Samstag, Februar 22

Der FDP-Präsident fordert eine bürgerliche Politikwende und schaut mit einem gewissen Neid auf die Kampagnenfähigkeit der Linken. Das sei ein gut geöltes Räderwerk von Politik, Verwaltung, Medien, NGO und Experten.

Herr Burkart, nach Klima- und Woke-Welle sind bürgerliche Werte wieder gefragt. Hat Christoph Blocher recht, wenn er sagt, in der westlichen Welt finde eine konservative Revolution statt?

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So einfach ist es nicht, fürchte ich. In der westlichen Welt lässt sich zwar eine wohltuende Gegenbewegung zu Moraldiktatur, Staatsintervention und Cancel-Culture beobachten. Gleichzeitig wachsen die Ansprüche an den Staat.

In Deutschland profitiert die FDP nicht annähernd von dieser Gegenbewegung. Wie sieht es in der Schweiz aus?

Am stärksten profitieren nationalistische Kräfte. Das zeigt sich etwa in den Abschottungstendenzen der USA, wo sogar der Freihandel beschränkt wird. Auch in Europa sind die nationalistisch-identitären Kräfte zurzeit stärker als die liberal-aufklärerischen – dies insbesondere als Folge der verfehlten Migrationspolitik. In der Schweiz steht das Urteil aber noch aus.

Die FDP hat kürzlich in Bern eine Art bürgerliche Gegenbewegung ausgerufen. Was verstehen Sie unter bürgerlich?

Eines der Grundprinzipien des 1848 gegründeten Bundesstaats sind die Freiheitsrechte, wie sie in der ersten Bundesverfassung verankert sind. Der Staat dient dem Zusammenhalt der Nation. Gleichzeitig gewährt man seinen Bürgerinnen und Bürgern weitgehende Freiheitsrechte, damit sie ihr Leben möglichst frei von staatlichen Eingriffen gestalten können. Das ist der Kern bürgerlicher Politik.

An der Delegiertenversammlung haben Sie gesagt, die Politik der FDP richte sich an alle, «die den Wecker stellen». Wie ist das gemeint?

Das ist wortwörtlich gemeint. Die Schweiz ist stark, weil die Bürgerinnen und Bürger jeden Morgen aufstehen und sich an ihr Tagwerk machen. Wir setzen uns für alle Menschen ein, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und ihre Pflichten erfüllen. Denn sie sind die Leistungsträgerinnen und Leistungsträger dieses Landes.

Wie kommt der neue Kurs in der Basis an?

Ich habe viele sehr positive Rückmeldungen erhalten. Mit der Positionierung kehrt die FDP zu ihrem Kern zurück. Andere Parteien entfernen sich entweder zunehmend von der bürgerlichen Politik, oder sie schaffen Opfernarrative, um den Opfern dann immer neue Versprechungen zu machen. Sie suggerieren, dass der Staat für das Glück aller sorge – und das selbstverständlich ohne Kostenfolge. Wir versprechen kein staatliches Glück, sondern kämpfen für freiheitliche Rahmenbedingungen, die zunehmend bedroht sind. Freiheit ist kein Synonym für Glück, sondern für anspruchsvolle Entscheidungen. Das ist bürgerlich-liberale Politik, und dafür stehen wir mittlerweile alleine in unserem Land.

Wo sehen Sie denn die Freiheit bedroht?

Zum Beispiel, wenn der Bundesrat auf Druck der Linken ernsthaft erwägt, eine neue Steuer auf Vorsorgevermögen einzuführen. Er will die Regeln während des Spiels ändern und Kapitalbezüge in der zweiten und dritten Säule stärker besteuern. Damit bestraft er genau jene Bürgerinnen und Bürger, die sich eigenverantwortlich um ihre Altersvorsorge kümmern. Die FDP hat dagegen eine Petition eingereicht und in wenigen Tagen knapp 45 000 Unterschriften gesammelt. Sollte das Parlament diesen Vorschlag unterstützen, erwägen wir, dagegen das Referendum zu ergreifen.

Referenden und Initiativen waren bisher ein Instrument der politischen Pole: Die Linke macht derzeit mit der Erbschaftssteuerinitiative der Juso Druck, und für die zweite Konzernverantwortungsinitiative wurden innert zwei Wochen 180 000 Unterschriften gesammelt.

Die Linke treibt die bürgerlichen Parteien mit Abstimmungen vor sich her und bereitet so den Boden für eine entsprechende Politik. So hat sich die Sozialkommission des Ständerats kürzlich für einen Ausbau der IV-Renten ausgesprochen, obwohl die 13. AHV-Rente entgegen dem damaligen Versprechen der Initianten noch nicht finanziert ist. Die Linken versprechen der Bevölkerung höhere Renten, ohne darauf hinzuweisen, dass die dafür nötige Erhöhung der Mehrwertsteuer oder der Lohnabgaben den Mittelstand und KMU zusätzlich belastet. Nur eine politische Wende kann diese verantwortungslose Politik stoppen.

Auch bürgerliche Wählerinnen und Wähler sehnen sich zunehmend nach dem Versorgungsstaat. Das zeigt das Ergebnis der Abstimmung über eine 13. AHV-Rente.

Nicht alle bürgerlichen Wähler. Ob 13. AHV-Rente, Pensionskassenreform, Autobahnausbau oder einheitliche Finanzierung von Gesundheitsleistungen: Die FDP-Basis hat bei all diesen Vorlagen klar bürgerlich entschieden, während ein entscheidender Teil der Mitte und der SVP mit der SP und den Grünen stimmte. Die eigentliche Treiberin dieser Entwicklung ist aber klar die Linke. Statt ernsthaft darüber zu diskutieren, wie man den Wohlstand auch für die nachfolgenden Generationen sichern kann, fordert sie in rot-grünen Städten wie Zürich, Bern oder Lausanne gegenderte Strassenschilder oder die Entwaffnung der Polizei.

Immerhin konnten SP und Gewerkschaften jüngst mehrere Abstimmungserfolge feiern. Und hinter Anliegen, die angeblich aus der Tiefe der Bevölkerung kommen, stehen oft linke NGO. Wie steht es eigentlich um die Kampagnenfähigkeit bürgerlicher Kreise?

Ich schaue mit einem gewissen Neid auf die Kampagnenfähigkeit, die die Linken mit dem Geld der Gewerkschaften aufgebaut haben. Die SP ist uns kampagnentechnisch um Jahre voraus. Sie kann per Knopfdruck über 100 000 Leute erreichen.

Das ist auch ein indirekter Vorwurf an die Wirtschaftsverbände.

Wir haben alle Aufholbedarf. Wir von der FDP investieren intensiv in unsere Kampagnenfähigkeit und sind bereits auf gutem Weg. Die Petition gegen die Vorsorgesteuer haben innert Tagen fast 45 000 und jene gegen die Entwaffnung der Polizei über 25 000 unterzeichnet. Das Gesamtsystem, das sich in der Wechselwirkung von linken und etatistischen Kräften entwickelt hat, wird immer mächtiger. Die stärkste Lobbyvereinigung ist heute die Verwaltung.

Das müssen Sie bitte erklären.

In der Bundesverwaltung in Bern kommt es immer wieder vor, dass Staatsangestellte Vorstösse für die linken Parlamentsmitglieder formulieren – unabhängig davon, wer dem Departement vorsteht. Die Politiker reichen diese Postulate und Motionen dann dankbar ein – unter dem Jubel der, gemäss Eigendeklaration über 75 Prozent, linken Journalisten, die ihrerseits gerne noch ein Gutachten einer linken Uni-Expertin zitieren. Das Lobbying übernehmen dann die NGO, die oft direkt vom Vorstoss profitieren. Das sind gut geölte Zahnräder, die da ineinandergreifen. Um die linke Maschinerie zu kaschieren, zeigen die Linken gerne auf den bürgerlich dominierten Bundesrat. Doch das ist ein Ablenkungsmanöver. Eine bürgerliche Maschinerie gibt es nicht mehr, wenn es denn überhaupt je eine gegeben hat.

Die Bundesverwaltung zählt 38 000 Vollzeitstellen, und in Zürich kommen auf 1000 Bürger 28 Beamte. Was sind die Folgen?

Sie zeigen sich am deutlichsten in der Bürokratie und der staatlichen Überreglementierung. Reden Sie mal mit einem Bauunternehmer, mit einer Treuhänderin, einer Landwirtin im eigenen Betrieb oder einfach jemandem, der ein Haus bauen möchte. Alle sagen das Gleiche: Die Bürokratie erdrückt sie. Die Folge ist, dass Entwicklungen blockiert werden.

Die FDP hat diesen Staat aufgebaut, heute setzt sie ihn mit Überreglementierung und Bürokratie gleich.

Der Staat, den der Freisinn aufgebaut hat und der sich auf Wesentliches beschränkt, ist nicht mehr der Staat, mit dem wir es heute zu tun haben. Die Bürokratie ist die Feindin der Freiheit, weil sie das Leben der Bürgerinnen und Bürger einschränkt. Sie verschlingt Geld, sie bremst Innovation, sie frisst Lebenszeit. Die Produktion von Merkblättern, Richtlinien und Formularen hat mittlerweile ein Ausmass angenommen, das an Realsatire grenzt.

Wo zum Beispiel?

Die Stadt Zürich mutet ihren Bewohnerinnen und Bewohnern tatsächlich ein Kompostreglement zu. Und es wird auch kontrolliert, ob man richtig kompostiert. Diese Überbürokratie ist nicht nur lächerlich, sondern gefährlich. Eine Gesellschaft, die immer stärker mit Administration und mit der Einhaltung von Vorschriften beschäftigt ist, ist auch weniger produktiv. Es ist kein Zufall, dass das Stellenwachstum ausgerechnet in der Compliance-Branche besonders stark ausfällt.

Bis vor ein paar Jahren war auch die Mitte eine bürgerliche Partei, dann schärfte der Parteichef Gerhard Pfister das sozialpolitische Profil und griff die FDP an. Hoffen Sie auf eine Rückkehr der Mitte in den Kreis der Bürgerlichen?

Die Mitte-Partei war ein System, das fast ganz auf die Person von Gerhard Pfister ausgerichtet war. Er hat die Mitte schon vor den nationalen Wahlen als sogenannt dritten Pol positioniert und sich von der bürgerlichen Zusammenarbeit verabschiedet. Er folgte den Linken insbesondere in der Sozialpolitik, die enorme Kosten für den Mittelstand und KMU verursacht. Ich hoffe sehr, dass die Mitte unter Gerhard Pfisters Nachfolger im Interesse einer bürgerlichen Schweiz ins bürgerliche Lager zurückfindet.

Der Mitte gelang es nur mit Mühe, ein akzeptables Zweierticket zu präsentieren. Kann die FDP nun von der Schwäche der Konkurrenz profitieren?

Ehrlich gesagt wäre es mir lieber, die Mitte würde sich an ihre bürgerlichen Wurzeln erinnern und gemeinsam mit der FDP gegen die linke Übermacht kämpfen. Die Politik ist mithilfe der Mitte stark nach links gekippt. Zum Glück haben die bürgerlichen Mitte-Ständeräte manches verhindert.

Beide Bundesratskandidaten der Mitte sind klar bürgerlicher als die scheidende Verteidigungsministerin Viola Amherd. Nach der Wahl dürften fünf von sieben Bundesräten ein klar bürgerliches Profil haben.

Für den Bundesrat trifft die arithmetische Logik eines Parlaments nicht zu. Zum einen, weil das Gremium kaum je abstimmt, zum andern, weil die Departemente und ihre Bundesämter sehr stark und bestimmend sind.

Wem geben Sie den Vorzug? Pfister oder Ritter?

Für die FDP sind beide Kandidaten valabel. Entscheidend werden nun die Hearings sein.

Der Neue muss mit fast hundertprozentiger Sicherheit das VBS übernehmen. Welche Erwartungen haben Sie an den neuen VBS-Chef?

Ich habe schon vor dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs mehr Geld für die Armee gefordert. Die veränderte geopolitische Lage und der drohende Rückzug der USA als Schutzmacht Europas haben nun endgültig klargemacht, dass die Armee ihre Verteidigungsfähigkeit nur dann wieder erlangen kann, wenn sie mehr Mittel erhält. Die wichtigste Aufgabe der neuen VBS-Führung wird nun aber sein, dem Parlament und der Öffentlichkeit aufzuzeigen, wie die verfassungsmässig geforderte Verteidigungsfähigkeit – nicht nur der Armee – wieder erlangt wird, wie die entsprechende Strategie aussieht, welche Mittel und welche Alimentierung dazu nötig sind und wie die Priorisierung vorgenommen und wie entsprechend die benötigten finanziellen Mittel eingesetzt bzw. priorisiert werden. Selbstverständlich müssen auch die Schlüsselprojekte überprüft und bereinigt werden. Man kann einen Brief der Finanzdelegation der Bundesversammlung, die sich besorgt zeigt, nicht einfach ignorieren.

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