Donnerstag, November 28

In Wien wird alles zur Perfektion getrieben, von den inneren Grätzeln zu den äusseren. Ein bisschen Ehrfurcht ist ob all der Handwerkskunst geboten. Aber nur nicht zu viel. Lieber lässt man sich von Neugier antreiben.

Da sitzt man also vor dem Scheiterhaufen. Der Eischnee ist so hoch auf dem makaber benannten Gebäck aufgetürmt, dass er sachte im Wind wackelt. Genau wie die Deckenlampen im Fenster, die dank ihren Tüllschichten aussehen wie kleine rosa Tutus. Es ist Mittag in Wien, im Café Diglas im 1. Bezirk. Der ältere Mann am Nebentisch hat dasselbe bestellt, dazu ein Bier. Laut Menu wurde die süsse Mehlspeise «nach Omas Rezept» zubereitet, obwohl nicht klar ist, wessen Oma genau gemeint ist. Aber das ist in der ganzen Stadt so: Man kann der Vergangenheit nicht entweichen. Nur ist sie halt manchmal mehr, manchmal weniger spezifisch.

Mehr, das ist sie in den Geschäften der ehemaligen Hoflieferanten. Viele der über hundert Jahre alten Handwerksbetriebe sind auch ein wenig wie Museen. Beim Schuhmacher Scheer sitzen die Originalleisten von Kaiser Franz Joseph wie hölzerne Fussabdrücke in einer Vitrine. Viel hat sich nicht verändert seitdem, ausser dass die Schuhe des heutigen Geschäftsführers Markus Scheer allesamt orthopädisch sind. Sich beim Schuhmacher Scheer ein Paar herstellen zu lassen, kostet beim ersten Mal ab 10 000 Franken und dauert etwa sechs bis acht Monate. Es gibt eine Warteliste.

In Wien nimmt man sich eben die Zeit. Gleiches gilt bei der ­Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr, wo man schon beim Betreten des leuchtenden Geschäfts ob all der Zerbrechlichkeit äusserst achtsam wird. Und beim ehemaligen Hof- und Kammerjuwelier A. E. Köchert kann man dieselben diamantenbesetzten Sterne kaufen, die einst Kaiserin Sisi in ihrem Haar trug. Es sei eines der beliebtesten Schmuckstücke, erzählt Christoph Köchert. Obwohl: Auch Diademe für Hochzeiten seien wieder im Kommen. Es ist eine Erinnerung daran, dass es eben nicht nur die Geschichte ist, von der solche Betriebe leben; es ist vor allem das Handwerk.

Und so findet man in jedem Grätzel, also Stadtviertel, Wiens Menschen, die sich dessen Beherrschung verschrieben haben. Bei «Bruder», einem Restaurant mit Bar im 6. Bezirk, wird fleissig fermentiert: Zum Sauerteigbrot erhält man selbstgebrauten Brotlikör. Bei Flo Vintage im 4. Bezirk wird einem erst erklärt, was überhaupt als Vintage-Mode gelten darf, bevor man die Stiefel aus den sechziger Jahren bewundern kann. Auf dem Heimweg kommt man vielleicht an einem Transparent vorbei, das eine Firma für Gebäudereinigung feiert. Sie ist gerade hundert Jahre alt geworden.

The Hoxton – Grossstadtgebaren

Man muss sich schon kurz vergewissern, dass man nicht in London gelandet ist, wenn man die ultrahohe Lobby des neuen «The Hoxton» mit der ausufernden Pflanzensammlung und den Cocktails trinkenden Kreativdirektoren-Typen betritt. Vielleicht ist man davon begeistert. Und wenn nicht: Die Lage beim Stadtpark, die kuschelweichen Betten, die Eggs Royale beim Frühstück und der Pool auf dem Dach machen es wett.

thehoxton.com, Rudolf-Sallinger-Platz 1, DZ ab 159 Euro

Nightjet

Wenn man sich eine Nacht im Hotel sparen möchte, ist der Nightjet (sbb.ch) eine Option. Der Nachtzug mit Schlaf-, Liege- und Sitzwagen (und einem sehr guten, zusätzlich buchbaren Frühstück) fährt jeden Abend von Zürich nach Wien, wo man kurz vor 8 Uhr morgens mehr oder weniger ausgeschlafen ankommt.


Song – Avantgarde I

«Not too fashionable» steht wie eine Warnung an einer unregelmässig verputzten Wand der Boutique von Myung Il Saba-Song. Das ist gleichzeitig ihr Erfolgsgeheimnis: Designer wie Paul Harnden und John Alexander Skelton verkaufen im Song ihre sonst nur schwer erhältlichen, handgemachten Kleider und Schuhe, der Künstler Bernhard Hausegger seine Ringe.

Praterstrasse 11–13; song.at


Sumpf – Avantgarde II

Sein Geschäft mag an einer ruhigen Ecke im 4. Bezirk liegen. Doch die Mode, die Baris Okcu seit 2023 dort verkauft, kreischt schon mal oder ruft zumindest aus. Sie stammt vor allem von jungen, unabhängigen Labels aus London (Charlotte Knowles), Berlin (Ottolinger), New York (Vaquera, Luar) und Kopenhagen (Heliot Emil).

Margaretenstrasse 3; sumpf.world


Die Sellerie – Gutes Konzept

Im Geschäft an der Burggasse, auf Neudeutsch als Concept-Store beschrieben, fokussiert man sich gerade auf spannendes lokales Kunsthandwerk: Keramiken von Florian Tanzer, Kunstdrucke von Jaqueline Scheiber und Schlüsselanhänger aus der Werkstatt Carl Auböck leben hier friedlich nebeneinander. Wer ein Souvenir vergessen hat, deckt sich dann zu Hause im Online-Shop ein.

Burggasse 21; diesellerie.com


Altmann & Kühne – Naschkatze

Wie Edelsteine sind die winzigen Pralinés in den Vitrinen der beinahe hundertjährigen Confiserie ausgestellt. Hat man nach dem Probieren eine Entscheidung getroffen, sind die bunten, von den Wiener Werkstätten entworfenen Verpackungen des «Liliputkonfekts» ebenso kostbar: als Aufbewahrungsort für echte Schmuckstücke etwa.

Graben 30; altmann-kuehne.com


K. u. k. Hoflieferanten

Wer ab dem späten 18. Jahrhundert die vier magischen Wörter «kaiserlicher und königlicher Hoflieferant» – oft abgekürzt – an seiner Fassade anbringen durfte, genügte offiziell den Ansprüchen des österreichischen Kaiserhofs. Den gibt es nicht mehr, um zwei Dutzend der Betriebe aber noch immer. Zu Scheer etwa geht man für Schuhe, zu Köchert für Schmuck, zu Mühlbauer für Hüte und zu Lobmeyr für Gläser.


Bruder – Fermentiert

Das Fermentieren nennt man auch «Veredelung durch Gärung», und im «Bruder» versteht man, warum. Das Restaurant mit Bar im 6. Bezirk serviert etwa Brotlikör, eine Art Kombucha-Slushie, Canelés mit Himbeerkonfitüre, die besten Bohnen und eine Auster, die keine Auster ist. Alles hervorragend, alles mit einem Augenzwinkern und eben: alles edel. Reservation empfohlen!

Das Team hinter dem «Bruder» hat Spass, das erkennt man an den Gerichten.

Windmühlgasse 20; bruder.xyz


Brösl – Zum Teilen

Mit dem Achterbahnrattern des nahen Praters in den Knochen wirkt die Bodenständigkeit des «Brösl» heilend. Das moderne Wirtshaus setzt auf das Sharing-Prinzip und eine ständig wechselnde saisonale und regionale Karte: Daumen gedrückt, dass es zum Beispiel gerade Gnudi mit Salbeibutter oder Schwammerl mit Miso und Buchweizen gibt.

Wohlmutstrasse 23; broesl.at


Z’Som – Fine Fusion

Im Casual-Fine-Dining-Lokal der Tirolerin Judith Lergetporer und des Chilenen Diego Briones wird zu allem Sorge getragen: zu den Aromen ihrer beiden Herkunftsländer, zur Textur von Kohlrabi oder Tonkabohne, zu den ausgeklügelten Weinbegleitungen und schliesslich zu den Gästen. Das Degustationsmenu lohnt sich.

Gusshausstrasse 12; zsom-restaurant.at


Disco Volante – Läuft rund

Man kann nur staunen ob der hohen Pizzeria-Dichte in Wien. Grossen Erfolg hat das Restaurant Disco Volante. In einer gigantischen, glitzernden Discokugel, die eigentlich ein Holzofen ist, werden hier seit 2013 Pizzen nach neapolitanischer Art gebacken und zum Beispiel mit fein gewürfelten Erdäpfeln, also Kartoffeln, sowie Büffelmozzarella belegt.

Das Restaurant Disco Volante hat eine Pizzeria-Welle mit losgetreten in Wien.

Gumpendorfer Strasse 98; disco-volante.at


Museum für angewandte Kunst – Kunsthandwerk

Die Renaissance-Opulenz seines Gemäuers, die Sammlung von Objekten der Wiener Werkstätten und die ständig wechselnden Ausstellungen machen das MAK zum Dauerbrenner. Bonus: die Freiwilligen, oft im Seniorenalter, die freundlich fragen, ob sie einem etwas über Helmut Lang erzählen dürfen. Ja, bitte!

Stubenring 5; mak.at


Filmcasino – Zeitreise

Wien geizt nicht mit Orten, die Zeitkapsel-Qualitäten haben. Dazu gehören eine Handvoll historische Kinos, die der Zeit getrotzt haben. Mit der verspiegelten Fassade und der geschwungenen Leuchtschrift aus den fünfziger Jahren ist etwa das Filmcasino im 5. Bezirk schon allein von aussen sehenswert. Drinnen laufen Arthouse-Filme.

Margaretenstrasse 78; filmcasino.at

Durchhäuser – Zwischenwelten

Der Anstand lehrt einen, nicht zu sehr vom tradierten Fussweg abzukommen. Doch in Wien wird der streunende Blick zur Tugend: Viele Abkürzungen führen hier durch sehr hübsche, öffentlich zugängliche Innenhöfe. In einigen dieser sogenannten Durchhäuser verstecken sich Cafés, in anderen schlicht ein neuer Blick auf die Stadt. Man muss sich nur trauen. Oder eine Führung buchen.

rebeltoursvienna.com


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