Gala-Abend im Zirkus Gottéron – die Freiburger stehen nach dem 4:3 gegen Lausanne vor dem ersten Einzug in den Play-off-Final seit 13 Jahren.
Wäre Fribourg-Gottéron ein Zirkus, am Samstag wäre Galaabend gewesen. Kurz vor 23 Uhr hatte die zweite Verlängerung im vierten Spiel des Play-off-Halbfinals eben erst begonnen. Da wuchtete Jan Dorthe die Scheibe über die Schulter von Lausannes Torhüter Kevin Pasche ins Tor. Der Jubel der 9262 Zuschauer war derart ohrenbetäubend, dass es der Arena das Dach zu heben schien.
Gottéron gewann gegen den Lausanne HC 4:3. Ein Abend, der in einem jener Dramen zu enden drohte, wie sie nur Gottéron durchleiden kann, fand doch noch ein gutes Ende. 4,5 Sekunden vor Ende des dritten Drittels hatte Damien Riat für Lausanne ausgeglichen und damit die Verlängerung erzwungen. Vorausgegangen war dem Tor ein haarsträubender Fehler des Freiburger Verteidigers Andreas Borgman.
Doch der Aussetzer des Schweden blieb ohne Konsequenz. Der 19-jährige Dorthe, der als 13. Stürmer in den Match gestiegen war und nur deshalb auf dem Eis stand, weil Nathan Marchon verletzt ausgeschieden war, korrigierte den Lapsus. Gottéron fehlt noch ein Sieg, um erstmals seit 13 Jahren wieder in den Play-off-Final einzuziehen.
Fribourg feiert das 400. Tor von Julien Sprunger
Der Freiburger Anhang feierte derart euphorisch, als wäre das Team bereits Meister geworden. Eine ganze Region fiebert diesem Ereignis seit 88 Jahren entgegen. Der 1937 gegründete Klub ist der dienstälteste der Liga. Seit seinem Aufstieg im Frühjahr 1980 gehört Gottéron unentwegt der National League an. Doch Meister war Freiburg nie.
Dass man in der Region davon träumen darf, ist auch dem Trainer Lars Leuenberger geschuldet. Doch gefeiert wurde am Samstagabend nicht er, sondern Julien Sprunger. Der 39-Jährige hat seine erste Partie für Gottéron im Frühjahr 2003 bestritten. Kurz vor Weihnachten verlängerte er seinen Vertrag um ein weiteres Jahr. Er wird nächste Saison den Davoser Andres Ambühl als ältesten Spieler in der Liga ablösen.
Sprunger sagte bei der Verlängerung: «Ich fühle mich fit und kann dem Team noch einiges an Fähigkeiten vermitteln.» Dass das mehr als leere Worte waren, bestätigte der Senior in den Play-offs. Am vergangenen Donnerstag hatte er Spiel 3 der Serie in der zweiten Verlängerung entschieden, am Samstag brachte er Gottéron im Mitteldrittel nach einem Solo über das ganze Feld 3:2 in Führung. Es war sein 400. Treffer in der Liga.
Die 31 Heimspiele dieser Saison waren allesamt ausverkauft
Sprunger ist so etwas wie Gottérons Thomas Müller. Wie der Bayern-Profi hat er während der ganzen Karriere nie für einen anderen Klub gespielt. In den laufenden Play-offs hat er bereits viermal getroffen. Auf sein Geheimnis angesprochen, antwortete er am Samstag: «Ich habe Spass an dem, was ich mache.» So einfach kann das Leben sein.
Noch hat Gottéron die Serie gegen den LHC nicht beendet. Bereits im Viertelfinal gegen den SC Bern hatten die Freiburger eine 3:1-Führung noch aus den Händen gegeben und sich erst im siebenten Spiel auswärts durchgesetzt. Im Kabinengang wurde man deshalb nicht müde, vor vorschneller Euphorie zu warnen.
Das Publikum kümmerte das nicht. Die Begeisterung in der Region ist grenzenlos. Im 31. Heimspiel der Saison war die BCF-Arena zum 31. Mal ausverkauft. 285 356 Zuschauer passierten bis jetzt die Eingangstür der Arena – in einem Kanton mit 341 500 Einwohnern. Gottéron ist mehr als ein Verein. Er ist ein Identitätsstifter und ein Monument wie die Kathedrale in der Unterstadt. «On est Gottéron», wie der Anhang sagt.
Im Sog von Fribourg-Gottéron erlebt das Eishockey in der ganzen Westschweiz eine Hausse. Die Region ist die Wiege der Sportart in der Schweiz. Hier wurden zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts der Schweizer Eishockeyverband und auch der Weltverband International Ice Hockey Federation (IIHF) gegründet. Englische Touristen hatten Eishockey in die Wintersport-Destinationen im Waadtland und im Wallis gebracht.
Der HC Villars und der HC Bellerive Vevey gehörten zu den acht Gründungsmitgliedern des Verbandes, Villars war in den 1960er Jahren zwei Mal Meister. Es folgte die Ära des HC La Chaux-de-Fonds, der zwischen 1968 und 1973 sechs Titel aneinanderreihte. Doch dann begann eine lange Dürre, ehe Genf/Servette den Titel vor zwei Jahren wieder einmal in die Westschweiz holte.
Grenzenlose Euphorie nicht nur in Freiburg
Marc-Anthony Anner stammt aus Villars. Der 58-jährige Unterwalliser ist seit vergangenem Herbst interimistischer Präsident des Schweizer Eishockeyverbandes. Er sagt: «Ich sehe die Euphorie in der Romandie täglich in meinem Beruf als Schuldirektor.» Eishockey sei im Moment bedeutender als Fussball. «Die Eishallen sind der ‹place to be›.» Servettes Titel habe der ganzen Region gut getan, sagt Anner. Er habe sie vom Stigma befreit, notorischer Verlierer zu sein.
Der Westschweizer Boom ist nicht zuletzt das Produkt der wirtschaftlichen Entwicklung. Das Léman-Becken hat sich in den vergangenen Jahren in eine blühende Wirtschaftsregion verwandelt. Auch in Lausanne, bei Gottérons Play-off-Gegner, grassiert nach Jahren voller Enttäuschungen die Hockey-Euphorie. Die Arena ist regelmässig ausverkauft, auch wenn die Stadionauslastung nicht ganz mit jener in Freiburg mithalten kann.
Und doch ist das Verhältnis der beiden Klubs nicht nur wegen der laufenden Play-off-Serie getrübt. Lausanne hat es bis jetzt nicht verkraftet, dass Freiburg zusammen mit Zürich nächstes Jahr die Eishockey-WM austragen wird. Die Weltmeisterschaften hätten schon 2020 in der Schweiz stattfinden sollen, wurden aber wegen der Pandemie abgesagt; damals war Lausanne mit der neuen Arena am Lac Léman als Spielort vorgesehen. Selbst hoch gestellte Funktionäre aus dem Schweizer Eishockey sagen, es sei schwer nachvollziehbar, dass man Lausanne nun übergangen habe.
Offensichtlich hat der ehemalige IIHF-Präsident René Fasel, ein Freiburger, beim Zuschlag an seine Heimatstadt all seinen Einfluss geltend gemacht. Generalsekretär des Turniers ist mit Christian Hofstetter ein ehemaliger Captain der Freiburger. Man hält zusammen im Kosmos Gottéron. Oder wie der Slogan des Klubs lautet: «Pour un jour, pour toujours.»