Stamm arbeitete einst neun Jahre als Nachwuchstrainer im SC Freiburg. Jüngst führte der 42-Jährige Dresden in seiner ersten Saison als Cheftrainer gleich zurück in die 2. Bundesliga.

Es gibt Aufnahmen von der Aufstiegsfeier Dynamo Dresdens, die Thomas Stamm in lässiger Pose zeigen: schwarze Sonnenbrille, schwarzes T-Shirt, Bierflasche in der rechten Hand, eine gelb-schwarze Captainbinde um den linken Arm. Stamm lacht, er winkt beim Umzug durch die Innenstadt Dresdens mit Zehntausenden von Anhängern in die Menge.

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Es sind unerwartete Bilder von ihm. Denn Thomas Stamm ist ein ruhiger, kontrollierter Mensch, der sich nicht in den Vordergrund drängt. Doch der 42-Jährige ist jetzt Aufstiegstrainer, er hat den ostdeutschen Traditionsklub Dynamo Dresden zurück in die 2. Bundesliga geführt, er ist der «Vater des Erfolges», wie die «Dresdner Neuesten Nachrichten» schrieben. «Bei den Feierlichkeiten ist mir wieder bewusst geworden, welchen Stellenwert unser Klub hat. Dynamo ist hier ein Kulturgut. Die Resultate unseres Teams haben einen Einfluss auf die Laune vieler Menschen», sagt Stamm.

Derzeit scheint über Fussball-Dresden die Sonne. Und der Schweizer Stamm, in den vergangenen Jahren gerne als «Trainertalent» bezeichnet, hat auf seinem ungewöhnlichen Karriereweg erneut bewiesen, dass er ein gutes Gespür hat.

Die Enttäuschung beim SC Freiburg

Das erste längere Gespräch mit Thomas Stamm findet Anfang März 2024 in Freiburg statt. Im Breisgau steht er damals im neunten Jahr als Trainer des SC Freiburg, nach sechs Saisons mit der U 19 ist es seine dritte Saison als Coach der zweiten Mannschaft. Beim Treffen geht es auch darum, wie gross seine Chancen sind, Nachfolger des legendären und langjährigen Freiburg-Trainers Christian Streich zu werden.

Stamm geniesst im Klub und in der Branche einen ausgezeichneten Ruf. Mehreren Vereinen sagte er in der Vergangenheit ab, darunter sollen Schalke 04 und der 1. FC Köln gewesen sein, ganz sicher der FC Basel. Und auch bei YB war er zweimal ein ernsthaftes Thema.

Stamm blieb stets in Freiburg. Weil es nicht seine Art ist, einen Job vorzeitig zu beenden. Und weil er Christian Streich beerben wollte. Womöglich war er schon zu gross für die Super League geworden, dabei hatte er zu jenem Zeitpunkt noch nie eine erste Mannschaft trainiert. «Es geht mir nie darum, etwas zu machen, weil alle erwarten, dass ich das machen müsste», sagt Stamm im März 2024. «Ich habe in Freiburg perfekte Strukturen und ein Umfeld, in dem ich mich wohlfühle und mich entwickeln kann. Das ist viel wert.»

Hätte Streich ein Jahr früher aufgehört, im Sommer 2023, wäre Stamm vermutlich befördert worden. Damals führte er den SC Freiburg II sensationell auf den Aufstiegsrang zwei in der 3. Liga, aber zweite Mannschaften dürfen nicht in der 2. Bundesliga spielen. Nach einem heftigen personellen Umbruch läuft es Stamm mit einem deutlich verjüngten Team in der Saison 2023/2024 dann nicht mehr so glänzend, aber sein Ansehen ist nach wie vor exzellent.

Ein paar Wochen später gibt der SC Freiburg als Streich-Nachfolger den früheren SC-Profi Julian Schuster bekannt, ebenfalls seit Jahren im Nachwuchs des Klubs tätig. In einem Telefongespräch ist die Enttäuschung Stamms zu hören. Doch er zeigt zugleich Verständnis: «Der Klub hatte zwei sehr gute interne Lösungen und hat sich leider gegen mich entschieden.» Am Ende der letzten Saison steigt der SC Freiburg II ab – und Stamm sortiert erneut zahlreiche Offerten.

Das Beispiel Manuel Akanji

Stamms Vater ist Schweizer, die Mutter Deutsche, er wächst in Schaffhausen auf, ist als Fussballer talentiert und kampfstark, spielt zwei Saisons im GC-Nachwuchs, später beim FC Winterthur und beim FC Schaffhausen in der Challenge League, meistens auf der rechten Seite.

Blessuren und sechs Knieoperationen prägen diese Jahre, Stamm realisiert, dass sein Körper wohl nicht geschaffen ist, um auf höchstem Niveau zu bestehen. «Es gibt im Fussball so viele Komponenten, die stimmen müssen», sagt er. «Das macht die Faszination aus, weil es nicht nur um Talent geht oder um einen stabilen Körper und gute Gene, sondern auch um die Einstellung, um Willen, den Team-Gedanken, mentale Stärke.»

Stamm kümmert sich als Spieler im FC Schaffhausen bereits mit 26 Jahren um die Nachwuchskoordination, arbeitet später im FC Winterthur vier Jahre als U-18-Trainer, unter anderem von Manuel Akanji. «Er ist ein perfektes Beispiel, was man erreichen kann, wenn man fleissig ist», sagt Stamm. «Manu war in der Jugend bei uns lange Zeit nicht der grösste Spieler, nicht der stärkste, nicht der schnellste. Aber er hat hart an sich gearbeitet, sich auch von schweren Verletzungen nicht bremsen lassen und ist heute einer der besten Verteidiger der Welt.»

Zufälligerweise steht ein paar Tage nach dem Besuch bei Stamm in Freiburg ein Interviewtermin bei Manuel Akanji in England an. Der Verteidiger von Manchester City strahlt, als man ihm die Grüsse von Stamm ausrichtet, und sagt, es sei schon damals in Winterthur absehbar gewesen, dass der Trainer besondere Fähigkeiten habe. «Er arbeitete akribisch, seine Trainings waren vielseitig, und er hat uns als Menschen geprägt, weil es bei ihm immer auch um die Persönlichkeit ging und um einen starken Zusammenhalt.»

2015 verliess Stamm die Komfortzone

Mit Anfang 30 hat Thomas Stamm als einer der jüngsten Trainer in der Schweiz bereits alle Diplome, sein Rucksack füllt sich mit Erfahrungen und Ausbildungen, beispielsweise als Marketingspezialist. Von 2014 bis 2016 wird er auch vom Schweizerischen Fussballverband (SFV) gefördert: Er wird Assistent in der U-15- und in der U-16-Auswahl.

Seine Qualitäten sind zu diesem Zeitpunkt längst auch dem SC Freiburg aufgefallen. Und so entschliesst sich Stamm im Sommer 2015, die Komfortzone in der Heimat zu verlassen, ein Jahr später beendet er auch die Zusammenarbeit mit dem SFV. «Beim SC Freiburg herrscht ein unheimlich guter Groove», sagt Stamm im März 2024. «Es ist ein Privileg, in diesem Klub arbeiten zu dürfen.»

Nach bald neun Jahren beim familiären und beschaulichen SC aber spürt Stamm damals, dass die Zeit gekommen ist für den nächsten Schritt, raus aus dem Nachwuchs. Im Gespräch erwähnt er mehrmals Dynamo Dresden als Beispiel dafür, wie toll es wäre, als Trainer in einem Verein zu sein mit einer «überragenden Ambiance» im Stadion. «Darauf habe ich richtig Bock», sagt Stamm. Zu diesem Zeitpunkt besteht allerdings noch kein Kontakt nach Dresden.

Stamm erzählt, wie stark ihn Johan Cruyffs Lehre inspiriert habe, der niederländische Fussballtrainer sei ein Vorbild. Es sei jedoch sein Anspruch, verschiedene Stile zu mixen, und so schwärmt er minutenlang von Jürgen Klopps Intensität und Gegenpressing, von Josep Guardiolas Positionierung und Ballbesitz, von der Spielweise Leverkusens und Brightons. Stamm saugt alles auf und freut sich auf die Zukunft. Eine Karriereplanung aber habe er nicht, sagt er, er vertraue seinem Bauchgefühl und sei überzeugt, dass er merken werde, welches Projekt für ihn am besten passe. Im vergangenen Sommer entscheidet er sich dann für Dynamo Dresden.

Fast 30 000 Zuschauer im Schnitt

Beim FC Basel war Stamm, das bestätigen mehrere Quellen, im Herbst 2023 Wunschkandidat; schliesslich wurde Fabio Celestini Trainer. Vor kurzem ist er mit dem FCB Meister geworden, Julian Schuster hat den SC Freiburg jüngst beinahe in die Champions League und auf Rang 5 geführt. Und Stamms Bauchgefühl für das Projekt in Dresden erwies sich als Volltreffer. «Diese Stadt atmet Dynamo, die Identifikation ist unglaublich», sagt er. «Das ist auch eine Verantwortung, gerade angesichts der Geschichte des Klubs.»

Achtmal wurde Dynamo Dresden in der DDR Meister. Dresden kann politisch manchmal wie ein Gegenentwurf zur linken Studentenstadt Freiburg wirken, und bei Dynamo war es in der Vergangenheit bestimmt oft viel chaotischer als im SC. Stamm spricht von Energie, Wucht und der Begeisterungsfähigkeit, die der Klub entfalten könne. Der Zuschauerschnitt in der 3. Liga betrug fast 30 000, viel mehr passen nicht ins Rudolf-Harbig-Stadion. Auswärts begleiten das Team auch einmal über 10 000 Fans.

Stamm weiss aber, dass die nächste Saison herausfordernd wird; die leidenschaftliche Fangemeinde träumt bereits von der Rückkehr ins Oberhaus. Seit dem Abstieg aus der 1. Bundesliga 1995 inklusive hoher Schuldenlast und Zwangsrelegation in die damals drittklassige Regionalliga stieg Dresden schon viermal wieder in die 2. Bundesliga auf – und später immer wieder ab, letztmals 2022. Heute ist Dynamo Dresden wirtschaftlich stabiler aufgestellt, doch das Kader braucht erhebliche Verstärkungen, um eine Liga höher bestehen zu können.

In der unberechenbaren 2. Bundesliga wurden in der laufenden Saison 16 Trainer entlassen. Thomas Stamm hat bewiesen, sich an Situationen anpassen zu können, er lässt auch einmal pragmatischen Fussball spielen – weit weg von Cruyff, Klopp, Guardiola. Und er sagt, er freue sich auf die neue Liga, auf Schalke, Hertha Berlin, Kaiserslautern, Nürnberg, Hannover, auf volle Stadien. Er ist bereit, den nächsten Schritt in seiner erstaunlichen Laufbahn zu gehen.

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