Mittwoch, Februar 5

Nachdem der Regulierungsdrang der EU lange von den USA kritisiert wurde, wollen auch sie sowie weitere Staaten und internationale Organisationen die Tech-Konzerne unter dem Banner der digitalen Souveränität an die kurze Leine nehmen. Für die Tech-Konzerne bedeutet das Angriffe auf Geschäftsmodelle, die globale Skalierung voraussetzen und die Notwendigkeit, sich mit Regierungen gut zu stellen.

Nachdem in den 90er-Jahren die Unabhängigkeit des digitalen Raumes von den alten Reichen der Industrie und Staaten beschwört wurde, könnte man sagen, dass diese Old Empires nun zurückschlagen. Denn seit einigen Jahren bemüht sich nicht nur die Europäische Union um weitgehende Regulierung des digitalen Raumes – oft unter dem Banner des Konsumentenschutzes, z.B mit dem de facto globalen Standard in Sachen Datenschutz, der Datenschutzgrundverordnung.

Spätestens seit künstliche Intelligenz wieder in aller Munde ist, und Schlagzeilen um staatliche Cyberangriffe aber auch Spionage- und Sabotageaktivitäten auf digitale Infrastruktur wie Unterseekabel zunehmen, finden auch andere Staaten wie die USA oder China gefallen an stärkerer staatlicher Einflussnahme. Denn es setzt sich die Erkenntnis durch, dass auch digitale Technologien und der digitale Raum strategisch interessant sind. Statt dem Schutz der Konsumenten geht es hier aber um die Durchsetzung eigener staatlicher Interessen unter dem Banner der digitalen Souveränität.

Merkantilistischer und nationalistischer Antrieb

Das zeigt sich nicht nur in nationalen politischen Aktivitäten, die teilweise recht offen merkantilistischer oder nationalistischer Natur sind. So hat die französische Regierung beispielsweise allen Ministern empfohlen, nicht-französische Messengerdienste wie WhatsApp, Signal oder Telegram zu Gunsten französischer Dienste zu deinstallieren, während in den USA ein Verbot von TikTok kurzzeitig zu einem umstrittenen Thema im Wahlkampf der republikanischen Kandidierenden wurde.

Neben länger bestehenden digitalen Phänomenen wie den sozialen Medien hat die Angst, bei künstlicher Intelligenz den Anschluss zu verlieren bzw. eine Führungsposition aufzugeben, bei diversen Staaten zu nationalen Initiativen und Industriepolitik geführt – insbesondere im Zweikampf zwischen China und den USA. So sehr, dass der Economist bereits von einem «KI-Nationalismus» spricht.

Der Digital Policy Alert zeigt über die letzten Jahre einen massiven Zuwachs politischer Bestrebungen, Tech-Konzerne und die digitale Wirtschaft zu zähmen. Das Thema digitale Souveränität treibt auch in internationalen Organisationen interessante Blüten, insbesondere wenn es um den digitalen Handel, sprich den freien Datenverkehr, geht. Während beispielsweise der Internationale Währungsfonds IMF für den freien globalen Datenverkehr plädiert, und die Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD im Sinne der Entwicklungsförderung bessere Regulierungen zum Abbau von globalen Ungleichgewichten fordert, setzt sich der Zweikampf China und USA auch in der Welthandelsorganisation WTO fort.

China hat bereits bisher internationale Organisationen geschickt genutzt, um eigene Interessen durchzusetzen, z.B. beim Thema Gesichtserkennung in der Internationalen Fernmeldeunion ITU. Das zeigt sich auch bei den laufenden Verhandlungen zum digitalen Handel, in welchen China eine starke Rolle spielen möchte. Die USA sind dabei auf den Zug aufgesprungen und haben – zum grossen Erstaunen vieler Beobachter und unter Kritik – ihre Verhandlungsposition ebenfalls angepasst, um mehr Spielraum für die Einschränkung und Regulierung des digitalen Handels zu haben.

Staaten wollen also existierende internationale Organisationen zur Durchsetzung nationaler Interessen im digitalen Raum verstärkt nutzen und nehmen dabei auch eine Abkehr von bisher hochgehaltenen Prinzipien in Kauf.

Unangenehme Entwicklung für Tech-Konzerne

Für Tech-Konzerne ist das eine unangenehme Entwicklung. Ihre Geschäftsmodelle basieren oft auf weltumspannender Skalierung, was sehr lange kein Problem war, aber mit zunehmender Fragmentierung der digitalen Infrastruktur infrage gestellt ist. Die grossen Konzerne werden hiermit wohl nur mittelfristig Probleme haben, da ihnen genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, um zu differenzieren – was für Innovation und Wettbewerb nicht unbedingt Gutes verheisst.

Doch auch sie werden sich dem politischen Gegenwind nicht entziehen können. Obwohl die Lobbying-Ausgaben der Tech-Konzerne bereits massiv gestiegen sind, werden sie sich in Zukunft noch besser überlegen müssen, wie sie sich gegenüber Staaten positionieren möchten. Denn da sie zurecht als Akteure der internationalen Beziehungen gelten, werden sie nicht darum herum kommen, sich entsprechende Überlegungen zu ihrer «Aussenpolitik» zu machen, was viele Firmen vor unangenehme Fragen ausserhalb ihrer eigentlichen Kompetenzen – der Entwicklung innovativer digitaler Services und Produkte – stellen wird.

Nicolas Zahn

Nicolas Zahn arbeitet als selbständiger Digitalisierungsexperte und als Digital Trust Expert bei der Swiss Digital Initiative. Zuvor war er für die IT-Beratung Elca und die Credit Suisse tätig. Er ist spezialisiert auf die Schnittstelle zwischen Politik und Technologie und hat sich unter anderem in Singapur und Estland mit der digitalen Transformation des öffentlichen Sektors beschäftigt. Seit seinem Studium der internationalen Beziehungen befasst er sich ausserdem mit geopolitischen und regulatorischen Entwicklungen. Zahn ist Mitglied der Think-Tanks foraus und reatch sowie der Operation Libero.

Exit mobile version