Donnerstag, Oktober 10

Erstmals ist ein umfangreiches Werk der Weltliteratur ins Romanische übersetzt worden. Der kleine Verlag Ediziun Apart geht ein Wagnis ein – und hofft auf 500 verkaufte Exemplare.

Der Verleger Gion Fry dachte anfänglich: «Das können wir nie machen!» Nun ist es aber da. Die Ediziun Apart bringt als kleiner Verlag ein Werk der Weltliteratur heraus – auf Rätoromanisch. Es heisst «Il Hobbit» und wird ab Mai im Handel erhältlich sein. Mehr als 100 Millionen Mal wurde das englische Original des britischen Fantasy-Autors John Ronald Reuel Tolkien verkauft, in mehr als 60 Sprachen.

Und bald auch auf Sursilvan. Eine Auflage von 1000 Stück ist gedruckt, mehr als 300 Exemplare sind reserviert, 500 Verkäufe wären ein Erfolg. «Die Chancen stehen gut, dass wir unsere Kosten decken können», sagt der Verleger Fry. Es wäre ein kleiner Coup.

Mut in der Randregion

Vielleicht steckt dahinter auch ein Statement – eines, das Tolkien in den 1930er Jahren ganz ähnlich in seinen Bestseller gepackt hat. Auch wenn der Hobbit klein und das Abenteuer vor ihm gross ist, kann er mit seinem Mut zum gesuchten Schatz gelangen. Den jungen Leserinnen und Lesern im romanischen Sprachraum bringt dieses Unterfangen der Ediziun Apart eine verwandte Botschaft: «Wir wollen ihnen zeigen, dass es möglich ist, ein solches Projekt zu realisieren», sagt der Verleger Fry.

Ganz einfach war es nicht. Das Verlagswesen ist ein hart umkämpftes Pflaster – erst recht, wenn man Bücher für eine Sprache herausbringt, die nur rund 60 000 Menschen lesen können und in sechs verschiedene Idiome aufgeteilt ist. Seit 20 Jahren kämpft Fry mit diesem Umstand, nebenberuflich. Anders wäre es unmöglich. Sporadisch betreut er mit seinem Neffen Leander Etter Autoren und Werke, von denen sie überzeugt sind.

Absage vom Harry-Potter-Verleger

Die Rumantschia sei gemessen an ihrer Grösse literarisch sehr produktiv, sagt Fry. In den vergangenen Jahren habe sich das Schaffen der Autorinnen und Autoren sehr stark auf die Lyrik verlagert. Fry und Etter suchten aber nach Prosa. Die Idee zur Übersetzung von «Der Hobbit» sei in eine Zeit gefallen, in der sie kein Projekt hatten, das sie verfolgen wollten.

So kam Leander Etter auf eine fast verwegene Idee. Frys Neffe ist Jurist und Fantasy-Liebhaber. Er schlug seinem Onkel zuerst vor, «Harry Potter» auf Rätoromanisch herauszubringen – einen Klassiker der Jugendliteratur.

Er liess den jüngeren Geschäftspartner walten. Die Verhandlungen mit dem englischen Verleger schritten voran, scheiterten aber. Fry und Etter liessen nicht locker und versuchten es mit dem Hobbit. Eine intensive Korrespondenz wurde nötig – unterstützt von der Lia Rumantscha, vom Dachverband aller romanischen Sprachvereine. Das Resultat ist erstaunlich: Für 3000 Franken konnte die Ediziun Apart die Rechte übernehmen. Sie sind an den kleinen Sprachraum angepasst.

Schlaflose Nächte

Trotzdem kostet das Projekt. Rund 70 000 Franken musste der Verlag für die rund zweijährige Arbeit von der Idee bis zum Vertrieb aufbringen. Fry sagt, er habe sich vom jugendlichen Leichtsinn seines Neffen anstecken lassen, habe danach aber schlaflose Nächte gehabt. «Als wir mit den Kalkulationen begannen, dachte ich, wir würden es nie schaffen.»

Aber der Zuspruch war gross. Pro Helvetia, mehrere Stiftungen, Gemeinden und die Kulturförderung des Kantons Graubünden: Sie alle zeigten Verbundenheit zur Idee. Über ein Crowdfunding kamen mehr als 21 000 Franken zusammen.

Offenbar hatten sie einen Nerv der Zeit getroffen. «Der Kleine Prinz» war auf Romanisch übersetzt worden, ebenso hatte dies der Autor Leo Tuor mit mehreren kürzeren Werken von Joyce, Dürrenmatt oder Kafka getan. Noch nie hatte sich jemand an einen längeren Bestseller gewagt. «Vielleicht wegen der enormen Kosten», mutmasst Fry, «unsere Arbeit könnte nun für andere Verlage ein Impuls sein.»

Bedarf nach neuen Stoffen auf Rätoromanisch

Übersetzt wurde der Hobbit mit 280 Seiten von Not Battesta Soliva, der an der Universität Zürich Germanistik und Rätoromanisch studiert. Verlag und Übersetzer entschieden sich für das Idiom Sursilvan, weil es das meistgesprochene ist, auch wenn von nur rund 15 000 Menschen. Das Rumantsch Grischuna, quasi das Hoch-Rumantsch, habe als Kunstsprache den Weg in die Herzen der Rätoromaninnen und Rätoromanen noch nicht gefunden, sagt Verleger Fry. «Das Sursilvan passt mit seinem Klang, seiner Melodie optimal zum Werk.» In der sursilvanischen Version wird der Protagonist Bilbo Baggins zu Bilbo Bundli.

Sprachen wie das Rätoromanische sind bedroht. Ein Jugendbuch kann neue Leserinnen und Leser aber binden. An den Literaturtagen in Domat/Ems erlebt Fry jeweils, wie sehr Jugendliche sich für ihre Sprache engagieren, lesend, schreibend, singend. «Man spürt den Bedarf nach neuen Stoffen», sagt Fry. Ein Fantasy-Roman sei optimal.

Und vielleicht auch ein zweiter? Der Harry-Potter-Verlag hatte vor allem aus einem Grund eine Absage erteilt: weil die Ediziun Apart noch kein internationales Werk der Grösse «Harry Potters» verlegt hatte. Das ist nun anders.

Exit mobile version