Am Wochenende ist der Marathonläufer Adrian Lehmann an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben. Der tragische Fall zeigt, dass auch junge Menschen fatale Herzerkrankungen entwickeln können. Wie es dazu kommen kann.
Der unerwartete Tod des Marathonläufers Adrian Lehmann hat über die Sportwelt hinaus schockiert. Wie ist es möglich, dass ein junger, gesunder Mann ein solches Schicksal erleidet? Einen Herzinfarkt, der aus heiterem Himmel zu kommen scheint und tödlich endet? Und das einen Tag vor dem Zürich-Marathon, an dem Lehmann die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris schaffen wollte.
Die Tragödie widerspricht allem, was wir über das Thema Herzinfarkt zu wissen glauben. Es beginnt mit dem Alter. In der Schweiz entwickeln vor allem ältere Menschen über 50 Jahre einen Herzinfarkt, wie ein Blick auf die Zahlen des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums zeigt (vgl. Tabelle unten). Die Statistik zeigt aber auch: Herzinfarkte kommen in der Altersklasse der 19- bis 34-Jährigen durchaus vor. Etwas häufiger sind junge Männer als junge Frauen betroffen.
Aber dass ein so junger Mensch an dem Infarkt stirbt? Auch das ist in der Schweiz sehr selten, aber nicht völlig ausgeschlossen, wie die Daten des Gesundheitsobservatoriums ebenfalls zeigen. So nimmt das Risiko, an dem Infarkt zu sterben, mit dem Alter des Patienten laufend zu. Wie bei der Herzinfarkt-Häufigkeit ist auch die Herzinfarkt-Letalität bei jungen Männern etwas höher als bei jungen Frauen.
Neben klassischen gibt es auch atypische Herzinfarkte
Was bei Adrian Lehmann letztlich den Herzinfarkt ausgelöst hat und warum der Athlet zwei Tage später im Spital verstarb, ist bis jetzt unbekannt. Antworten darauf kann nur eine Autopsie der Leiche geben. Die Folgen des Herzinfarkts hätten sich als schwerwiegender als zunächst angenommen herausgestellt – das ist das Einzige, was der Schweizerische Leichtathletikverband am Sonntag zum tragischen Krankheitsverlauf mitteilte. Mehr Auskünfte will der Verband mit Verweis auf die Privatsphäre der Familie nicht geben.
Was aber kann bei einem so jungen Menschen überhaupt einen Herzinfarkt auslösen? Meist sei es bei einem 34-jährigen Sportler das Gleiche wie bei einem Senior mit Herzinfarkt, sagt der Sportkardiologe Christian Schmied vom Universitätsspital Zürich und der Klinik Hirslanden.
Ein solcher «klassischer» Herzinfarkt ist meist ein zweistufiger Prozess. Zuerst bilden sich in den Herzkranzgefässen über die Jahre Ansammlungen von Fett und Kalk. Dieser Atherosklerose genannte Prozess engt das Blutgefäss langsam ein. Zum Infarkt komme es aber erst, wenn sich Teile dieser Plaques ablösten und das Blutgefäss akut verstopften, erklärt Schmied. Das vom Blutgefäss abgeschnittene Muskelgewebe ist jetzt ohne Sauerstoff und stirbt ohne Behandlung ab.
Wie Studien zeigen, sind die bekannten Risikofaktoren für einen Herzinfarkt wie Rauchen oder erhöhte Cholesterin- und Blutdruckwerte schon bei jungen Menschen unter 40 Jahren relevant. Was dabei aber auffällt: Bei jüngeren Herzinfarktpatienten finden sich in der Familie oft nahe Familienmitglieder mit ähnlichem Schicksal. Das deutet darauf hin, dass bei ihnen ein Teil des Herzinfarktrisikos vererbt sein dürfte.
In selteneren Fällen hat der Herzinfarkt jedoch einen atypischen Auslöser. Dazu gehört ein spontan eingerissenes Herzkranzgefäss. Bei einer solchen Dissektion wird der Blutfluss in der Arterie wie beim klassischen Herzinfarkt akut blockiert. Diese Infarktursache betrifft laut Studien eher jüngere Menschen unter 50 Jahren und Frauen.
Auch eine «paradoxe Embolie» ist eine atypische Herzinfarktursache. Dabei wird ein Blutgerinnsel durch ein Loch in der Wand zwischen den Herzkammern gespült. Gerät das Gerinnsel danach in eine Herzkranzarterie, kann es das Gefäss verstopfen und einen Infarkt auslösen. Auch eine solche Embolie betrifft eher jüngere Herzinfarktpatienten.
Ebenfalls schon in jungen Jahren können Risikogene einen Herzinfarkt auslösen. Das ist etwa von einer Gerinnungsstörung namens Faktor-V-Leiden-Mutation bekannt. Personen mit dieser Genvariante bilden relativ häufig Blutgerinnsel und haben daher auch ein teilweise stark erhöhtes Herzinfarktrisiko.
Der Infarkt kann das Herz aus dem Takt bringen
Bei allen Typen von Herzinfarkt wird letztlich die Blutzufuhr zum Herzmuskel unterbrochen. Das spüren viele Patienten als typische Brustschmerzen. Jetzt zählt jede Minute. Denn bei einem grossflächigen Infarkt kann es rasch zum Herz-Kreislauf-Versagen kommen.
Um das zu verhindern, muss der Kardiologe oder der Herzchirurg notfallmässig das Hindernis in der Herzkranzarterie wegräumen. Danach wird das Blutgefäss meist mit einem Metallgitter (Stent) stabilisiert. Auch bei einer eingerissenen Blutgefässwand wird ein Stent als Gefässstütze eingesetzt.
Damit ist es aber nicht immer getan. Gefürchtet sind beim Herzinfarkt auch die Komplikationen, die sofort oder erst nach einigen Tagen oder Wochen auftreten können. Besonders heikel ist die potenziell tödliche Herzrhythmusstörung, wie sie zum Beispiel der Profi-Fussballer Christian Eriksen 2021 an der Fussball-Europameisterschaft erlitt. Ohne äussere Einwirkung brach der 29-Jährige in einem Spiel vor laufenden Kameras zusammen.
Eriksen hatte Glück. Noch auf dem Spielfeld konnte er reanimiert und die Herzrhythmusstörung per Stromschlag beendet werden. Zum Schutz vor weiteren solchen Episoden haben die Ärzte dem Athleten später einen automatischen Defibrillator ins Herz eingebaut.
Was im Einzelfall den Herzinfarkt oder den plötzlichen Herztod auslöst, ist weder exakt vorauszusehen noch ganz zu verhindern. Man kann aber neben den erwähnten Herz-Kreislauf-Risikofaktoren auch mögliche Anomalien am Herzen erkennen, die das individuelle Risiko für einen Herzstillstand erhöhen. Dazu gehören bestimmte Herzmuskelerkrankungen (Kardiomyopathien), verkalkte Herzkranzarterien sowie vererbte Syndrome, bei denen die elektrische Leitfähigkeit am Herzen verändert ist. All das geht mit einem erhöhten Risiko für lebensgefährliche Rhythmusstörungen einher.
Solche Rhythmusstörungen können durch grosse sportliche Anstrengung ausgelöst werden. Insgesamt sind beim Sport aufgetretene Fälle von Herztod aber sehr selten. Schätzungen gehen von jährlich weniger als einem Ereignis bis zu knapp 7 Ereignissen pro 100 000 Athleten aus. Laut Schmied zeigen Studien mit Marathonläufern, dass unter den Toten auffallend viele übermässig ambitionierte männliche Hobbysportler über 40 Jahre sind. Der Tod tritt zudem oft auf den letzten zehn Kilometern auf, wenn es ums «Durchbeissen» geht.
Gefahr droht ab neun Stunden hartem Training pro Woche
Dazu passen auch neuere Erkenntnisse, wonach sehr ambitionierte männliche Elitesportler teilweise stärker verkalkte Herzkranzarterien aufweisen, als man das in ihrem Alter erwarten würde. Bei ihnen hatte der Sport also schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit. Wo aber liegt die Grenze, ab der es ungesund wird? Die sei nicht exakt zu definieren, sagt Schmied. Allgemein empfehle man aber nicht mehr als wöchentlich neun Stunden Training in hoher Intensität.
Als mögliche fatale Trigger gelten die bei extremer Leistung auftretenden physiologischen und hormonellen Veränderungen im Körper. Dabei spielt laut Schmied oft auch eine Vernarbung im Herzen eine Rolle, wie sie bei einer Herzmuskelentzündung entstehen könne. Ausgelöst werde eine solche Entzündung durch eine Vielzahl von Viren, sagt der Arzt. Die immer wieder beschuldigte Corona-Impfung steht dagegen viel weniger im Verdacht.
Um das Risiko einer Vernarbung am Herzen zu minimieren, empfiehlt Schmied nicht nur Spitzenathleten, sondern auch Hobbysportlern, im Falle einer viralen Infektion auf den Sport zu verzichten. Denn während der akuten Infektion bestehe ein hohes Risiko für gefährliche Rhythmusstörungen, erklärt der Arzt. Zudem würden allfällige Narben das Risiko für tödliche Herzrhythmusstörungen lebenslang erhöhen. Bei vielen tragischen Herztodesfällen in den letzten Jahren habe man solche Narben nach Herzmuskelentzündungen in der Autopsie nachweisen können.
Neben dem Sportverbot bei viralen Infektionen empfiehlt Schmied allen ambitionierten Sportlern regelmässige vorsorgliche Untersuchungen. Bei Kaderathleten sind diese heute in vielen Sportarten etabliert. Dazu gehört etwa ein Ruhe-EKG. Das sei gerade für jüngere Athleten wichtig, sagt Schmied, der an internationalen Richtlinien zum Thema mitgearbeitet hat. Denn mit dem EKG könne man über 90 Prozent der angeborenen Anomalien am Herzen entdecken.
Bei älteren Sportlern – wobei man im Leistungssport spätestens mit 35 Jahren als «älter» gilt – ist es laut dem Kardiologen entscheidend, das Risiko für eine Atherosklerose in den Herzkranzgefässen abzuschätzen. «Ein EKG reicht dafür nicht aus, und auch ein Fahrrad- oder Laufbandtest ist nicht genügend zuverlässig», betont Schmied. Die Risikoabschätzung müsse vielmehr unter Einbezug verschiedener Faktoren wie den Cholesterinwerten, aber auch des individuellen Stresslevels des Sportlers erfolgen.
Bei allen potenziellen Gefahren dürfe man die gesundheitsfördernde Wirkung von Sport nicht aus den Augen verlieren, betont Schmied. Körperliche Bewegung ist so gesund, dass Ärzte heute nur noch in absoluten Ausnahmesituationen wegen einer Krankheit vom Sport abraten. Selbst Personen mit einer stabilen Einengung der Herzkranzarterien – dabei erhält der Herzmuskel erst bei grösserer Belastung zu wenig Sauerstoff – wird regelmässige Bewegung in moderater Intensität empfohlen.