Donnerstag, Oktober 3

Die Raubtiere dürfen ihr Fressen selber jagen. In der Otteranlage im Sihlwald geht es ruhiger zu – mit einer Ausnahme.

Es gibt Fischotteranlagen und Fischotteranlagen. Da wäre zum Beispiel jene im Sihlwald, im gleichnamigen Naturerlebnispark. Dort liegen zwei verwunschene Teiche, einer etwas weiter oben, der andere etwas weiter unten, nahe am Fluss. Viel Grün am Ufer, viel braunes Wasser. Vogelgezwitscher und der entfernte Lärm eines Presslufthammers liegen in der Luft.

Zu sehen gibt es wenig. Keine Otter. An Land nicht und auch nicht im Wasser. Beim unteren Becken kann man über eine Treppe in ein Untergeschoss hinabsteigen. «Tauchen Sie ein in die Unterwasserwelt der Sihl», steht über dem Eingang geschrieben. Da unten liegen zwei Glasscheiben, dahinter eine trübe Wasserlandschaft. Ein paar winzige Fische schwimmen vorbei. Vielleicht sind es Elritzen, auch Pfrillen genannt.

Aber auch hier: keine Fischotter weit und breit. Pech. Die beiden Exemplare, die seit 2022 in dieser Anlage leben, haben gerade Besseres zu tun, als sich zu zeigen.

Seit 1989 ausgestorben in der Schweiz

Bei der Fischotteranlage im Zoo Zürich ist am Mittwochvormittag viel mehr los. Der Zoo hat wie jeden Monat zum Medien-Apéro geladen. Tele Züri ist vor Ort, Tele Top ebenso. Schliesslich wird einiges geboten: Tom, das zooeigene Männchen, hat vor kurzem eine Gefährtin bekommen: Cleo, eine Otterdame aus einem dänischen Tierpark, soll mit ihm dereinst eine Familie gründen. Dass Cleo erst einjährig und damit noch nicht geschlechtsreif ist, gerät zur Nebensache: Tom und Cleo sind ein Paar, das steht für die PR-Verantwortlichen des Zoos bereits fest.

Ihr Auftrag ist ebenfalls klar: Falls nötig, soll der Nachwuchs der beiden die natürliche Wiederansiedlung des pelzigen Raubtiers in der Schweiz verstärken helfen. Seit 1989 gelten Fischotter als ausgestorben. Das eidgenössische Fischereigesetz von 1888, das «die Ausrottung von Fischottern und anderen der Fischerei besonders schädlichen Tieren» verlangt hatte, hatte fatale Folgen. 1952 wurden Fischotter zwar unter Schutz gestellt. Doch da war es schon zu spät. Der Bestand erholte sich nicht mehr.

Doch seit ein paar Jahren gibt es Hoffnung. Einzelne Fischotter wurden an der Rhone bei Genf, am Tessin, am Hinterrhein und an der Aare bei Bern gesichtet. Bei Samaden im Oberengadin tappte 2018 gar ein Muttertier mit zwei Jungen in eine Fotofalle. Wahrscheinlich war die Familie den Inn flussaufwärts aus Österreich eingewandert.

Tom ist ein Medienprofi – er liefert das gewünschte Spektakel unter Wasser

Und nun also Tom und Cleo. Auch wenn Cleo davon nichts wissen will, zumindest nicht während des Medien-Apéros am Mittwoch: Sie liegt gemütlich in ihrer Höhle und schläft. Otter sind nachtaktive Tiere. Ausserdem muss sich Cleo noch an ihre neue Umgebung gewöhnen.

Tom hingegen ist ein Medienprofi. Das Männchen weiss genau, was zu tun ist, damit die Journalisten etwas zu berichten haben. Ein Tierpfleger betritt die Anlage, er trägt einen Kübel in der Hand. Darin schwimmen: lebendige Forellen. Sie werden in den Teich gekippt. Unter Wasser liegen kleinere Felsen und Baumstämme. Die Beutetiere sollen zumindest theoretisch eine Chance haben, sich zu verstecken.

Die Fischotteranlage im Zoo ist viel kleiner als jene im Sihlwald. Aber das Wasser ist klarer, und so kann man viel mehr erkennen an der Glasscheibe. Die Fische schwimmen also im Wasser, erkunden die Gegend, warten auf ihr Schicksal. Dann kommt Tom.

Der Otter tapst aus seiner Höhle, gleitet ins Wasser, taucht geschmeidig auf und ab, macht sich über sein Frühstück her. Es ist ein ungleicher Kampf, zumal den Fischen zu allem Übel auch Gefahr von oben droht: Ein Graureiher hat offenbar Wind von der Fütterung bekommen und packt ebenfalls zu. Die Menschen hinter der Glasscheibe sind fasziniert von dem Schauspiel. Tom ist ein Sympathieträger. Er ist flink, elegant, macht einen herzigen Eindruck. Und er hat einen grossen Appetit: Ausgewachsene Otter fressen bis zu zwei Kilo Fisch pro Tag.

Der schnelle Tod der Forellen im Wasser rührt niemanden. Wie gross wäre wohl der Aufschrei, wenn die Raubkatzen des Zoos ab 2025 in ihrem neuen Gehege zuerst ein Rind oder ein Schaf töten müssten, um es zu fressen?

Nachwuchs im Sihlwald?

Das wird nicht passieren. Tom und Cleo sind zwei von nur wenigen Tieren im Zoo, die ihr Fressen selber jagen und erlegen dürfen. (Lebend verfüttert werden sonst nur Insekten.) Die Idee dahinter: Die Fischotter sollen ihren Jagdinstinkt trainieren und diese Fertigkeiten eines Tages auch ihren Jungen weitergeben – damit diese sich auch in der freien Wildbahn zurechtfinden würden, falls sie irgendwann tatsächlich ausgewildert werden sollten.

Ob dies bei den Jungtieren von Tom und Cleo – sofern sie denn welche haben werden – tatsächlich der Fall sein wird, ist indes offen. Dominik Ryser, der Kommunikationsverantwortliche des Zoos, lässt im Gespräch mit Journalisten durchblicken, dass Fischotter eher an andere Zoos und Tierparks abgegeben werden dürften, um dort für frisches Blut zu sorgen – wie Cleo.

Also eher keine Auswilderung. Das erspart den Zooverantwortlichen kritische Nachfragen, ob eine vergleichsweise kleine Anlage mit ein paar Forellen im Wasser tatsächlich geeignet ist, um Tom und Cleo beziehungsweise deren Jungtiere den «Ernstfall» draussen in der Natur üben zu lassen.

Und überhaupt: Vielleicht möchten Fischotter vor allem in Ruhe gelassen werden. Das weitläufige Gelände im Sihlwald ist zwar weniger spektakulär als die Anlage im Zoo. Lebendfütterung gibt es hier nicht, aber ab und zu erwischen die Otter Fische, die aus der Sihl angespült werden. Und in einer Sache haben die Sihltaler Tiere möglicherweise die Nase vorn: Das Verhalten des Weibchens deute darauf hin, dass es vor kurzem Junge bekommen habe, teilen die Verantwortlichen des Parks auf Anfrage mit. Bestätigen könne man dies nicht, da man die Kleinen noch nicht gesichtet habe.

Neues Fischotterpaar Cleo und Tom

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