Der Ex-Chef der britischen Grossbank HSBC wird neuer Verwaltungsratspräsident der Privatbank. Für Julius Bär ist das ein Gewinn, für ihren Jung-CEO Stefan Bollinger könnte es aber ungemütlich werden.

Julius Bär ist immer für Überraschungen gut. Auch bei Personalentscheiden. Mit Noel Quinn hat die grösste Schweizer Privatbank ein Schwergewicht der globalen Banking-Elite als neuen Präsidenten für sich gewonnen. Quinn war bis im Herbst Chef der britischen Grossbank HSBC. Dort blickt er auf eine 37-jährige Laufbahn zurück.

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Als Ex-Chef einer globalen Grossbank spielt Quinn in der gleichen Liga wie die «Masters of the Universe» von Mega-Banken wie JP Morgan oder Citigroup. Julius Bär ist mit der Verpflichtung des 63-Jährigen somit ein Coup gelungen. Quinn folgt auf Präsident Romeo Lacher, der im Mai seinen Posten räumt: Wie beim bereits abgetretenen CEO Philipp Rickenbacher hat auch Lachers Ruf stark unter dem Benko-Skandal gelitten.

Die Generalversammlung (GV) muss Quinn am 10. April noch zum neuen Präsidenten wählen. Das dürfte eine Formalität sein. Eine Kernaufgabe Quinns wird sein, den neu ernannten Bär-CEO Stefan Bollinger zu coachen. Der von Goldman Sachs kommende Banker war bis zu seinem Amtsantritt im Januar kaum bekannt.

Mentor für Bollinger

Ein Neustart bei Julius Bär ist dringend nötig. Denn die traditionsreiche Privatbank leidet immer noch unter den Folgen des Skandals um die Millionenkredite an den Immobilien-Pleitier René Benko. Es gilt im Risikomanagement Mängel zu beheben, die Bank schlanker aufzustellen und effizienter zu machen. Die Bank hat immer noch ein Verfahren der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht am Hals, das ihre Reputation belastet.

Ein besseres Risikomanagement und eine schlankere Organisation obliegen zwar in erster Linie dem CEO Bollinger. Doch Quinn ist prädestiniert, ihn dabei als Mentor zu überwachen und anzuleiten. Denn im Gegensatz zu Bollinger, der trotz Goldman-Sachs-Vergangenheit noch nie eine Bank geführt hat, kennt Quinn jede Facette des internationalen Bankgeschäfts und ist global vernetzt.

Entscheidend wird sein, wie stark Quinn sich bei Julius Bär einbringen wird. In seinem Abschieds-Statement bei der HSBC sagt er, dass es nach fünf intensiven Jahren nun Zeit für ihn sei, «ein besseres Gleichgewicht zwischen Privat- und Geschäftsleben zu finden. Ich beabsichtige, in Zukunft eine Portfolio-Laufbahn zu verfolgen.» Das bedeutet, dass Quinn mehrere Ämter parallel ausführen will.

Das gut dotierte Bär-Präsidium ist die erste Position in diesem Portfolio. Eine zweite ist ein Verwaltungsrats-Job beim australischen Rohstoffkonzern Fortescue, einem der grössten Eisenerzförderer der Welt. Zudem sitzt Quinn im Aufsichtsgremium der Sustainable Markets Initiative, einer von König Charles ins Leben gerufenen Nachhaltigkeits-Organisation. Entscheidend für Julius Bär wird sein, wie viel Zeit Quinn seinen jeweiligen Engagements widmen will.

Denn für ihn entspricht der Job bei Julius Bär einem Ausflug in die Regionalliga. Das illustrieren die Zahlen: Im Geschäftsjahr 2024 erwirtschaftete seine ehemalige Arbeitgeberin HSBC mit 211 000 Leuten einen Gewinn von 25 Milliarden Dollar. Bei Julius Bär sind 7600 Leute damit beschäftigt, rund eine Milliarde Franken Gewinn zu erbringen.

Doch HSBC hat nicht immer so profitabel gearbeitet. Dass die Bank es heute wieder tut, ist Quinns Verdienst. Der zupackende Brite war Jahre damit beschäftigt, die Grossbank zu fokussieren sowie Personalbestand und Kosten zu reduzieren.

Schmerzhafte Einschnitte

Solche schmerzhaften Einschnitte stehen Julius Bär erst bevor. Bollingers jüngstes Sparprogramm sieht zwar den Abbau Hunderter Stellen vor, sowie Einsparungen von weiteren 110 Millionen Franken. Doch die Bank wird im Sommer zusätzliche Anpassungen an der Unternehmensstrategie vorstellen müssen. Sparen allein wird die Investoren nicht zufriedenstellen.

Quinns Arbeit bei HSBC könnte Bollinger als Inspiration dienen. Dort hat er eine umfassende Neuausrichtung durchgebracht: Er richtete das Geschäft noch stärker auf China, Hongkong und Südostasien aus, dort, wo die Bank die höchsten Gewinne erzielte. Weniger profitable Aktivitäten in Kanada und Argentinien verkaufte er, aus dem Retail-Banking in den USA und Frankreich stieg HSBC aus. Ein ähnliches Rezept könnte auch Julius Bär weiterbringen.

Der Brite verstand es zudem, die Investoren mit einem steigenden Aktienkurs und Aktienrückkäufen zu beglücken. Ende 2024 wies HSBC eine Eigenkapitalrendite von 14 Prozent vor, bei der UBS liegt sie zurzeit bei 7, bei Julius Bär bei 16 Prozent. In Quinns Amtszeit hat sich der Kurs der HSBC-Aktie fast verdoppelt. Sein Leistungsausweis dürfte gemäss Marktbeobachtern vor allem bei internationalen Aktionären gut ankommen und dabei auch Julius Bär nützlich sein.

Quinns CEO-Zeit verlief aber nicht immer reibungslos. Anfang 2022 lancierte der grösste Aktionär der HSBC – die chinesische Versicherung Ping An – eine Kampagne gegen ihn und die Bankführung. Die Chinesen wollten, dass die Grossbank das Asiengeschäft abspaltet und von Hongkong aus führt. Das sollte mehr Wert für die Aktionäre schaffen. Quinn wehrte sich erfolgreich, die Aktionäre lehnten den Vorschlag an der GV deutlich ab.

Von der Arbeiterstadt ins globale Banking

Quinns Weg an die Spitze der HSBC war eine Überraschung. Nach dem plötzlichen Abgang seines Vorgängers John Flint wurde Quinn im August 2019 zwar zum Interimschef ernannt. Viele gingen aber davon aus, dass er nur eine Übergangslösung sein werde. Doch nach einigen Monaten Testlauf überzeugte Quinn den Verwaltungsrat, dass er der Richtige sei, die schwerfällige HSBC effizienter zu machen. Mitten in der Corona-Krise im Jahr 2020 bekam er den Topjob.

Als Urgestein und ehemaliger Leiter des profitabelsten Bereichs, des Firmenkundengeschäfts, hatte er dafür gute Voraussetzungen. Doch Quinn hat nicht den typischen Werdegang anderer britischer Top-Banker. Er hat nicht an einer Elite-Uni studiert, sondern an der wenig prestigeträchtigen technischen Hochschule Birmingham Polytechnic. Den Akzent der Arbeiterstadt hat er beibehalten, und auch äusserlich entspricht der stämmige Engländer nicht dem Bild eines geschmeidigen Privatbankiers. «Peaky Blinders», die Geschichte einer Stadtgang aus Birmingham, soll seine liebste Netflix-Serie sein.

Gemäss einem ehemaligen Chef, den die «Financial Times» zitiert, ist Quinn «klug, ehrlich und gradlinig». Es gebe viele bei der HSBC, die nicht so fähig seien wie er, aber einen weitaus geschliffeneren Auftritt hätten. Kollegen beschreiben ihn als einen «normalen Typ», der den Fussballklub Aston Villa unterstützt. Er wohnt mit seiner Frau in der Grafschaft Surrey. Zusammen haben sie drei erwachsene Kinder.

Geschliffenheit hilft im Private Banking bestimmt. Doch auch ohne Brillantine im Haar kennt Quinn das Geschäft mit den Wohlhabenden. Das einzige fachliche Manko, das man Quinn vorhalten könnte, ist, dass der Umgang mit Superreichen nie zu seinem Alltag gehörte. Seine Karriere hat er dem Firmengeschäft zu verdanken.

Nach einer Zeit als Wirtschaftsprüfer startete er 1987 bei der HSBC im Leasing-Bereich. Danach kümmerte er sich hauptsächlich um die Finanzierungsbedürfnisse mittelständischer Unternehmen, stieg zum Regionenchef für Grossbritannien und dann Asien-Pazifik auf und leitete schliesslich das weltweite Commercial Banking.

Der CEO-Novize Bollinger könnte zweifellos von Quinns langjähriger Führungserfahrung profitieren – sofern er ihn als Mentor akzeptiert. Und sofern Quinn im Rahmen seiner «Portfolio-Karriere» genügend Zeit für Julius Bär aufbringen wird. Auch wenn es Privatbanken derzeit gutgeht, ein Selbstläufer ist das Geschäft auch für Julius Bär nicht. Es ist im Interesse der Bank, dass Quinn Bollinger herausfordert und ihm das Leben nicht zu einfach macht.

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