Er war für grossartige Inszenierungen und legendäre Uraufführungen ebenso bekannt wie für Provokation und Streit. Nun ist der grosse Theatermacher 88-jährig gestorben.

Am Ende seines langen Lebens gab Claus Peymann gerne den Hoftheaternarren. In schwarzem Habit, das ihm das Aussehen eines Hohepriesters verlieh, teilte er munter und ungeniert gegen Gott und die Welt aus. Das hatte er freilich schon immer getan. Aber auf einmal wirkten seine Suada, die er abliess, und der Zorn, den er zelebrierte, ein wenig traurig.

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Zu seinen besten Zeiten in Wien oder in Berlin hatte Claus Peymann kaum eine Chance zum Stänkern verpasst und selten ein Fettnäpfchen ausgelassen. Seine intensive Regiearbeit musste stets begleitet werden von Kommentaren zur Schieflage der Zeiten im Allgemeinen und zu Krisen des Theaterbetriebs im Besonderen.

Übertreibungen und Gossen-Jargon

In einem legendären Interview mit André Müller 1988 für die «Zeit» sagte er, kurz nachdem er Burgtheater-Direktor geworden war: «Wenn Sie wüssten, was für eine Scheisse ich hier erlebe! Man müsste dieses Theater von Christo verhüllen und abreissen lassen. Vielleicht schmeisse ich morgen schon alles hin. Beim österreichischen Kanzler Vranitzky liegt gerade ein Rücktrittsgesuch.»

Natürlich schmiss er nicht hin, und der Kanzler hat wahrscheinlich nie Post von Peymann bekommen, aber das wortreiche, endlos übertreibende Klappern, gespickt mit Gossen-Jargon, gehörte zum Handwerk dieses Feingeistes, dem bisweilen der Feinschliff fehlte.

Peymann sah sich als Solitär in einer unübersichtlichen und für seinen Geschmack überbevölkerten Theaterlandschaft. Wäre es nach ihm gegangen, so hätte seine Person im Verbund mit zwei, drei Dichtern und einer kleinen Garde von Schauspielern genügt. Zu den Autoren zählten Thomas Bernhard, dessen Stückenamen «Theatermacher» und «Weltverbesserer» wie die Faust aufs Auge zu Peymann passten.

Wichtig war für ihn auch Peter Handke, dem er mit seinen Uraufführungsinszenierungen («Publikumsbeschimpfung», «Kaspar») den Weg ins Theater ebnete. Seine Ehrfurcht galt schliesslich Kleist, Shakespeare, Goethe – oder Eugène Ionosco, den ausser ihm niemand mehr aufführen wollte. Und ohne grosse Mimen wie Kirsten Dene, Ilse Ritter, Gert Voss oder Bernhard Minetti, das musste der stolze Egomane selbst zugeben, wäre aus ihm nie das geworden, was er war.

Lust am Streit

Geboren am 7. Juni 1937 in Bremen als Sohn eines Lehrers, studierte Claus Peymann Germanistik und Theaterwissenschaften und begann mit seiner Bühnenarbeit am Universitätstheater in Hamburg. Er ging dann nach Heidelberg, sorgte am Frankfurter Theater am Turm mit Handkes frühen Stücken für Aufregung und kam 1970 an die Schaubühne in Berlin, wo er sich mit Peter Stein überwarf, der ein demokratisches Mitbestimmungsrecht am Haus einführte.

Schon diese ersten Stationen hatten offenbar die Lust am Streit geweckt. Auf jeden Fall machte sich Peymann in der nächsten Stadt gleich von Beginn an unbeliebt. In Stuttgart – «Das ist eigentlich meine wirkliche Geburt» – konzentrierte er sich nicht allein auf die Theaterarbeit, er mischte sich auch gleich ins politische Leben ein, legte sich mit dem Ministerpräsidenten an, sammelte für Zahnersatz für die inhaftierte Terroristin Gudrun Ensslin. Aber er blieb nicht lange.

In Bochum wurde er 1979 Nachfolger von Peter Zadek. Doch wenn er hier im Ruhrpott auch nur die eine Inszenierung von Kleists «Hermannschlacht» gemacht hätte, müsste man sagen, dass es wohl seine grösste Zeit gewesen ist. Niemand vor ihm hatte den alten Text je so radikal für die Gegenwart auf die Bühne gebracht; die Fachzeitschrift «Theater heute» sprach von der «wahren Uraufführung». Für ihn war dieser Kleist, den die Nazis ebenso für sich zu vereinnahmen versucht hatten wie die DDR, «so etwas wie das Modell eines Befreiungskampfes mit allen seinen Widersprüchen». Ein bildgewaltiges Bühnenfest, dem Peymann ein lakonisches Motto gab: «Theater ist schöner als Krieg.»

Was nicht heissen sollte, dass er selbst irgendwie friedfertig geworden war. Im Gegenteil, der grosse Kampf stand erst bevor. Denn die bürgerlich-konservativen Kreise in Wien dachten an Weltuntergang als feststand, dass «Piefke» Peymann Direktor des Burgtheaters werden sollte. Heute schaut man an der Donau mit ein bisserl Wehmut auf die Jahre von 1986 bis 1999 zurück, als die Burg bestens gerüstet war für Skandale und Empörung, weil ein Claus Peymann hier die biedere Seligkeit austreiben wollte.

Manche meinten, der Deutsche würde die unantastbare Kulturinstitution schleifen, nicht erst als er Bernhards «Heldenplatz» aufführen liess, wo den Österreichern die braune Suppe hochkochte. Dass er Wien wieder zu einer richtigen und auch streitfreudigen Theaterstadt gemacht hat, bleibt unumstritten.

Und ohne das Duo Bernhard-Peymann wäre es ja auch fad gewesen am Ring. Also amüsierte man sich insgeheim doch köstlich über die garstigen Spässe und fand den Regisseur sogar menschlich, der mit dem Dichter am Ring eine Hose kaufen und essen ging – «Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen» heisst tatsächlich ein Dramolett Bernhards aus dieser bewegten Zeit.

In Berlin indessen, wo er sich als Prinzipal einführen wollte, als er Brechts Ensemble am Schiffbauerdamm übernahm, sorgte Peymann nur selten noch für künstlerische Höhepunkte. Heute würdigt ihn die Stadt immerhin vorsichtig als Ermöglicher, als Wiederbeleber einer Vorkriegs-Theatertradition. Dass man ihn an der Spree nicht so liebte, wie er das als für sich richtig und nötig erachtete, quittierte er zuletzt mit Hohn und Spott für seinen Nachfolge Oliver Reese.

Alte Anekdoten

Seitdem wanderte er herum, inszenierte in Wien an der Josefstadt, begab sich sogar in Provinzen wie etwa Ingolstadt und liess immer wieder mal spassig-grantig von sich hören. Dabei amüsierte er sich selber köstlich über alte Anekdoten, die er aus dem Fundus seiner irgendwo zwischen Hass und Liebe angesiedelten Freundschaft mit Thomas Bernhard hervorkramte, dessen Weltverachtung er in all seinen Selbstinszenierungen teilte.

Einmal, vor vielen Jahren, sass Claus Peymann nachts im Café Havelka in Wien und bestellte sich sogenannte Buchteln, ein süsses Gebäck aus Hefeteig, für die das Lokal berühmt ist. Dem Kellner, der die Buchteln brachte, versicherte der Künstler nach dem ersten Bissen zornig, dass die Mehlspeise damals, «als ich noch Burgtheaterdirektor war», viel besser und grösser gewesen sei. Der Ober nebenan hörte zu – und zuckte bloss mit den Schultern. Die grosse Zeit der Buchteln und des Theaters war anscheinend vorbei.

Nun ist der grosse Theatermacher Claus Peymann im Alter von 88 Jahren nach langer Krankheit verstorben.

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