Mittwoch, November 6

Radikale rechte Evangelikale vergleichen ihren Kampf gegen die Demokraten mit dem des deutschen Theologen Bonhoeffer gegen das NS-Regime.

Dietrich Bonhoeffer war ein Held. Der 1906 geborene Theologe war ein Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime in Deutschland. Er setzte sich gegen die Judenverfolgung ein und war an Attentatsplänen auf Adolf Hitler beteiligt. Auf Hitlers Befehl wurde Bonhoeffer im April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet.

Nun erzählt der Film «Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin.», der am 14. November in New York erstmals gezeigt wird, seine Geschichte. Aber schon jetzt wehren sich die Hauptdarsteller gegen eine Vereinnahmung durch radikale Evangelikale, wie es in einem öffentlichen Statement heisst. Die Schauspieler schreiben, sie seien «tief besorgt über den Missbrauch unseres Films und des Vermächtnisses von Dietrich Bonhoeffer durch christliche Nationalisten».

Unterzeichnet wurde das Statement unter anderen von Jonas Dassler, der die Hauptrolle spielt, und August Diehl («Inglourious Basterds»). Ihr Film würde etwas ganz anderes erzählen «als das, was einige wenige Radikale aus ihm machen wollen». Damit meinen die Schauspieler wohl nicht zuletzt den amerikanischen Autor Eric Metaxas, der eine populäre Bonhoeffer-Biografie geschrieben hat. Namhafte Theologen kritisieren sie als «sachlich fehlerhaft». Auf seinem Profil auf X wirbt Metaxas nun für den neuen Film.

Doch Metaxas verbreitet in den sozialen Netzwerken auch Verschwörungstheorien. Unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen schrieb er von «kindermordenden und den Sexhandel befürwortenden» Demokraten. Und im Juni twitterte er, «Biden ist unser Hitler», und verwies auf seine Bonhoeffer-Biografie.

Problematisches Marketing

Florian Höhne, Präsident der deutschsprachigen Sektion der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, steht der gegenwärtigen Vermarktung des Films kritisch gegenüber: «Der Gesamteindruck, den der Film hinterlassen kann, ist in der gegenwärtigen Situation sehr problematisch», sagt er auf Anfrage der NZZ. Im Film spiele die Gewaltfrage eine wichtige Rolle, das vernachlässige etwa das ökumenische Engagement Bonhoeffers. «Dieses Bonhoeffer-Narrativ kann als Legitimierung der Gewalt verstanden werden, auch gegen demokratisch gewählte Regierungen», sagt Höhne.

Ausserdem sei vieles im Film historisch falsch. Ein Beispiel: Bonhoeffer wird im Spielfilm nicht im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet, sondern irgendwo bei einem verlassenen Haus. Zwar werde Bonhoeffers Lebenslauf grundsätzlich richtig wiedergegeben; viele Details seien wohl ungenau, was an sich jedoch nicht problematisch sei. Höhne stört sich indessen am Marketing. «Das Filmplakat, wo Bonhoeffer eine Pistole in der Hand hält, widerspricht dem, wofür der Theologe stand.»

Der Film wurde von Angel Studios produziert, einem christlichen Streamingdienst, der auch hinter dem Actionthriller «Sound of Freedom» steht. «Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin.» werfe die Frage auf, «wie weit würden Sie gehen, um für das Richtige einzustehen?», heisst es im Beschrieb unter dem Trailer. «Der Kampf gegen die Tyrannei beginnt jetzt!» oder «Schauen Sie den Film, der eine Bewegung auslöst!», steht unter den Posts, die den Film in den sozialen Netzwerken bewerben.

Bonhoeffers Nachkommen wehren sich

Im stark polarisierten Klima der USA seien dies gefährliche Worte. «Jeder Versuch, Dietrich Bonhoeffer und seinen Widerstand gegen Hitler als Legitimation für heutige politische Gewalt heranzuziehen, ist entschieden zurückzuweisen.» So heisst es in einem offenen Brief, der unter anderen von der Präsidentin der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft und ehemaligen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche in Deutschland unterzeichnet wurde.

In den USA gebe es «eine gefährliche Widerstandsrhetorik, die sich auf Bonhoeffer beruft», schreiben die Verfasser. «Christliche Nationalisten missbrauchen Dietrich Bonhoeffers Widerstand gegen Hitlers Regime als Tarnung für ihre Agenda und ihre zunehmende Gewaltbereitschaft.»

Bevor nun die Schauspieler Stellung zur Debatte genommen haben, hatten sich bereits die Nachkommen Bonhoeffers gemeldet. Der Missbrauch sei an Zynismus nicht zu überbieten. «Als direkte Nachfahren der sieben Geschwister des Theologen können wir aufgrund der Familienüberlieferung bezeugen: Er war ein friedliebender, freiheitlich gesinnter Menschenfreund.»

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