Freitag, April 25

Japans Bevölkerungszahl schrumpft. In Tokio leben hingegen immer mehr Menschen. Vor allem reiche Asiaten haben ein Faible für die Metropole. Der Wohnraum in den Hochhäusern wird immer teurer, obwohl es keinen Wohnungsmangel gibt.

Thomas Hasler, Chef des Schweizer Bauchemiekonzerns Sika, steht in einem Vorzeigebeispiel der japanischen Stadtplanung: in einem Saal im 34. Stock des Mori JP Tower in Tokio. Es ist eines der neuesten und höchsten Hochhäuser Japans. Hasler hält dort die globale Investorenkonferenz von Sika ab. Mit Blick auf die grösste Stadt der Welt erklärt er den angereisten Analysten, wie sein Unternehmen vom Höhenflug der japanischen Immobilienentwickler profitiert.

Über 200 Gebäude in Tokio seien höher als 150 Meter, 53 sogar höher als 187 Meter, sagt Hasler. Der 330 Meter hohe Mori JP Tower ist Teil des jüngsten Grossprojekts «Azabudai Hills» des japanischen Immobilienriesen Mori. Insgesamt besteht «Azabudai Hills» aus drei Hochhäusern. Allein der Mori JP Tower bietet Platz für 20 000 Angestellte und 91 Luxusapartments – gebaut mit Betonmischungen und Verbundlösungen von Sika.

Doch damit nicht genug: Neben dem Turm gibt es eine internationale Schule, ein Hotel, ein Krankenhaus, Geschäftspassagen und 1400 Wohnungen in weiteren Gebäudekomplexen und Hochhäusern. «Die vertikale Expansion wird sich beschleunigen», prophezeit Hasler. Denn Land ist in Japan kostbar und knapp. Und in Tokio steigt die Nachfrage.

Tokio wirkt wie ein Magnet

Zehn weitere Hochhäuser sind bereits im Bau oder geplant. Neben diesen Giganten sind schon viele sogenannte «Tower Mansions» in die Höhe geschossen. Dabei handelt es sich um Wohnhochhäuser mit 30 bis 40 Stockwerken. Denn anders als im Rest Japans steigt die Einwohnerzahl in Tokio. Mittlerweile leben 14 Millionen Menschen in der Stadt.

Zum einen zieht Tokio als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum viele berufstätige Japanerinnen und Japaner an. Die Löhne sind in Tokio höher. Aber auch Senioren ziehen aus den Vororten zurück in den Grossraum Tokio, der mit 38 Millionen Einwohnern die grösste zusammenhängende Stadtregion der Welt ist.

Für beide Gruppen sind «Tower Mansions» zu einer beliebten Zuflucht geworden. Selbst an vielen Bahnhöfen am Stadtrand ragt mindestens ein Turm aus einem Meer von kleineren Wohngebäuden und Einfamilienhäusern empor. Neubauten müssen sich über Leerstand nicht sorgen, denn das bequeme Leben in den Türmen wirkt wie ein Magnet.

Ein Beispiel ist ein Hochhaus am Bahnhof Kanamachi im Nordosten der Hauptstadt. Eine Minute zum Bahnhof bedeutet Lebensqualität für Pendler. Sie müssen auch dann noch 30 bis 60 Minuten in vollgestopften Bahnen zum Büro fahren. Darüber hinaus bietet das Gebäude einen rund um die Uhr geöffneten grossen Supermarkt, die Bezirksbibliothek, Restaurants und Ärzte, ideal sowohl für gestresste Familien als auch für Senioren.

Neben den japanischen Käufern spielen auch ausländische Investoren eine wichtige Rolle für den Immobilienboom. Sie haben seit 2019 mehr als zehn Milliarden Euro in Japans Immobilienmarkt investiert. Die meisten Anleger stammen aus China, Hongkong, Taiwan und Singapur. «Tokio ist aufgrund seiner politischen Stabilität und robusten Wirtschaft eines der sichersten Investitionsziele in Asien», sagen die Experten des Immobilienmaklers Housing Japan.

Rekordpreise schrecken Ausländer nicht ab

Eine Nebenwirkung des Booms sind allerdings Rekordpreise für Eigentumswohnungen. Insgesamt herrscht zwar kein Wohnungsmangel in Tokio. Daher sind die Preise für Boden und Einfamilienhäuser bis zur Pandemie laut dem amtlichen Immobilienpreisindex auch nicht gestiegen. Die Preise für Neubauwohnungen hingegen schossen seit 2012 um neunzig Prozent in die Höhe.

Besonders gefragt sind hochpreisige Wohnungen im Zentrum. Laut dem Real Estate Economic Institute stieg der Durchschnittspreis für eine neue Eigentumswohnung im Zentrum Tokios in der ersten Hälfte des Jahres 2023 auf den Rekordwert von 129,6 Millionen Yen (780 000 Euro).

Das belastet inzwischen den japanischen Normalverdiener, dessen Realeinkommen seit 1995 kaum gestiegen ist. Eine qualifizierte Fachkraft müsse für den Kauf einer Durchschnittswohnung mit 60 Quadratmetern Fläche nun das Fünfzehnfache ihres durchschnittlichen Jahresgehalts aufbringen, besagt eine Studie der UBS. Vor zehn Jahren war es noch das Zehnfache.

Damit ist Tokio für Japaner teurer als Metropolen wie London oder Singapur für dortige Einheimische. Bei Familien steht daher die südlich von Tokio gelegene Millionenmetropole Yokohama immer höher im Kurs. In der Rangliste der beliebtesten Wohnorte im Grossraum Tokio, die das Online-Makler-Portal Suumo jährlich erstellt, baute Yokohama seinen Vorsprung weiter aus, während viele Bezirke Tokios an Popularität verloren.

Top-Manager willkommen

Dennoch dürfte der Boom im Zentrum weitergehen. Laut einer Umfrage der Immobilienberatungsabteilung von Mitsubishi UFJ Trust and Banking erwarten Tokios Immobilienentwickler, dass die Preise für Eigentumswohnungen zumindest 2024 weiter steigen werden, obwohl Japans Notenbank dieses Jahr ihre Minuszinspolitik beendet und die Zinsen erstmals seit 2007 angehoben hat.

Erstens steigen laut der Bank die Baukosten durch Inflation und höhere Gehälter für Bauarbeiter, die immer knapper werden. Zweitens müssen die Gebäude besser isoliert werden als bisher. Doch die hohe Nachfrage durch Ausländer spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Für sie ist Tokio nämlich trotz Preisrekorden weiterhin attraktiv – dank schwachem Yen. Japans Landeswährung hat seit 2022 gegenüber dem Dollar mehr als ein Drittel an Wert verloren. Damit war Tokio 2023 laut dem Real Estate Research Institute weiterhin preiswerter als die meisten asiatischen und westlichen Grossstädte.

Für Shingo Tsuji, den Chef von Mori Building, ist der Bau von Luxuswohnungen in Tokio sogar ein wichtiger Faktor, damit Japan globale Top-Manager anziehen und weiter wachsen kann. «Einige Menschen suchen nach wirklich hochpreisigen Eigentumswohnungen», sagte er vor der Eröffnung des Projekts «Azabudai Hills». «Ohne sie wird die globale Wettbewerbsfähigkeit Japans sinken.» Die Aussicht auf weitere Projekte in Japan ist eine gute Botschaft für Sika. Denn keiner der neuen Hochhausriesen komme ohne Produkte des Schweizer Konzerns aus, sagt der Sika-Chef Hasler.

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