Montag, September 30

Diesmal werden alle Vorfälle ohne Vorbehalt aufgerollt. Das ist löblich. Doch das vorherige Missmanagement der Krise könnte sich rächen.

Der Gang ins Spital ist ein Akt maximaler Verletzlichkeit. Er setzt bei Patientinnen und Patienten uneingeschränktes Vertrauen voraus. Am Universitätsspital Zürich (USZ) hat dieses Kapital grossen Schaden genommen.

Wer dort durch die Tür tritt, stellt sich – ob zu Recht oder nicht – Fragen, auf die es bis heute keine abschliessenden Antworten gibt: Ist dies eine Institution, die von 2016 bis 2020 einen Chirurgen gewähren liess, unter dessen Händen unnötig viele Patienten starben? Wurden hier Operationen vorgenommen, bei denen es primär um persönliche Bereicherung ging? Und hat das Spital solche Machenschaften heruntergespielt, statt sie sauber aufzuklären?

Solche Fragen stellen sich, seit vor vier Jahren schwere Vorwürfe gegen den damaligen Chef der Herzklinik, Francesco Maisano, erstmals publik wurden. Sie stellen sich auch deshalb, weil die Verantwortlichen des USZ über die gesamte Dauer der Affäre einen zweifelhaften Eindruck hinterliessen. Sie reagierten widerstrebend, beschwichtigend und meist erst, wenn der öffentliche Druck zu gross wurde.

Peu à peu – gerade so viel, wie unbedingt nötig. Als liessen sie sich von der irrigen Annahme leiten, dass sie die Situation unter Kontrolle hätten und komplette Transparenz dem Spital mehr schaden als nutzen würde.

Dies galt bis ganz zuletzt. Im April überraschte Maisanos Nachfolger Paul Vogt, inzwischen mit dem USZ zerstritten, mit der Aussage, es sei eine glatte Lüge, dass durch Maisanos Wirken keine Patienten zu Schaden gekommen seien. Das Spital tat, als würde dieser Vorwurf nichts ändern. Es verwies auf entlastende Untersuchungsberichte und schwieg.

Es mag ja sein, dass die öffentlichen Kritiker des USZ auch eine eigene Agenda verfolgen, aber ihre Vorwürfe müssen deshalb nicht falsch sein – dies ist einer aufgeklärten Öffentlichkeit durchaus bewusst.

Als auch das USZ dies nach mehreren Wochen einsah und eine neuerliche Untersuchung versprach, folgte zugleich die nächste Relativierung. Aufgerollt werden sollten nur jene Fälle, die mit dem Tod des Patienten endeten. Dabei ist auch bei anderen Eingriffen Aufklärung zwingend: überall, wo es um den Vorwurf geht, dass aus Profitgier mangelhafte Implantate eingesetzt worden seien.

Das USZ liess noch einmal drei Monate verstreichen, ehe es an diesem Donnerstag bekanntgab, dass nun immerhin ein Vorsitzender für die Untersuchungskommission gefunden ist. Die Kommission selbst wurde noch nicht gebildet. Dennoch ist es ein Tag, an dem der vielgescholtenen Führung des USZ für einmal Lob gebührt. Denn sie veranlasst, was längst angezeigt gewesen wäre: eine Aufarbeitung ohne Vorbehalte.

Die Kommission, die hoffentlich bald ihre Arbeit aufnimmt, ist unabhängig und kann ohne Einschränkungen seitens des Spitals alles untersuchen, was in den fraglichen Jahren vorgefallen ist. Ausdrücklich auch, ob wirtschaftliche Interessen über das Wohl der Patienten gestellt wurden. Zudem werden die Ergebnisse öffentlich gemacht – anders als bei manchen der früheren Untersuchungen.

Dass bis dahin noch mindestens ein weiteres Jahr verstreichen dürfte, ist der Preis für die Gründlichkeit. Und dieser ist angemessen, denn nur wenn alle Versprechen gehalten werden, werden die Kritiker des USZ Ruhe geben. Und nur dann kann es dem Spital gelingen, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen.

Besser spät als nie, könnte man meinen. Es besteht allerdings die reale Gefahr, dass es für manches schlicht zu spät ist: Sollte sich zeigen, dass es am USZ zu strafbaren Handlungen kam, reicht die Zeit womöglich nicht mehr, um die Schuldigen vor der Verjährung zur Verantwortung zu ziehen. Dieser Makel bliebe am Unispital hängen – als Quittung für eine verschleppte Krise.

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