Freitag, Oktober 18

Kürzlich kam eine Expertengruppe zu dem Schluss, dass auch eine Schädigung durch oral aufgenommene Kosmetika wie Zahnpasta nicht ausgeschlossen werden könne. Für Medikamente wird eine Neubewertung erwartet.

Leserfrage: Titandioxid ist in Lebensmitteln verboten, in Medikamenten und Kosmetika nicht. Wie kann das sein?

Titandioxid ist ein Miniteilchen. Früher wurden die Moleküle zahlreichen Lebensmitteln beigemischt, denn sie hellten Salatsaucen, Mozzarella und Suppen auf, verschafften Kaugummis oder der Kuchenglasur eine schön glänzende Farbe. Doch 2022 war damit Schluss: Sowohl in der EU als auch in der Schweiz wurde die Zugabe von Titandioxid in Lebensmitteln verboten. Händler dürfen allerdings noch Altbestände bis zu deren Ablaufdatum weiterverkaufen.

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Erkenntnisse aus Tierversuchen

Hintergrund des Verbots war eine Untersuchung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Deren Experten hatten im Jahr zuvor über 12 000 Veröffentlichungen durchforstet, in denen gesundheitliche Auswirkungen von Titandioxid untersucht worden waren. Es handelte sich um Tierstudien sowie Zellkulturversuche.

Das EFSA-Team kam zu dem Schluss, dass die Daten keine Hinweise auf Organschädigungen lieferten. Zudem wurden in den Tierstudien keine unerwünschten Effekte auf die Fruchtbarkeit und die Entwicklung der Nachkommen beobachtet.

Allerdings: Weil es noch Datenlücken gibt, konnte der Verdacht auf eine erbgutschädigende Wirkung von Titandioxid nicht entkräftet werden. Folgerichtig wurde auch keine akzeptable tägliche Aufnahmemenge festgelegt. Da Titandioxid Lebensmittel weder haltbarer noch sonst irgendwie sicherer macht, wurde der Stoff verboten.

Unklar ist nach wie vor, wie genau die Schädigung des Erbguts passieren könnte. Es wird vermutet, dass die Miniteilchen in Zellen schlüpfen und sich dort unter anderem an den DNA-Molekülen des Erbguts festhaken und es so schädigen.

Wie erkenne ich, ob meine Zahnpasta Titandioxid enthält?

Mit dem Verbot in Lebensmitteln wurde aber die Akte Titandioxid noch nicht geschlossen. Denn die Nanopartikel sind weiterhin in Medikamenten und Kosmetika enthalten. In Sonnenschutzcrèmes reflektieren sie die UV-Strahlen des Sonnenlichts, Crèmes und Zahnpasta lassen sie schön weiss glänzen.

Da Titandioxid nicht via Haut aufgenommen wird, gelten äusserlich aufgetragene Produkte als gesundheitlich unbedenklich. Aber Zahnpasta gelangt in den Mund, die dortige Schleimhaut stellt ähnlich wie jene im restlichen Verdauungstrakt keine zu hundert Prozent unüberwindliche Barriere dar. Zudem wird Zahnpasta, gerade von Kindern, häufig verschluckt.

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In einer Neubewertung von titandioxidhaltigen Kosmetika kam der wissenschaftliche Ausschuss für Verbrauchersicherheit bei der EU-Kommission (SCCS) nun vor wenigen Wochen zu dem Schluss, dass bei oral aufgenommenen Kosmetika mit Titandioxid eine Schädigung des Erbguts durch die Nanopartikel ebenfalls nicht ausgeschlossen werden könne.

Noch sind Kosmetika mit Titandioxid weder in der EU noch in der Schweiz verboten. Aber manche Hersteller verzichten bereits darauf. Konsumentinnen und Konsumenten können das beim Kauf einfach herausfinden: Steht auf der Zutatenliste das Kürzel «Cl 77891», «Pigment White» oder «Titanium Dioxide», dann enthält das Produkt die Nanopartikel.

Zulassungsbehörde befürchtet Engpass bei Medikamenten

Und wie sieht es nun bei Medikamenten aus? Viele Tabletten haben einen harten, glänzenden Überzug mit Titandioxid, ebenso machen die Miniteilchen Kapseln undurchsichtig. Die europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (EMA) hat bis jetzt kein Verbot von Titandioxid in Medikamenten ausgesprochen, weil sie keine grosse Gefahr sieht und durch ein sofortiges Verbot einen Engpass bei Medikamenten befürchtet.

«Die Entscheidung der EMA ist wissenschaftlich abgestützt und ausgewogen», sagt Martine Jéquier, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Schweizerischen Zulassungsbehörde für Arzneimittel Swissmedic. Mit Medikamenten wird viel weniger Titandioxid aufgenommen als durch Lebensmittel. Ob daher die dort enthaltenen Nanopartikel überhaupt eine Gefahr darstellten, sei nicht eindeutig bewiesen, so Jéquier. Auf jeden Fall sei das gesundheitliche Risiko um ein Vielfaches grösser, wenn ein ärztlich verschriebenes Medikament aus Angst vor Titandioxid nicht mehr eingenommen werde.

Zudem erfüllt Titandioxid in Medikamenten eine wichtige Schutzfunktion: Es reflektiert UV-Strahlen und bildet eine Barriere gegen Feuchtigkeit. Beide Faktoren können die Wirkstoffe beschädigen. Derzeit stünden keine ähnlich guten Ersatzstoffe zur Verfügung, ergänzt Jéquier. Die Medikamentenhersteller forschten zwar seit längerem an Alternativen. Doch andere Überzüge bekämen zum Beispiel schneller Risse oder seien nicht so lichtundurchlässig wie Titandioxid.

Die Suche nach Alternativen könnte demnächst beschleunigt werden. Denn derzeit arbeitet die EMA an einer Neubewertung von Titandioxid in Medikamenten. Das Ergebnis wird Anfang 2025 erwartet.

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