Freitag, November 1

Die amerikanischen Streitkräfte befürchten, dass China ihre grossen Militärbasen im Pazifik in einem Erstschlag zerstören könnte. Doch mit der Verteilung der Kräfte kommen neue Herausforderungen.

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges war es ruhig auf dem North Field. Vier parallele Flugpisten auf der kleinen Insel Tinian im Westpazifik und die dazugehörige Infrastruktur verfielen, die tropische Natur eroberte langsam ihren Platz zurück.

North Field spielte eine entscheidende Rolle im Kampf der USA gegen das japanische Kaiserreich. 1944/45 war es zeitweise der geschäftigste Flugplatz der Welt. Hunderte von B-29-Bombern flogen von dort Angriffe auf Japans Hauptinseln, rund 2300 Kilometer davon entfernt.

Die Bomber, die Tokio im März 1945 in eine Flammenhölle verwandelten, stiegen von Tinian auf. Auch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki wurden von dort geflogen. Heute sind die speziellen Schächte, die erstellt wurden, um die riesigen Bomben in die Flugzeuge zu verladen, eine lokale Sehenswürdigkeit.

Tinian ist nicht weit von Guam gelegen

Jetzt, knapp achtzig Jahre später, sind auf Tinian Bagger aufgefahren – denn die amerikanische Luftwaffe will North Field wieder nutzen. Man werde in den nächsten Monaten grosse Fortschritte in der Rehabilitierung von North Field machen, sagte General Kenneth Wilsbach, der Kommandant der US Air Force im Pazifik, gegenüber «Nikkei Asia».

Dass Tinian wieder aktiviert wird, mag auf den ersten Blick erstaunen. Denn nur gerade 200 Kilometer südlich betreibt die amerikanische Luftwaffe auf Guam die Andersen Air Force Base. Sie ist neben der Kadena Air Base auf Okinawa der wichtigste amerikanische Luftwaffenstützpunkt im Westpazifik. Auf Guam sind auch strategische Bomber stationiert, welche Atombomben abwerfen können.

Tinian gehört wie die Nachbarinsel Saipan zum amerikanischen Aussengebiet der Nördlichen Marianen, Guam hat den gleichen Status. Washington ist dort souverän und hat damit mehr Spielraum als bei Stützpunkten, die in einem anderen Drittland gelegen sind.

Die Wichtigkeit dieser grossen Stützpunkte ist gleichzeitig ihr wunder Punkt. Die Konzentration grosser Kräfte auf wenige Orte ist ein Klumpenrisiko. So befürchten amerikanische Militärstrategen, dass ein Gegner mit einem Doppelschlag gegen Andersen und Kadena den USA einen ähnlichen Schaden zufügen könnte wie die Japaner mit dem Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941.

China hat die Mittel für Angriffe auf amerikanische Basen

Der Gegner heisst diesmal China. Und die Volksbefreiungsarmee hat ein grosses Arsenal an Raketen entwickelt, mit dem sie amerikanische Stützpunkte ausschalten will. Das gilt nicht nur für Okinawa, das nur gut 600 Kilometer vor der chinesischen Küste liegt. Auch Guam in knapp 3000 Kilometern Distanz liegt in der Reichweite chinesischer Raketen.

Die amerikanische Luftwaffe hat daher die Strategie «Agile Combat Employment» entwickelt. Diese sieht vor, Flugzeuge an verschiedenen Orten im Westpazifik zu verteilen. So soll die Wahrscheinlichkeit verringert werden, dass der Gegner mit einem einzigen Raketenangriff zu grossen Schaden anrichten kann.

Auf Tinian sind neben North Field auch Arbeiten beim internationalen Flughafen im Gang. Die Luftwaffe baut die Rollfelder aus und errichtet Treibstofflager. Dies alles soll nicht die Andersen Air Force Base auf Guam ersetzen, sondern Ausweichmöglichkeiten geben, falls die Operationen dort beeinträchtigt sind.

Die USA investieren auch in Basen in den Philippinen und Australien

Rund 130 Millionen Dollar seien für Arbeiten auf Tinian im laufenden Jahr budgetiert, schrieb die Armeezeitung «The Stars and Stripes». Tinian ist aber nur ein Teil des «Agile Combat Employment». Laut der Nachrichtenagentur AFP haben die USA ihr Budget für militärische Bauten im Indopazifik zwischen 2020 und 2023 von 1,8 Milliarden auf 3,6 Milliarden Dollar verdoppelt.

In den Philippinen investieren die USA in die Basis Basa nördlich der Hauptstadt Manila. Seit seinem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren hat sich Präsident Ferdinand Marcos wieder eng an seinen Verbündeten Washington angelehnt. Im Gegenzug für Sicherheitsgarantien erhalten die USA Zugang zu verschiedenen Basen in den Philippinen.

Im Norden Australiens baut Washington gemeinsam mit seinem Alliierten die Basen Darwin und Tindal aus. Tindal soll künftig strategische Bomber beherbergen können. Der Norden Australiens ist mehr als 4000 Kilometer von China entfernt und daher gegenüber chinesischen Raketen weniger stark exponiert.

Mit der Verteilung entstehen neue Probleme

Mit der breiten Verteilung der Flugzeuge ergeben sich aber neue Herausforderungen. Die Rand Corporation, eine militärische Denkfabrik, weist in einem neuen Bericht darauf hin, dass es ein neues logistisches System brauche, um die verteilten Basen ausreichend mit Nachschub (Munition, Ersatzteile, Treibstoff, Mannschaften usw.) zu versorgen, so dass sie alle gleichzeitig funktionieren könnten. Diese Herausforderungen in der Versorgung und der Kommunikation würden umso grösser, je breiter die Basen verteilt würden, so die Studie.

Dazu kommt die Kostenfrage. Denn jede neue Basis – auch die kleineren – muss geschützt werden, wenn sie nicht einfach Angriffen ausgeliefert sein soll. Passiven Schutz bieten verstärkte Unterstände für Flugzeuge, redundante Treibstoffvorräte, Munitionslager und Mittel, um Start- und Landebahnen schnell reparieren zu können. Zu den aktiven Massnahmen gehören Raketenabwehrsysteme. All das kostet viel Geld.

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