Freitag, Oktober 18

Der Coach Domenico Tedesco sollte einen Generationenwechsel einleiten, hat stattdessen aber die Führungsspieler gegen sich aufgebracht. Nach den jüngsten Niederlagen fordern die Fans nun Tedescos Absetzung.

«Tedesco démission!», lautete das unmissverständliche und unüberhörbare Urteil: Tedesco raus! In der Schlussphase des Nations-League-Spiels gegen Frankreich am Montagabend forderten zahlreiche belgische Fans im Brüsseler Nationalstadion die Absetzung des Nationaltrainers Domenico Tedesco.

Schon vor Spielbeginn taten sie ihren Unmut kund, als Tedescos Name nach dem Verlesen der Mannschaftsaufstellung genannt wurde. Sie pfiffen ihn aus. Das gehöre zum Fussball dazu, so versuchte der 39-Jährige die angespannte Stimmungslage zu beruhigen, er könne die Leute verstehen, wenn sie über die Ergebnisse enttäuscht seien.

Immer wieder Pleiten gegen Frankreich

In diesem Jahr verloren die Belgier drei Mal hintereinander gegen ihren Angstgegner Frankreich, am Montag nun 1:2 (1:1) – obwohl sie nach dem Platzverweis für Frankreichs Aurélien Tchouaméni mehr als eine Viertelstunde in Überzahl agiert hatten. Zuvor waren sie im EM-Achtelfinal (0:1) und im Nations-League-Hinspiel (0:2) unterlegen. Der bisher letzte Pflichtspielsieg gegen den Erzrivalen datiert sogar von der WM-Qualifikation 1981.

Die Bilanz löste bei Belgiens Red Devils, den roten Teufeln, gewissermassen einen Höllenbrand aus. Wegen der Niederlage wird Belgien wohl die Endrunde der Nations League verpassen und das Abstiegs-Play-off absolvieren müssen. Die Pariser Tageszeitung «Le Parisien» spottete, Belgien sei ein Fussballland, das sich «in Selbstsabotage» übe.

Damit spielte das Blatt auch auf den WM-Halbfinal 2018 an, als Belgien trotz Überlegenheit gegen die Franzosen ausschied und damit erneut den erhofften ersten Triumph verpasste. Damals befand sich das talentierte Team, das seinerzeit der heutige FC-Bayern-Coach Vincent Kompany als Captain anführte, auf dem Höhepunkt der Schaffenskraft; es wurde in der Heimat als «goldene Generation» apostrophiert. Ähnlich weit kam man an Turnieren danach nicht mehr. An der WM 2022 kam es zu einem unheilvollen Ende, das Team schied wegen interner Zerwürfnisse bereits in der Vorrunde aus.

Daraufhin traten einige Akteure und der Trainer Roberto Martínez ab. Martínez’ italienisch-deutscher Nachfolger Tedesco sollte die Mannschaft einen und einen Generationswechsel um die verbliebenen Ausnahmespieler Kevin De Bruyne und Thibaut Courtois einleiten.

Stattdessen schien der deutsche Trainer, der zuvor RB Leipzig und Schalke 04 gecoacht hatte, das brüchige Gebilde mit einer unattraktiven Spielweise und einer diskutablen Personalauswahl nur noch weiter zu spalten. An der EM 2024 wurde das Team nach der Vorrunde gnadenlos ausgepfiffen, weil es im letzten Gruppenspiel gegen die Ukraine am Ende auf Remis spielte, um den zweiten Platz zu sichern. In seiner Analyse nach dem Turnier gestand Tedesco, während der EM «keinen einzigen Moment der Freude verspürt» zu haben.

Nach dem EM-Aus schnauzte der Captain De Bruyne auf die Frage zur sogenannten goldenen Generation: «Was ist eine goldene Generation?» Seinen Frust über den Zustand des Nationalteams legte er dann im September offen, als er nach der neuerlichen Pleite gegen Frankreich am Spielfeldrand schimpfend damit drohte, seine Karriere im Nationalteam zu beenden.

«Ik stop», liess sich von De Bruynes Lippen ablesen: Ich höre auf! Mit glühend rotem Kopf schonte der Spielmacher weder die Mitspieler noch den Trainer. Wenn es für die Spitze nicht mehr reiche, müsse man zumindest alles geben – was einige nicht getan hätten. Zudem stehe man «mit zu vielen Leuten hinten drin», weshalb es kaum eine Verbindung nach vorn gebe, beklagte er damals. Immer wieder rieb er sich dabei die Augen. Seit dem Sieg im EM-Achtelfinal 2021 gegen Portugal hat Belgien kein Pflichtspiel mehr gegen eine Nation gewonnen, die sich in der Weltrangliste unter den ersten 20 befindet.

Für die Länderspiele im Oktober und auch für die nächsten im November sagte der 33-Jährige ab. Jüngst hatte er bei Manchester City angeschlagen gefehlt, sein Trainer Josep Guardiola sagte, die Verletzung sei aber keine grosse Sache. Tedesco begründete De Bruynes Absenz damit, dass sich dieser so «um seinen Körper kümmern» könne.

Grundsätzlich hat De Bruyne in Aussicht gestellt, bis zur WM 2026 an Bord zu bleiben, sein Vertrag in Manchester läuft derweil zum Saisonende aus. Ihm fehlt nur noch ein Titel mit Belgien, um seine Karriere zu vergolden. Im Klubfussball hat De Bruyne alle möglichen Pokale geholt.

Auch Lukaku und Courtois bleiben dem Nationalteam fern

Neben De Bruyne verzichtete auch Romelu Lukaku auf eine Berufung, er hatte Tedesco schon im September gebeten, ihn nicht zu berücksichtigen. Damals war der Angreifer erst am letzten Transfertag vom FC Chelsea zur SSC Neapel gewechselt und wähnte sich in nicht adäquater körperlicher Verfassung. Nun bekräftigte der Trainer, dass Lukaku weiterhin mit Einsätzen über die volle Spieldauer zu kämpfen habe – obwohl er in Napoli jüngst in allen Ligaspielen in der Startformation gestanden hatte und erst spät in der zweiten Halbzeit ausgewechselt wurde.

Lukakus Fehlen wirkt wie eine bittere Pointe für Tedesco, der den Stürmer bisher durchgehend gestärkt hatte. Damit brachte der Trainer sogar den Weltklasse-Goalie Courtois von Real Madrid gegen sich auf. In einem für Courtois persönlich wichtigen Spiel im Juni 2023 nahm ihm Tedesco (in Abwesenheit von De Bruyne) die Captainbinde weg – und gab sie Lukaku. Courtois reiste beleidigt ab, Tedesco machte die Sache publik. Seitdem absolvierte der 32-Jährige kein Spiel mehr für das belgische Nationalteam. Kürzlich kündigte der Goalie an, unter Tedesco nicht mehr für Belgien zu kicken.

Die Probleme des Teams korrelieren mit den Querelen im Verband. So hat Tedesco in seiner Zeit als belgischer Nationaltrainer seit Februar 2023 etwa vier CEO kennengelernt. Um die Kompetenz zu erhöhen, wurde mit Tedesco der Technische Direktor Frank Vercauteren angestellt. Dessen Vertrag läuft zum Jahresende aus und wird nicht verlängert. Der Kontrakt des Trainers läuft noch bis zur WM 2026.

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