Donnerstag, September 19

Eiweisse im Sperma oder Pasta vor dem Sex: Beim Liebesspiel können Allergien auftreten, manche mit lebensgefährlichen Symptomen.
Wer gefährdet ist und wie man die Warnzeichen rechtzeitig erkennt.

Das Problem ist heikel. Und der 34-jährigen Frau aus Zürich ist es sichtlich unangenehm, mit ihrem Allergologen darüber zu sprechen. Jedes Mal direkt nach dem Sex, berichtet sie errötend, bekomme sie einen Ausschlag. Er fange im Genitalbereich an und breite sich über den ganzen Körper aus – sie sehe aus, als sei sie in Brennnesseln gefallen. Auch kriege sie schlecht Luft und müsse husten.

«Ich vermutete erst eine Allergie auf Sperma», erzählt Peter Schmid-Grendelmeier, der bis zu seiner kürzlichen Pensionierung die Allergiestation im Unispital Zürich geleitet und die Frau behandelt hat. «Die Symptome waren typisch, und die Frau hatte keine Beschwerden, als sie ein Kondom verwendete.» Doch Haut- und Bluttests ergaben keine Hinweise auf eine Sperma-Allergie. Die Frau reagiert erstaunt, als Schmid-Grendelmeier von ihr wissen möchte, ob sie Beschwerden habe, wenn sie Hunde streichle. In der Tat bekomme sie dann Schnupfen und auch schon einmal Atemnot. Das habe sie aber nie gestört, denn es komme nur bei manchen Hunden vor.

Jetzt hat der Arzt einen Verdacht, den die Allergietests bestätigen: Seine Patientin ist allergisch auf das Eiweiss Can f 5. Dieses wird in der Prostata von Rüden gebildet und kommt auch in deren Hautschuppen vor. Das erklärt, warum die Frau nur dann Schnupfen und Asthma bekommt, wenn sie männliche Hunde streichelt. Can f 5 ähnelt nämlich dem Eiweiss PSA in der menschlichen Prostata, das ins Sperma abgegeben wird, um es flüssiger zu machen. Weil sich Can f 5 und PSA so ähnlich sind, reagiert die Frau auch allergisch auf PSA beim Sex mit ihrem Partner. Die Therapie ist einfach, weil das Paar zurzeit kein Kind haben möchte: Sex nur mit Kondom.

Eine Allergie gegen Hundeeiweiss ist nur eine von mehreren Allergien, die beim Sex auftreten können. Wie häufig diese vorkommen, ist nicht genau bekannt. «Wahrscheinlich diagnostizieren wir solche Allergien zu selten», sagt Knut Brockow, Oberarzt in der dermatologischen Klinik der Technischen Uni in München. «Manche Betroffene führen ihre Beschwerden nicht auf den Sex zurück, und selbst wenn jemand Symptome hat, erzählt er nicht unbedingt seinem Arzt davon.» Mit dem Sperma kann ein Mann auch Allergie-auslösende Stoffe – sogenannte Allergene – übertragen, die er einige Stunden zuvor gegessen oder eingenommen hat, etwa Eiweisse von Baum- und Para- oder Erdnüssen oder Penicillin. Ist seine Partnerin gegen diese Substanzen allergisch, kann sie beim Sex darauf reagieren, weil die Stoffe mit dem Sperma in ihren Körper gelangen. Auch durch die Haut des Penis können Allergene übertragen werden.

Erdnussbutter im Speichel

Solche sexbedingten Allergien sind zwar selten, können aber mitunter sogar tödlich sein. So wie bei jenem Mann aus Kanada, der seinem neuen Partner nichts von seiner Erdnussallergie erzählt hatte. Er wurde von seinem Freund mit Oralsex verwöhnt, als er plötzlich keine Luft mehr bekam. Kurz darauf verlor er das Bewusstsein, der Notarzt stellte einen Kreislaufstillstand fest, und trotz hohen Adrenalindosen starb der Mann.

Sein Freund hatte Erdnussbutter gegessen, und die Eiweisse waren beim Oralsex aus seinem Speichel durch die Haut des Penis ins Blut seines Partners gelangt, was einen allergischen Schock verursacht hatte. «Wer eine schwere Allergie gegen Nahrungsmittel oder Medikamente hat, sollte immer eine Notfallspritze bei sich haben», rät Schmid-Grendelmeier. «Und im Zweifel immer mit Kondom – das schützt dann auch vor Geschlechtskrankheiten.»

Seinen 29 Jahre alten Patienten kann allerdings auch diese Massnahme nicht vor allergischen Symptomen bewahren. Beim Sex bekommt er brennnesselartigen Ausschlag, ihm bleibt die Luft weg, er schwitzt, und ihm wird schwarz vor Augen.

Verwundert hat er Schmid-Grendelmeiers Fragen nach Kindergeburtstagen, Zahnarztbesuchen und exotischen Früchten beantwortet. Bläst der Mann Luftballons auf, hustet er und hat Schwierigkeiten, Luft zu holen. Bei bestimmten Zahnarztbehandlungen schwillt sein Mund an, und wenn er Bananen, Kiwis oder Mangos isst, juckt es ihn im Mund, und seine Zunge wird dick.

Bluttests bestätigen: Er hat eine Allergie gegen das Latex-Eiweiss. Weil das Latex-Eiweiss in Kondom, Handschuh und Ballon Eiweissen in den erwähnten Früchten ähnelt, reagiert der Mann auch darauf allergisch. Mittlerweile benutzt er latexfreie Kondome, und der Sex macht ihm wieder Spass.

Manchmal sind es auch Allergene in Intimprodukten, die einem den Spass am Sex verderben. Verantwortlich sind beispielsweise Propylenglycol in Gleitmitteln, Perubalsam in Intimseifen und Hygienesprays oder Benzocain in Verhütungsgel. Solche Substanzen verursachen dann meist nur eine lokale Allergie mit Rötungen, Juckreiz und Schwellungen.

Früher wurde vermutet, dass auch das Postorgasmic Illness Syndrome von Männern eine Allergie darstellt. Dabei treten Sekunden bis Stunden nach einer Ejakulation grippeähnliche Symptome auf, Kopfschmerzen, Schnupfen und Hustenreiz. Nach einigen Tagen verschwinden diese von selbst. Nicht immer lassen sich IgE-Antikörper gegen Eiweisse im Sperma nachweisen, was auf eine allergische Ursache hindeuten würde. Manche Fachleute meinen, das Syndrom entstehe durch einen Mangel an Progesteron, andere halten eine Fehlregulation des Nervensystems für wahrscheinlicher.

Die Behandlung ist schwierig. Manchen Männern könnten antiallergische Mittel wie Omalizumab helfen, das den IgE-Antikörper blockiert, anderen nichtsteroidale Antiphlogistika oder Hormone. Unternommen – wenn auch nicht sehr erfolgreich – wurde auch schon eine Desensibilisierung, durch die der Körper anhand von winzigen Mengen des Allergens «lernen» soll, nicht mehr überempfindlich zu reagieren.

Kondome helfen weiter

Auch bei Frauen mit Sperma-Allergie wurde eine Desensibilisierung versucht. Trotzdem kam es immer wieder zu allergischen Reaktionen beim Sex. Solange das Paar ein Kondom benutzt, tritt keine Allergie auf, aber was tun, wenn die Frau schwanger werden möchte? «Kein Paar muss aus diesem Grund kinderlos bleiben», sagt Gideon Sartorius, Reproduktionsmediziner im Kinderwunschzentrum Fertisuisse in Basel. «Ist bei dem Paar sonst alles in Ordnung, sind die Chancen für ein Kind sehr gross.»

Allerdings ist dafür eine Insemination erforderlich. Das bedeutet, dass das Sperma des Mannes kurz vor dem Eisprung in die Gebärmutter übertragen wird. Die Allergene werden vorher aus dem Sperma entfernt. «Diese Reinigung verhindert meistens allergische Reaktionen», erklärt Sartorius. Im Falle einer schweren Allergie empfehle er aber eine künstliche Befruchtung ausserhalb des Körpers. Dann kommt der Embryo in die Gebärmutter, der keine Allergene mehr enthält.

Manchmal ist es die körperliche Anstrengung beim Sex, die Symptome wie Schnupfen, Asthmaanfälle oder Atemnot auslöst. Als Ursache wird eine Überreaktion des Nervensystems diskutiert. Dabei braucht es mitunter noch einen zusätzlichen Auslöser, etwa eine Allergie auf bestimmte Eiweisse im Weizen. Der 76 Jahre alte Mann, der Schmid-Grendelmeier vom Hausarzt zugewiesen wurde, litt phasenweise unter Atemnot und Asthma, aber eine Allergie war ihm nicht bekannt.

Durch gezieltes Nachfragen fand der Allergologe heraus, dass die Symptome immer nach dem Sex auftraten – aber nur dann, wenn der Mann vorher Pasta gegessen hatte. Die Kombination aus einem bestimmten Eiweiss im Weizen mit körperlicher Anstrengung in Form von Sex löste die Allergie aus. Auch hier ist die Behandlung einfach: Nach Genuss von Pasta, Ciabatta und anderen Weizenprodukten mit dem Sex einige Stunden warten.

«Das Problem ist, an eine Allergie im Zusammenhang mit Sex zu denken», sagt Knut Brockow. «Schwitzen, eine rasche Atmung, Rötungen auf der Haut und schneller Herzschlag sind normal für Sex – können aber auch eine Allergie anzeigen.» Und wenn der Intimbereich juckt, anschwillt und sich rötet, kann das ebenfalls allergisch bedingt sein.

Häufig steckt aber auch eine Infektion mit Pilzen, Bakterien oder Viren dahinter, oder womöglich kommt beides zusammen. Brockows Tipp: «Auch wenn es einem peinlich ist, dem Arzt davon zu erzählen: Ich würde das zeitnah abklären lassen», sagt er. «Infektionen können gravierende Folgen haben. Und ein gestörtes Sexleben wegen einer unentdeckten Allergie hat schon so manch eine Beziehung auf die Probe gestellt.»

Ein Artikel aus der «»

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