Donnerstag, Oktober 10

Der Name «Hotel Rivington & Sons» ist eine augenzwinkernde Reminiszenz an Zeiten, da Bars sich tarnen mussten. Nicht nur deshalb gehört dieses Zürcher Lokal zu den originellsten im Land.

So manche Gesundheitsapostel, unser Falter ahnt’s, sehnen sich nach der Prohibition. Am liebsten würden sie das Rad der Geschichte um hundert Jahre zurückdrehen: Damals war Alkohol in Amerika verboten, gemäss 18. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten. Bars verschwanden, umso mehr wuchs die organisierte Kriminalität.

Das brachte, Ironie des Schicksals, die Barkultur erst richtig zum Blühen: Viele erfahrene Keeper wanderten nach Europa aus und machten ihre Kunst hier populär. Andere aber läuteten in ihrer amerikanischen Heimat das goldene Zeitalter der Cocktails ein, die in geheimen «Speak easy»-Trinkstätten gemixt und geschlürft wurden. Das waren Hinterzimmer oder Keller, wo man sich Einlass per Codewort verschaffte und vorzugsweise nur im Flüsterton sprach.

Als augenzwinkernden Verweis auf jene Epoche, die gewissermassen in illegalen Bars der achtziger und neunziger Jahre vor der Liberalisierung des Zürcher Gastgewerbegesetzes einen Nachhall fand, nimmt unser Falter den Namen «Hotel Rivington & Sons». So nennt sich eine der originellsten und gelungensten American Bars der Schweiz: Der Tresen im Schein von zwei Dutzend Lämpchen mag an eine Empfangstheke erinnern, aber ein Bett findet man hier nicht; dafür Cocktails, gekonnt zubereitet und in den adäquaten Gläsern serviert.

Die Bar beseelt das Erdgeschoss eines kühlen Kolosses namens Prime Tower in Zürich-West, er galt bei seiner Eröffnung 2011 als höchstes Haus der Schweiz. Dessen schillerndem Hochglanz setzt das Lokal im Parterre viel Nostalgie und eine Patina entgegen, die teils vorgetäuscht, grossteils aber echt ist. Das Ergebnis ist eine eigenwillige, für manche auch gewöhnungsbedürftige Mischung aus modernem Grossstadtleben und «Once upon a Time in America», Sergio Leones genau vierzigjährigem Meisterwerk, das in der Prohibitionszeit spielt.

In der oberen Hälfte des schier endlos hohen Raums verdecken geraffte weisse Vorhänge mit Sinn für Theatralik einen Teil der Fenster, so dass nicht zu viel Aussenwelt eindringen kann. Der Barkeeper hinter dem unpolierten Marmortresen trägt eine schwarze Weste über weissem Hemd. Die Musik ist chillig, das Publikum bunt gemischt an diesem Donnerstagabend um halb elf. Businessleute, wohl Mitarbeiter der im Hochhaus untergebrachten Unternehmensberatungen und Anwaltskanzleien, mischen sich unter die paar Teenager, die hier vorglühen, ehe sie sich ins Partygewühl umliegender Viertel stürzen.

Der Falter lässt sich neben einer Säule im Art-déco-Stil am Fensterbrett nieder, ehe er durch den links der Theke versteckten Durchgang flattert: Von dort führt ein schmaler, verwinkelter Treppenaufgang mit dreissig Stufen über ein leicht gespenstisches Vorzimmer mit Jagdtrophäen an der Wand zum «Geheimraum» – Zutritt ohne Passwort. Die Gesprächsatmosphäre ist dort besonders angenehm, Perserteppiche und eine ausgefeilte Lichtregie sorgen für Behaglichkeit; als Blickfang dient ein hundertjähriger Holz-Barkorpus aus den Roaring Twenties, den die geistigen Väter und Pächter dieses Lokals wie manch andere Materialien eigens aus New York haben hierher schiffen lassen.

Es handelt sich um die findige Crew der Raumzuerich GmbH, deren Erfolgsgeschichte mit dem «La Stanza» am Bleicherweg begann. Von ihrer Handschrift zeugt auch die Toilettenanlage in antikisiertem Stil: Ihre stillen Örtchen sollte man unbedingt aufsuchen, ob man nun mal muss oder nicht. Sie sind Orte mit Geschichte und Geschichten, wie die zugehörigen Bars, die wirken, als wären sie schon immer da gewesen.

Das fast täglich von früh bis spät geöffnete «Hotel Rivington & Sons» nimmt in «Little Manhattan downtown Switzerland» mit jeder Tageszeit eine andere Stimmung an. Seine Betreiber sind wie Regisseure, sie entführen die Gäste ihrer Lokale in filmreife Settings. Dazu passt der Holy Wood (Fr. 18.–), den der Falter ordert, ein Sour mit Anleihen beim Margerita, aber auf Basis eines waldigen Gins aus Kalifornien. Der vermählt sich, stilgerecht im eisgekühlten Glas ohne Eiswürfel, mit Lillet Blanc, trockenem Sherry und einer Palo-Santo-Holznote, die eine dezent rauchige Spur hinterlässt.

Nebst inspirierenden Hauscocktails, bei denen für jeden Geschmack etwas dabei ist, mixt die Crew auf Wunsch so gut wie jeden Klassiker – sowie für Abstinente ein paar fruchtige Mocktails, die ohne diese neumodischen 0,0-Promille-Spirituosen auskommen. Und die Prohibition ist auch in den Köpfen weit, weit weg.

Bar
Hotel Rivington & Sons
Prime Tower
Hardstrasse 201, 8005 Zürich
Sonntags geschlossen.

Der Nachtfalter ist stets unangemeldet und anonym unterwegs und begleicht am Ende stets die Rechnung. Sein Fokus liegt auf Bars in Zürich, mit gelegentlichen Abstechern in Städte anderer Landesteile.

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