Samstag, Oktober 5

Der frühere Quarterback Tom Brady lässt sich in den nächsten zehn Jahren 375 Millionen Dollar bezahlen, damit er NFL-Partien kommentiert. Am Wochenende feiert er sein Debüt als TV-Analyst – unter erschwerten Bedingungen.

23 Jahre lang hat Tom Brady in der National Football League (NFL) gespielt, er hat die Liga während zweier Dekaden dominiert und sieben Mal den Super Bowl gewonnen. 2023 trat er mit 45 als erfolgreichster Athlet in der Geschichte des American Football zurück, nachdem ihm die New England Patriots und die Tampa Bay Buccaneers insgesamt 332 962 392 Dollar überwiesen hatten.

14,476 Millionen pro Saison waren das – mehr Geld, als er und seine Familie je werden ausgeben können. Doch der Reigen hat kein Ende: Fox bezahlt ihm in den nächsten zehn Jahren 375 Millionen, damit er NFL-Spiele kommentiert. Und damit fast das Dreifache dessen, was er als Profi erhielt, in einem Job, in dem er Sonntag für Sonntag seine Gesundheit aufs Spiel setzte. Heute besteht das Hauptrisiko darin, dass es in den Kommentarspalten hämischen Neid absetzt – Brady wird ihn verschmerzen können.

Es ist eine absurde Summe, und wer die Antwort auf die Frage finden will, wie das sein kann, muss sich vor Augen halten, dass der amerikanische Sport in den letzten Jahren fast alle Relationen verloren hat. Es wird mit Geld um sich geworfen, als mässen sich die Protagonisten in einer angeregten Partie Monopoly.

Ganz besonders gilt das für die NFL, den Geldesel unter den amerikanischen Profiligen. 2021 hat die Liga ihre Medienrechte für elf Jahre verkauft und damit 110 Milliarden Dollar generiert; mittlerweile übertragen auch Netflix und Amazon ausgewählte Partien live. 2023 hatte die NFL mit ihren etlichen Lizenzabkommen bereits einen Umsatz von 13 Milliarden erwirtschaftet, bevor in den Stadien auch nur ein Ticket oder ein Hotdog abgesetzt wurde. Die Liga ist für die milliardenschweren Klubbesitzer längst zu einer Gelddruckmaschine geworden.

In den USA steht die NFL über allem – die 22 TV-Live-Übertragungen mit den höchsten Einschaltquoten waren allesamt NFL-Partien. Und die Liga unternimmt einiges dafür, weitere Märkte zu erschliessen. In der Nacht auf Samstag findet erstmals ein Spiel in Brasilien statt. In Deutschland boomt der Sport so sehr, dass die Spiele mittlerweile wöchentlich auf RTL übertragen werden. Die Tickets für die Partie in München vom 10. November waren innert 90 Minuten ausverkauft, obwohl sich mit den Carolina Panthers und den New York Giants zwei miserable Equipen gegenüberstehen werden.

Bis 2027 will die NFL ihren Umsatz auf 25 Milliarden Dollar pro Jahr steigern

Der Mann, der das Wachstum vorantreibt, ist der Ligakommissionär Roger Goodell. Goodell, 65, leitet die Geschicke seit 2006 und verdient nach amerikanischen Medienberichten neuerdings mehr als 40 Millionen pro Jahr. Sein erklärtes Ziel ist es, den Umsatz der NFL bis 2027 auf 25 Milliarden pro Saison zu hieven. Lange schien das wie eine Illusion, doch schon heute dürfte sich die Zahl bei rund 23 Milliarden bewegen.

Zahlen nennt die NFL nicht, sie lassen sich nur aus dem Geschäftsbericht der Green Bay Packers ableiten, des einzigen Teams, das keinem schwerreichen Besitzer gehört, sondern knapp 539 000 Kleinaktionären. Was gesichert ist: Unter Goodell wächst die Liga Jahr für Jahr.

Nicht nur Brady gehört zu den Profiteuren. Sieben weitere Kommentatoren verdienen zehn oder mehr Millionen. Viel Geld, gemessen an dem Umstand, dass nicht erwiesen ist, ob irgendjemand eine Partie tatsächlich deshalb verfolgt, weil er den Analysen eines bestimmen Berichterstatters lauschen will. Schauen mehr Leute die Partien von YB in der Champions League, wenn anstelle von Diego Benaglio alte Granden wie Kubilay Türkyilmaz oder Stéphane Chapuisat die Geschehnisse einordnen?

In der NFL gibt es bei Spielen von «Monday Night Football» den «Manningcast» der Brüder Peyton und Eli Manning, beide frühere Quarterbacks, die den Super Bowl gewonnen haben. Peytons Bekanntheitsgrad dürfte jenem von Brady nur marginal nachstehen. Doch ihre Einschaltquoten betragen einen Fünfzehntel der Quoten der traditionellen Übertragung auf ESPN.

Auch Bill Belichick erliegt dem Sirenengesang der TV-Studios

Dem Starkult der TV-Macher, ihrer Fixierung auf grosse Namen, tut das keinen Abbruch, da spielt das Geld keine Rolle, während es daneben beständig zu Entlassungen kommt. Sean McVay, der Los Angeles 2021 zum Triumph im Super Bowl führte, verdient bei den Rams als Headcoach 14 Millionen Dollar. Amazon bot ihm als Kommentator deren 20, doch McVay lehnte ab, er ist erst 38.

Bill Belichick dagegen nahm an, der Weggefährte Bradys, der im Januar in New England entlassen wurde. Belichick, 72, auf der Seite der Medien, ausgerechnet er, der beständig den Eindruck vermittelte, einen Zahnarzttermin einer medialen Verpflichtung vorzuziehen. Er war berüchtigt für seine notorisch einsilbigen und fast immer übel gelaunt vorgetragenen Antworten. Ob des gegenwärtigen Goldrauschs scheint er seine Abneigung vergessen zu haben.

Bei Brady aber fragt sich schon, welchen Mehrwert er generieren soll. Seine Kompetenz steht ausser Frage. Doch weil der Kalifornier im Begriff steht, einen Anteil von 10 Prozent an den Las Vegas Raiders zu erstehen, gelten für ihn zahlreiche Restriktionen: Anders als seine Berufskollegen hat er keinen Zugang zu den Trainingseinheiten. Und darf auch nicht an den traditionellen Hintergrundgesprächen mit den Spielern und Trainern teilnehmen. Schiedsrichterkritik ist ebenfalls tabu.

Unter diesen erschwerten Bedingungen wird Brady am Sonntag bei der Partie zwischen den Dallas Cowboys und den Cleveland Browns debütieren. Er sei glücklich darüber, zurück zu sein, sagte Brady. Vielleicht wurde ihm langweilig, nach einem Jahr Abstinenz vom NFL-Alltag, der sein Leben so lange geprägt hat.

In der Öffentlichkeit stand er nach seinem Rücktritt vor allem mit dem «Roast of Tom Brady» auf Netflix, bei dem er sich von Comedians und Weggefährten beleidigen liess. Es war insgesamt erschreckend unwitzig, und Brady klagte im Anschluss darüber, dass die Veranstaltung seine Kinder negativ beeinflusst habe. Vielleicht hätte er sich das vorher überlegen müssen – die 25 Millionen Gage hätte er vermutlich nicht benötigt.

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