort hatte die Budgetversammlung zwischendurch etwas von verfrühten Weihnachten. Die Stimmberechtigten in Rüti etwa durften zur Kenntnis nehmen, dass ihr Voranschlag 2025 durch 7 Millionen Franken aus der Kantonskasse entlastet wird.

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Es handelt sich um Rückerstattungen von Versorgertaxen, genauer von Zahlungen an Kinder- und Jugendheime, die Rüti in früheren Jahren zu Unrecht bezahlt hatte. Wetzikon rechnet im nächsten Jahr mit einem Gewinn von gut 12 Millionen Franken. Davon sind allein 9,6 Millionen Rückvergütungen des Kantons. In anderen Kommunen, in denen das Geld bereits geflossen ist, wird es die Rechnung 2024 entlasten.

Für Gemeinden, die nicht auf Rosen gebettet sind, ein willkommener Zustupf: Wila im Tösstal mit gut 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern erhält über 1,4 Millionen Franken ausbezahlt. Das geht aus einem kürzlich veröffentlichten Beschluss des Regierungsrats hervor, wonach zudem Bonstetten knapp eine Million zurückbekommt, Dietlikon und Elsau je gut 1,1 Millionen zurückerhalten und Gossau 2,6 Millionen Franken.

Selbstverständlich handelt die Regierung nicht aus Freigebigkeit, sondern gezwungenermassen. Entsprechend ist auf dieser Seite der Ton eher gereizt, auch angesichts der Kritik, dass sie Investitionen überprüfe und teilweise aufschiebe. Der Kanton, bemerkte Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) am Schluss der Budgetdebatte im Rat, tue dies auch, weil er 400 Millionen Franken an die Gemeinden rückerstatten müsse.

Klage der Gemeinden erfolgreich

Während Jahrzehnten war es im Kanton Zürich Praxis, dass die Gemeinden die Kosten von Heimplatzierungen tragen, sofern die Eltern dazu nicht in der Lage waren. Aufgrund von Einzelfällen kamen erst das Zürcher Verwaltungsgericht und im Juli 2016 ebenso das Bundesgericht zum Schluss, dass dafür eine ausreichende Rechtsgrundlage fehle und stattdessen der Kanton Zürich dafür hätte aufkommen müssen.

Die Gesetzeslücke wurde zwar rasch und rückwirkend ab 2016 behoben. Aber es kam Streit auf, ob der Kanton früher bezahlte Beträge nicht zurückzahlen müsse. Der Verband der Zürcher Gemeindepräsidien (GPV) gab ein Gutachten in Auftrag. Demnach können die Kommunen rückwirkend für zehn Jahre, also für 2006 bis 2016, Anspruch auf Rückerstattung geltend machen.

Wenig überraschend akzeptierte der Kanton diese Haltung nicht. In der Folge unterstützte der GPV die Gemeinden Erlenbach und Regensdorf darin, ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Im Frühling 2022 erhielten sie vom Verwaltungsgericht recht. Damit war klar, dass alle Gemeinden Anspruch auf Rückerstattung der Versorgertaxen haben.

Es geht um sehr viel Geld. Die zuständige Bildungsdirektion bezifferte schon früh die Kosten der Heimplatzierungen von Kindern und Jugendlichen auf etwa 60 Millionen Franken – pro Jahr.

Der Teufel liegt im Detail

Nun ging es darum, die Rückzahlungen einzuleiten. GPV-Präsident und FDP-Kantonsrat Jörg Kündig schreibt auf Anfrage von einem «ziemlich intensiven Prozess». Während der Gerichtsverfahren war das Verhältnis zwischen den Gemeinden und der Bildungsdirektion angespannt. Seither attestiert Kündig dem Kanton die Bereitschaft, die «Rückabwicklung» möglich unkompliziert vorzunehmen.

Der Teufel stecke wie so oft im Detail, ergänzt er. GPV, Kanton und die Sozialkonferenz einigten sich auf drei Varianten: eine effektive Rückforderung, wobei die Ansprüche während zehn Jahren für jeden Einzelfall zu belegen waren; dann auf eine vereinfachte Lösung oder schliesslich eine pauschalisierte Hochrechnung.

Der GPV empfahl jenen Gemeinden, die grössere Beträge erwarteten, die erste Variante. Dies im Wissen darum, dass dieser Weg mit sehr viel administrativem Aufwand und Personaleinsatz verbunden ist.

Laut Auskunft der Bildungsdirektion haben 143 der 160 Gemeinden eine Rückforderung eingereicht. Einige haben also darauf verzichtet. Die Mehrheit, nämlich 83 Gemeinden, entschied sich für eine effektive Rückforderung, 56 für die vereinfachte Lösung, nur eine für die Hochrechnung, drei wählten unterschiedliche Varianten für verschiedene Zeiträume. Oft werden auch noch Rückzahlungen an die Eltern fällig, die über die Gemeinden abzuwickeln sind.

Wie kompliziert diese Übung war, zeigt sich daran, dass die Bildungsdirektion in ihren Unterlagen über 60 beitragsberechtigte Kinder- und Jugendheime auflistet. Manchmal werden Jugendliche ausserhalb platziert. Deshalb gibt es noch eine ausdrücklich als nicht vollständig bezeichnete Liste mit mehr als 360 Heimen in der übrigen Schweiz.

Genau hinschauen

Die Bildungsdirektion richtete eigens eine temporäre Zentralstelle ein, an die sich die Gemeinden wenden konnten. Dafür mussten bis maximal 2026 zusätzlich 3,9 Stellen geschaffen werden. Die Kosten für den Aufwand im ganzen Zeitraum beziffert die Bildungsdirektion mit 1,4 Millionen Franken.

Jörg Kündig bezeichnet die Situation als «unschön». Das alte Kinder- und Jugendheimgesetz sei sicher kein optimales Beispiel für einen Kostenteiler und werde nachwirken. Nicht selten würden lang gelebte, praxisnahe Umsetzungen durch Gerichtsurteile korrigiert, hält er fest: «Die Gemeinden lehrt der Vorgang, genauer hinzuschauen, und er bestätigt die Erfolgsaussichten entsprechender Klagen.»

Für die Rückerstattung bildete der Kanton bereits 2022 und 2023 Rückstellungen im Umfang von 438 Millionen Franken. Im Budgetentwurf 2025 sind bei den Verschiebungen zwischen Kanton und Gemeinden unter dem Titel «Bildung und soziale Wohlfahrt» 465 Millionen Franken aufgeführt.

Wie hoch der Betrag einmal sein wird, ist noch unklar. Die Stadt Zürich forderte allein fast 470 Millionen Franken zurück. Zu 200 Millionen seien noch Abklärungen in Gang, schreibt das Finanzdepartement. Für die vom Kanton akzeptierten Heimplatzierungen im Zeitraum 2006 bis 2016 rechnet die Stadt mit Rückerstattungen von 262,7 Millionen Franken. Die Kosten für die umfangreichen Abklärungen im Sozialdepartement bezifferte sie in den Nachtragskrediten auf 3,1 Millionen, ein Mehraufwand, der sich buchstäblich auszahlt.

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