Sonntag, September 29

Das Königreich übernimmt eine Vorreiterrolle in der sonst erzkonservativen Region. Warum eigentlich?

Ab kommendem Jahr dürfen lesbische und schwule Paare in Thailand heiraten. Der thailändische König Maha Vajiralongkorn hat das entsprechende Gesetz dazu am Dienstag unterschrieben. Die Monarchie, wo eine mitunter verwirrende Parallelität zwischen erzkonservativen Normen und sexueller Offenheit herrscht, nimmt damit eine Sonderstellung in Südostasien ein: In muslimischen Staaten der Region ist Homosexualität noch weitgehend tabu; in den anderen tut man sich mit entsprechenden Liberalisierungen noch schwer.

Massenhochzeiten und Feste geplant

Thailands Parlament hatte den Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Ehen bereits im April mit grosser Mehrheit verabschiedet. Das traditionelle Konstrukt der Ehe zwischen Mann und Frau wird damit auf LGBTQ-Paare erweitert. Auch die Begriffe von Ehemann beziehungsweise Ehefrau verschwinden; sie werden durch «Ehepaar» ersetzt.

Den Anliegen der LGBTQ-Community, die gerade in Thailand seit Jahrzehnten um Gleichstellung kämpft, ist damit praktisch vollständig Rechnung getragen worden. Ann Chumaporn, die zu den Gründern von Bangkok Pride gehört, hat die Liberalisierung denn auch als historischen Schritt gewertet. Für Zeremonien wird gesorgt sein: Für den 22. Januar, dem Datum, ab dem Ehen unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung offiziell eingetragen werden können, hat die Bewegung in Bangkok Massenhochzeiten und Feste geplant.

Singapur: Homosexualität war bis vor kurzem strafbar

Nach Taiwan und Nepal ist Thailand erst das dritte Land in Asien, das sich zu einer Öffnung bekennt. Zur Grösse der LGBTQ-Community in Thailand gibt es keine verlässlichen Zahlen; mitunter ist von bis zu 10 Prozent die Rede, was vermutlich etwas übertrieben ist. Unbestritten ist indessen, dass bei den Forderungen nach Akzeptanz, Liberalisierung und Gleichstellung Thailands Aktivisten in Asien oft eine Vorreiterrolle zukam. Auf deren Druck entkriminalisierte Thailand die Homosexualität 1956. Zum Vergleich: Damals standen Malaysia und Singapur noch unter britischer Verwaltung, wo drakonische Strafen auf homosexuelle Handlungen drohten, die noch jahrzehntelang angewendet werden sollten.

Die anhaltende Diskrepanz in Südostasien ist komplex. Man kann sie auf historische, kulturelle und religiöse Gründe zurückführen. Ein tiefsitzender Wertkonservatismus, der sich vor allem im Familienleben und im tradierten Rollenverständnis kristallisiert, durchzieht hier zwar alle Nationen. Aber in den vom Islam geprägten Ländern wie Indonesien, Malaysia oder auch Singapur (wo die Politik auf die muslimische Minderheit grosse Rücksicht nimmt), sind konservative gesellschaftliche Normen besonders tief verwurzelt. So schaffte etwa das anderweitig als so weltoffene gepriesene Singapur erst 2022 einen Artikel im Strafgesetz ab, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte.

Um allfällige Missverständnisse und Weiterungen auszuräumen, goss der Stadtstaat handkehrum aber in Stein, was er unter einer Familie weiterhin versteht: nämlich eine Gemeinschaft von Mann und Frau. Das gilt notabene auch für die seit 500 Jahren von der katholischen Kirche stark geprägten Philippinen. Erst recht in Malaysia, wo der Regierungschef Anwar Ibrahim jahrelang im Gefängnis sass, weil man ihn mit dem konstruierten Vorwurf der Homosexualität politisch zu erledigen versuchte.

Thailand: bis ins 19. Jahrhundert liberaler als Europa

Der Wertekodex in Thailand ist historisch flexibler, was Anpassungen wie jetzt mitbeeinflusst haben dürfte. Das Königreich, das sich sowohl gegen den europäischen Kolonialismus als auch gegenüber muslimischen Einflüssen behauptet hat, verfügte nämlich bis tief ins 19. Jahrhundert über eigene und viel liberalere Wertvorstellungen als in den damals eher prüden Breitengraden Europas oder strenggläubigen islamischen Ländern.

Dass der Vorlage in diesem Jahr kaum noch Widerstand erwuchs, hat indessen noch einen weiteren innenpolitisch plausiblen Grund: Vor den Wahlen im vergangenen Jahr machen sich sowohl die Pheu Thai Party als auch die Move Forward Party für eine offizielle Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe stark. Die zwei späteren Wahlsieger spürten offenbar, woher der Wind wehte und bemühten sich demonstrativ, die jüngeren Wähler abzuholen. Heute ist Pheu Thai an der Macht und stellt mit Paetongtarn Shinawatra die jüngste Ministerpräsidentin des Landes, die nun die Wahlversprechen ihrer Partei umsetzt.

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