Montag, Oktober 7

Die ersten beiden Staffeln der Küchenserie wurden hoch gelobt, die dritte Ausgabe bekam lauter Verrisse. Warum das unfair ist.

Warum tut er sich das an, der junge, schmale Koch mit den tiefblauen Augen, dem strähnigen Haar und der bubenhaften Art, hinter der sich ein Getriebener verbirgt? Er betreibt das Kochen als unerfüllte Suche, Jeremy Allen White spielt ihn: Carmen Berzatto, genannt «Bear», weil keiner sich seinen Namen merken kann. Und er scheint die Eigenschaften seines Totemtieres angenommen zu haben: Mal sitzt er zufrieden da wie ein Plüschbär, dann wieder geht er auf alle los, ein Raubtier der Kalorien.

«The Bear» heisst die amerikanische Kochserie des Drehbuchautors Christopher Storer. Eine dritte Staffel ist vor kurzem auf Disney+ erschienen und eine vierte bereits abgedreht. Die einzelnen Folgen leben von ihren exzentrischen, exzellent gespielten Figuren, die ihre Biografie in die Küche mitbringen, wir lernen sie also immer besser kennen.

Alle Leute in dieser Küche hassen und lieben sich, fluchen einander an, beruhigen und entschuldigen sich, dann gehen die Attacken von vorne los. Wenn die Männer und Frauen aus allen Kulturen und mit unterschiedlichsten Charakteren in der Küche rüsten, schneiden, wägen, braten und kochen, werden diese Vorgänge gefilmt wie ein mechanisches Ballett. Die ganze Serie bebt, rattert und swingt in einem unablässigen Rhythmus und treibt die Handlung voran. Dauernd ist etwas los, dauernd droht etwas abzustürzen, und man schaut immer weiter.

Streit und Schulden

Der Chefkoch Carmen oder Carmy, der introvertierte, widerwillige Held der Serie, wurde in einem Luxusrestaurant von New York sozialisiert. Als sein Bruder sich nach schweren Depressionen umbringt, übernimmt der Jüngere dessen Sandwichladen im Ausgehquartier River North in Chicago. Alles dort geht schief oder kaputt, zeitweise verliert die Crew die Lizenz, die Leute geben einander die Schuld.

Carmy hat Streit und Schulden, fürchtet die Gesundheitsbehörde, die Feuerwehr und eine schlechte Restaurantkritik. Die Küche ist zu eng, die Stimmung gereizt bis apokalyptisch, das Essen kommt zu spät oder zu heiss oder zu lau. Und wenn die Crew fertig ist mit Einkaufen, Kochen oder Braten und die Kellner die letzten Gerichte hinausgetragen haben, muss alles geputzt und versorgt werden, denn am nächsten Tag schiessen die Flammen wieder hoch. Aber alle arbeiten immer weiter und helfen Carmy dabei, sein wahres Ziel zu verwirklichen: in Chicago ein eigenes, hochstehendes Lokal zu installieren.

Warum schauen wir ihnen so gebannt dabei zu? Dass Essen und Trinken zum Überleben gehört und den Menschen entsprechend viel bedeutet, lässt sich bis zu den Malereien von Jagdszenen verfolgen, die sich in afrikanischen Höhlen fanden, das war vor 30 000 Jahren. Heute schauen wir uns Kochshows an, Spitzenköche treten im Fernsehen gegeneinander an, Kochbücher füllen zu Hause die Regale. Kochen als kulturelle Kulinarik, eine Hochleistungsschau der Mittelklasse für ihre Gäste; der Kochlöffel ist das neue Schwert.

Die eigene Familie heilen

Carmy, der Bär, hat ein eigenes Motiv für seinen obsessiven Beruf: Er versucht, wie wir in der zweiten Staffel erfahren, seine eigene Kindheit zu reparieren. Denn wie eine Rückblende auf ein Weihnachtsessen der Familie klarmacht, leidet die Mutter Donna, eine kettenrauchende Alkoholikerin, an einer schweren bipolaren Störung (und wird von Jamie Lee Curtis überragend dargestellt).

Aber genau genommen spinnen alle am Familientisch, schreien durcheinander, beschimpfen sich, werfen mit Gabeln, springen auf, gestikulieren, beruhigen sich wieder, wenn auch nur kurz. Das Einzige, worauf man sich freut an diesem unerträglichen Abend, ist das gemeinsame Essen. Damit wird das Kochen in seinem Restaurant für Carmy der allabendliche Versuch, die eigene Familie zu heilen.

So weit die ersten beiden Staffeln von «The Bear». In der letzten Folge feiert das neue Restaurant Premiere. So euphorisch bis dahin die Durchgänge der Serie von der Kritik gefeiert und mit Preisen dekoriert worden waren, so schroff schlug der Ton der Rezensionen um. Nun bekannten die Kritikerinnen und Kritiker, «The Bear» habe seinen Schwung verloren und die Handlung ihren Fokus.

Überlange Rückblenden wurden bemängelt und das Ausweichen in die Biografie von Nebenfiguren. Es klang so, als müsse eine Serie über das Kochen daherkommen wie eine Actionserie mit zerschellenden Schüsseln statt explodierenden Autos; als werde die Handlung erst dann nachvollziehbar authentisch, wenn das gesamte Küchenpersonal konstant am Rand des Nervenzusammenbruchs kocht oder schäumt.

Ein manisch-depressiver Beruf

Es stimmt zwar, dass die Serie das rasende Tempo ihrer ersten beiden Staffeln herunterfährt und sich intensiver mit ihren Figuren auseinandersetzt. Es stimmt auch, dass die Probleme des Teams dermassen zunehmen, dass sie über seinen Mitgliedern zusammenzubrechen drohen. Die eskalierenden persönlichen Schwierigkeiten, die den Alltag unerträglich werden lassen. Die Ungeduld des Geldverleihers, der zwar ein netter Kerl ist und den alle «Onkel» nennen, der aber eine halbe Million Dollar in die Beiz investiert hat und endlich profitieren möchte. Die Erschöpfung der Leute schliesslich, die sich heimlich nach besser bezahlten Stellen umsehen.

Und als wäre das alles nicht genug, verliebt sich der Bär noch in die schöne Ärztin Claire, die er von Kind auf kennt. Aber weil ihm die Arbeit über alles geht, verliert er sie wieder und tut nichts, um sie zurückzuholen. Dafür muss wohl Teil 4 herhalten. Sobald der serviert wird, reservieren wir sofort.

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