Das Land besinnt sich mit der Liberalisierung auf seine ursprünglichen Werte zurück. Es war der europäische Einfluss, der die Ablehnung gegenüber Homo- und Transsexuellen zum gesetzlichen Massstab machte.

Für Naiyana Supaphung geht in einem halben Jahr ein Traum in Erfüllung. Dann werden in Thailand gleichgeschlechtliche Ehen legalisiert. Naiyana Supaphungwar dafür eine treibende Kraft. Die Thailänderin engagiert sich seit 40 Jahren als Menschenrechtsanwältin für die Rechte der Frauen und der LGBTQ-Gemeinschaft. Schliesslich beriet sie die Regierung bei dem Gesetzgebungsverfahren.

Thailands Parlament hat den Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Ehen bereits verabschiedet, das Ja des Senats gilt als sicher. Nach der Unterschrift durch König Maha Vajiralongkorn wird es voraussichtlich im November in Kraft treten. Thailand ist das erste Land in Südostasien, das gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt, und das dritte in Asien nach Taiwan und Nepal.

Als viktorianische Prüderie in Siam einzog

Das Land besinnt sich damit auf einstige Moralvorstellungen. Im Königreich Siam, dem Vorläufer des heutigen Thailand, war es üblich, dass sich Männer wie Frauen kleideten und schminkten. Die Wände alter buddhistischer Tempel zieren Malereien gleichgeschlechtlicher Paare.

Unter König Rama IV., der bis 1868 regierte, setzte jedoch ein Umdenken ein. Der Monarch interessierte sich für Europa, und Europäer kamen nach Südostasien. Siam war im Gegensatz zu den Nachbarländern zwar nie Kolonie einer europäischen Macht. Aber Gedankengut aus Europa, beeinflusst durch christliche Moralvorstellungen, fiel in Siam auf fruchtbaren Boden.

König Rama V., der bis 1910 herrschte und wegen seiner Reformen wie der Abschaffung der Sklaverei einer der populärsten Monarchen in Thailand ist, schickte die Elite seines Landes nach Europa zum Studium. Auch sein Sohn, der spätere König Rama VI., studierte Geschichte und Jura in Oxford. Seine Erfahrungen flossen in die Gesetzgebung und die siamesische Ethik ein, weil alles Europäische als fortschrittlich galt. Grossbritannien unter der Regentschaft von Königin Victoria war aus heutiger Sicht allerdings sehr wertkonservativ.

Erst 1956 entkriminalisierte Thailand die Homosexualität. Bis 2005 durften Transsexuelle nicht den Militärdienst absolvieren, weil sie als «geistig gestört» eingestuft wurden. Es gab gar ein Buch mit dem Titel «Wie man seine Kinder dazu erzieht, nicht schwul zu sein». «Die LGBTQ-Gemeinschaft hat in den vergangenen Jahren stark leiden müssen», sagt Naiyana Supaphung.

Die LGBTQ-Gemeinschaft ist allgegenwärtig

Hilfreich bei der Rückbesinnung auf frühere Werte waren das Internet und eine neue Regierung, die seit August vergangenen Jahres mit Srettha Thavisin an der Spitze regiert. «Thailands Jugend wird in den sozialen Netzwerken mit liberalen Ideen konfrontiert. Sie betrachtet Homo- und Transsexuelle nicht länger als abnormal», sagt Thitpong Duangkong. Der Thailänder lehrt an der Fakultät für Journalismus und Massenkommunikation der Thammasat-Universität und setzt sich als Homosexueller für die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft ein.

Inzwischen sind im Königreich, wo rund 10 Prozent der Bevölkerung der LGBTQ-Bewegung zugerechnet werden, Homosexuelle und Transgender-Personen im öffentlichen Leben allgegenwärtig. Sie treten in TV-Shows und Dramen auf und haben in den sozialen Netzwerken viele Follower. Fernsehserien drehen sich um homosexuelle Paare, und in Buchläden liegen Romane über lesbische und schwule Paare aus.

Auch Thitpong Duangkong hat von der neuen Offenheit in der thailändischen Gesellschaft gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren profitiert. «Vor zehn Jahren hat mich meine Mutter noch gelöchert, wann ich ihr endlich eine Freundin vorstellen würde.» Die TV-Serien, die seine Mutter gerne schaut, haben bei ihr ein Umdenken bewirkt. «Sie hat nun meine Homosexualität akzeptiert.»

Die neue Regierung von Srettha hat versprochen, das Gesetz zur Gleichstellung der Ehe in seinen ersten sieben Amtstagen einzubringen. Und da geschah im thailändischen Parlament etwas Seltenes. Normalerweise lehnt die Opposition jedes Gesetz der Regierung ab. In diesem Fall stimmten jedoch nur zehn Abgeordnete dagegen. Sie stammen alle aus dem Süden des Landes, der muslimisch geprägt ist.

Die Politik setzt damit den Willen der Bevölkerung um. In einer Umfrage gaben 93 Prozent der Befragten an, sie akzeptierten Freunde oder Arbeitskollegen aus der LGBTQ-Gemeinschaft; 91 Prozent sagten, sie hätten kein Problem, wenn ein Familienmitglied homo- oder transsexuell sei.

Tägliche Diskriminierungen für homosexuelle Paare

Ironischerweise hat das lesbische Paar Araya und Harriet Asawakamolrat vor sieben Jahren in dem Land geheiratet, das einst die viktorianische Prüderie nach Thailand gebracht hatte. Die 34-jährige Araya und die 33 Jahre alte Harriet gaben sich 2017 in London das Jawort, wo sie ihre Masterstudiengänge absolvierten. In Grossbritannien sind gleichgeschlechtliche Ehen seit März 2014 gesetzlich anerkannt.

Die beiden Frauen haben sich vor zwölf Jahren in Thailand kennengelernt. Die Familien hatten keine Probleme mit der Homosexualität ihrer Töchter. Im täglichen Leben ist das Paar jedoch zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt.

So ist es ihnen bis jetzt nicht erlaubt, im Krankheitsfall Entscheide für die Partnerin zu treffen. Dieses Recht hat nur deren Familie. Und wenn Harriet, auf deren Namen das gemeinsame Haus eingetragen ist, sterben sollte, hat ihre Ehefrau Araya keinen Anspruch auf die Immobilie, obwohl sie den Kredit gemeinsam abbezahlt haben. Gemäss thailändischem Gesetz würde Harriets Familie das Haus erben. Auch verwehrt ihnen das Gesetz Steuerabschreibungen, die nur heterosexuellen Paaren zustehen.

Solche Diskriminierungen gehören dank dem neuen Gesetz bald der Vergangenheit an. Gleichgeschlechtliche Paare haben dann die gleichen Rechte wie heterosexuelle. «Die Gleichstellung der Ehe ist ein Grundrecht. Sie stellt sicher, dass die Gesellschaft uns als Familie voll akzeptiert», sagt Araya.

Das Paar hat inzwischen auch eine fünf Monate alte Tochter. Als Mutter ist Araya, die Lea auf die Welt gebracht hat, eingetragen. Ein Vater taucht in der Geburtsurkunde nicht auf. Darin besteht eine der letzten Probleme des neuen Gesetzes: In Thailand müssen die Eltern eines Kindes noch Mann und Frau sein.

Araya und Harriet sind zuversichtlich, dass man auch dafür eine Lösung finden und die Wendung «Frau und Mann» durch einen neutralen Begriff wie «Eltern» ersetzen wird. Dann hätte Lea offiziell Araya und Harriet als Eltern. Zunächst haben sie etwas anderes vor: Spätestens in zwei Jahren soll es eine zweite Hochzeitsfeier geben – dieses Mal in Thailand.

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