FDP und SP sind bereit, für eine neue Steuerreform aufeinander zuzugehen.
Nach dem Zürcher Nein zu tieferen Unternehmenssteuern ist der Katzenjammer bei den Wirtschaftsverbänden und den bürgerlichen Parteien gross. Während die einen noch die Schuldigen für die Niederlage suchen, denken die anderen bereits darüber nach, wie man ein solches Begehren politisch so aufziehen könnte, dass es mehrheitsfähig wird.
Der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) hat den Anfang gemacht. Noch am Abstimmungssonntag sagte er, der Kanton müsse künftig eben nicht nur den Unternehmen etwas bieten, sondern auch der allgemeinen Bevölkerung ein «Goodie» bieten.
Es geht also, um bei Meisterlandwirt Stockers Lieblingstieren zu bleiben, um einen Kuhhandel.
Dieser funktioniert so: Die meisten Stimmbürger können eine Steuersenkung für Unternehmen ablehnen, ohne unmittelbare persönliche Nachteile zu erleiden. Packt man aber ein Zückerchen für die Zürcher Stimmberechtigten in die Vorlage, hat ein Nein auch für sie sehr direkte Folgen – sie erhalten die für sie bestimmte Erleichterung oder Zahlung nämlich ebenfalls nicht.
Solche Deals sind umstritten, weil sie die Einheit der Materie ritzen. Doch realpolitisch haben sie sich bewährt.
Zückerchen für Familien
Der vielleicht grösste steuerpolitische Kuhhandel in der jüngeren Zeit war die Abstimmung über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (Staf) von 2019.
Zwei Jahre zuvor war eine erste Reform der Unternehmenssteuern, die USR III, auf Bundesebene gescheitert. In der Folge verknüpften die Bundespolitiker die Steuerfrage in einem neuen Anlauf mit einem Thema, das mit Unternehmenssteuern zwar nichts zu tun hat, aber vielen Menschen am Herzen liegt: die Sicherung ihrer Altersvorsorge. Diese Kombination sorgte damals für grosse Kritik, doch der Plan ging auf: Die Staf wurde angenommen.
Nach dem Ja zur Staf lag der Ball bei den Kantonen. Auch sie mussten ihre Steuergesetze anpassen – und dabei bauten sie in vielen Fällen ebenfalls ein Zückerchen für die Bevölkerung ein. Ganz oben in der kantonalen Bonbondose fanden sich höhere Familienzulagen. Fast alle Kantone diskutierten eine Erhöhung dieser Zahlungen, um den Bürgerinnen und Bürgern die Steuervorlage schmackhaft zu machen.
Dass sich die Kantonsregierungen auf die Familienzulagen kaprizierten, war kein Zufall, denn sie sind für den Staat vergleichsweise billig zu haben. Kinder- und Ausbildungszulagen werden von den Arbeitgebern finanziert – also von den Unternehmen, die auch von tieferen Steuern profitieren.
Der Kanton ist zwar auch Arbeitgeber, er muss also den Müttern und Vätern in seiner Belegschaft bei einer Erhöhung der Familienzulagen ebenfalls mehr bezahlen. Aber die meisten Angestellten arbeiten in der Privatwirtschaft.
Ausserdem erhält die Kantonskasse etwas zurück: Weil die Familienzulagen zum Einkommen gezählt werden, fliesst ein Teil davon als Steuer an den Staat.
Als der Kanton Zürich vor sechs Jahren über eine erste Senkung der Gewinnsteuern von 8 auf 7 Prozent diskutierte, standen höhere Familienzulagen als Gegenforderung ebenfalls im Raum. Die SP wollte, dass die Zulagen um 50 Franken pro Monat und Kind angehoben werden, doch die bürgerliche Mehrheit lehnte dies ab. In der Volksabstimmung kam die Vorlage dennoch durch, wenn auch nicht mit einem herausragenden Mehr: 56 Prozent waren dafür.
St. Gallen als Vorbild für Zürich?
Wie ein «Goodie» in der Praxis funktionieren kann, hat St. Gallen vorgemacht. 2018 setzten sich die Parteien an einen runden Tisch, um über die Unternehmenssteuerreform zu diskutieren.
Die Ostschweizer beschlossen damals zwei Dinge: erstens eine Senkung der Unternehmenssteuern und zweitens eine Erhöhung der Kinderzulagen. Alle grossen Parteien stellten sich hinter dieses Geschäft, das noch um ein Element ergänzt wurde: Man einigte sich gleich auch darauf, was mit den zusätzlichen Steuererträgen geschehen sollte, die wegen der höheren Kinderzulagen zu erwarten waren. Das Geld, rund 5 Millionen Franken pro Jahr, sollte in die externe Kinderbetreuung gesteckt werden.
Sowohl bei den Parteien als auch beim Volk kam dieser Vorschlag schlank durch. Heute beurteilen die St. Galler Parteien den damaligen Steuerkompromiss als historisch.
Könnte ein solches Modell auch im Kanton Zürich funktionieren?
«Wir verweigern uns der Diskussion nicht», sagt der SP-Kantonsrat Harry Brandenberger im Gespräch mit der NZZ. Er ist selbst Unternehmer und einer der Wortführer seiner Partei in Steuerfragen. «Wenn es gelingt, einen breiten Konsens zu finden, der bis weit ins linke Lager hinein unterstützt wird, dann hat eine neue Vorlage gute Chancen», sagt er.
Brandenberger verweist auf Basel-Stadt als Beispiel. Dort hatte die Stimmbevölkerung am vergangenen Wochenende ebenfalls über ein Wirtschaftspaket abgestimmt. Es sieht neben Massnahmen für die Unternehmen auch Mittel für den Klimaschutz und die Elternzeit vor. Sowohl die Bürgerlichen als auch die Basler SP unterstützten das Vorhaben; es wurde mit 63 Prozent Ja-Stimmen angenommen.
In einem neuen Zürcher Anlauf sollte für Brandenberger eine höhere Dividendenteilbesteuerung wieder Teil des Pakets sein – diese war in der ursprünglichen Version der nun abgelehnten Vorlage enthalten, wurde von den Bürgerlichen und der GLP bei den Beratungen im Kantonsrat aber gestrichen.
«Ausserdem braucht es einen sozialen Ausgleich, der aber nicht nach dem Giesskannenprinzip verteilt werden sollte, sondern situativ», sagt Brandenberger. Denkbar sei etwa eine Erhöhung der Prämienverbilligung. Diese komme den unteren Einkommen zugute.
Bern will Zürich überholen
Auch die FDP gibt sich offen für einen neuen Anlauf. «Wir dürfen nicht lockerlassen», sagt Claudio Zihlmann, der Fraktionschef der Freisinnigen im Kantonsrat. «Und wir müssen uns nach der verlorenen Abstimmung ernsthaft überlegen, ein Paket zu schnüren.»
Er sei bereit für Gespräche. Man müsse alle Varianten prüfen. Höhere Kinderzulagen als Gegenleistung für tiefere Unternehmenssteuern seien ein möglicher Weg. «Der Nachteil ist, dass bei diesem Modell nicht alle Steuerzahler profitieren», sagt Zihlmann.
Denkbar ist aus seiner Sicht deshalb ebenfalls eine Erleichterung bei den Krankenkassenprämien, denn diese müssen alle bezahlen. Statt einer Ausweitung der Prämienverbilligung, wie es sich die SP vorstellt, würde Zihlmann jedoch lieber den Maximalbetrag erhöhen, der für die Prämien vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden kann.
Und vielleicht, sinniert Zihlmann, könnte man bei einem neuen Anlauf auch ein grösseres Paket schnüren und die Gewinnsteuern für die Unternehmen statt von 7 auf 6 Prozent gleich auf 5 Prozent reduzieren.
«Wichtig ist, dass wir einen tragfähigen Kompromiss im Kantonsrat finden», sagt er. Denn dann sei eine rasche Umsetzung möglich.
Und diese ist dringend notwendig. Zürich hat die zweithöchsten Gewinnsteuern der Schweiz. Nur in Bern bezahlen die Unternehmen mehr.
Jedenfalls noch. Denn Bern hat Grosses vor.
Die Kantonsregierung hat sich in ihrer Steuerstrategie ein ambitiöses Ziel gesetzt. Bern soll mit seiner Steuerbelastung sowohl für Unternehmen als auch für Private künftig im Mittelfeld der Kantone stehen. Genau dort stand einst auch der Kanton Zürich. Gelingt Bern der grosse Sprung nach vorn, kann sich der Zürcher Finanzdirektor die rote Laterne an die Tür zum Kuhstall hängen.