Donnerstag, Mai 1

Um die innere Leere zu bekämpfen, braucht es Superkräfte: Im neuen Marvel-Film stehen sich statt Übermenschen eher Über-Ichs gegenüber.

Dass der neuste Superheldenfilm «Thunderbolts*» einen Asterisk im Titel trägt, ist kein Ausdruck von Wokeness. Das Englische kennt keinen Genderstern, Marvel meint es nicht so. Andererseits würde inklusive Sprache insofern passen, als die Gruppe, die zur Rettung der Welt gerufen wird, nach den Grundlagen des Diversity-Managements zusammengestellt ist, wobei auch politisch Brücken geschlagen werden.

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So bestehen diese Thunderbolts zunächst aus zwei Frauen, von denen eine «person of color» und die andere – Yelena Belova, genannt Black Widow – Russin ist. Ungebeten zum Team stösst auch ihr Vater, eine wandelnde Wodkaflasche namens Shostakov.

Dann ist da der Winter Soldier, bürgerlich Bucky, der im Berufsleben ein blasser Kongressabgeordneter ist – und andererseits mit seiner Armprothese ein superkräftiger Vertreter für Menschen mit Beeinträchtigung. Schliesslich wird die Ansammlung von Kraftmeiern komplettiert durch John Walker, einen abgehalfterten Captain-America-Epigonen, dem seine Frau mitsamt Neugeborenem davongelaufen ist.

Neue Avengers

Eine Gurkentruppe; sie wissen es selbst. Als Verlierer fühlen sich diese nicht so super Helden, ausgebrannt, desillusioniert, von der Politik ausgenutzt. Aber sie müssen sich zusammenraufen, um der despotischen CIA-Direktorin Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus) das Handwerk zu legen.

Laut Fantheorien verweist der Asterisk im Titel auf eine imaginäre Fussnote, die lautet: «Die neuen Avengers». Denn die alten Superhelden sind von uns gegangen. Und statt auf die widerborstigen, nur halbstarken Thunderbolts zu vertrauen, unternimmt de Fontaine tödliche Menschenversuche, um sich neue, ihr hörige Heroen heranzuzüchten.

Soweit ist «Thunderbolts*» denkbar unoriginell, brav und langweilig. Lapidare Actionszenen, laxe Sprüche: Ein nach allen Regeln der Kunst komplett unerheblicher Film. Über weite Strecken zumindest. Denn im letzten Drittel kommt ein Richtungsentscheid.

Das Superheldenkino steckt fest: Alle erdenklichen Bedrohungslagen und Weltzerstörungsphantasien sind durchexerziert. Die Schauwerte trotzdem weiter aufzublasen, kann nicht die Idee sein. «Thunderbolts*» tut nach hinten raus das einzig Vernünftige: Introspektion statt Explosion.

Schwere Stimmungsstörungen

De Fontaines Menschenversuch bringt einen unzerstörbaren Übermenschen hervor, der so viel Kraft hat, dass er sogar den Schild von Captain America verbiegen kann: «Er hat einen Taco draus gemacht!», jammert dieser, als sein Arbeitsgerät gefaltet wird wie eine Tortilla. Aber was den Bösen, Bob heisst er, erst interessant macht, ist: wie antriebslos er ist.

Bob (Lewis Pullman) ist bipolar, hat schwere Stimmungsstörungen. Irgendwann ist der junge Mann so deprimiert, dass er die Leere, die ihn erfasst, über die ganze Menschheit stülpen will. Alle Leute, die er ins Visier nimmt, verwandeln sich in Schatten. Sie werden verschluckt von ihren eigenen Traumata. Um Bob zu bekämpfen, müssen die Thunderbolts sich buchstäblich in seine Psyche wagen. Der Showdown findet im Hippocampus statt. Man purzelt durch Traumwelten von verdrängten Erinnerungen. Statt Übermenschen stehen sich Über-Ichs gegenüber.

Der Regisseur Jake Schreier schickt das Genre zum Analytiker. Doch was dem Film fehlt, ist die Triebenergie. «Thunderbolts*» bleibt zu kontrolliert, darin zeigt sich überhaupt das Problem mit Marvel und dem gewöhnlichen Gegenwarts-Blockbuster: alles irgendwie verklemmt. Bezeichnend ist, wie in diesem Fall der Feind gezähmt wird. Wenn die Hiebe wirkungslos bleiben, muss man es auf die sanfte Tour versuchen. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Als grösste Superkraft erweist sich am Ende eine herzhafte Gruppenumarmung.

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