Dienstag, Oktober 8

Erstmals leiten die SBB und weitere Bahnen in grossem Umfang Güterzüge über das Elsass um. Dafür mussten sie eigens achtzig Lokführer schulen.

Auf der Nebenlinie vom deutschen Wörth über Lauterbourg nach Strassburg gibt es kaum regelmässigen Güterverkehr. Die Infrastruktur mit mechanischen Formsignalen stammt aus der Nachkriegszeit, die Linie ist nicht elektrifiziert. Gegenwärtig herrscht jedoch aussergewöhnlich viel Betrieb. Diesellokomotiven ziehen häufig schwere Güterzüge mit Containern und Wechselbehältern in Richtung Norden und Süden – so häufig, dass die Deutsche Bahn (DB) die Regionalzüge teilweise durch Busse ersetzen muss. Auf der deutschen Seite ist die Strecke nur noch einspurig.

Der ungewohnte Verkehr ist auf die Sperrung der Rheintalbahn zurückzuführen. Die DB baut gegenwärtig zwischen Rastatt und Baden-Baden. Noch bis Ende August ist die Strecke von Basel nach Karlsruhe unterbrochen. Passagiere müssen zwischen Rastatt und Baden-Baden auf Busse umsteigen, was die Reisezeit um rund eine Stunde verlängert. Noch einschneidender sind die Folgen für den Güterverkehr: Mit der Rheintalbahn ist der wichtigste Korridor von den Nordseehäfen über Deutschland in die Schweiz und nach Italien mehrere Wochen blockiert.

Es sei das erste Mal überhaupt, dass der internationale Güterverkehr in bedeutendem Umfang über die Strecke via Lauterbourg umgeleitet werde, sagt Hans-Jörg Bertschi, der Verwaltungsratspräsident des Logistikunternehmens Bertschi Group. Der Aargauer präsidiert auch die Hupac, die europäische Marktführerin im kombinierten Verkehr auf der Schiene und Strasse.

11 Lokomotiven nötig

Der Aufwand für die Umleitungen ist riesig. Vor drei Jahren begannen SBB Cargo International, Captrain France (ein Tochterunternehmen der französischen SNCF für den Güterverkehr), die deutsche Infrastrukturgesellschaft DB InfraGO und SNCF Réseau mit den ersten Vorbereitungen. Captrain France hat elf Diesellokomotiven von SNCF Fret organisiert, die in Deutschland und Frankreich fahren dürfen. Diese stehen für den Shuttle-Verkehr zwischen Wörth, Strassburg und Offenburg zur Verfügung, von wo die Züge mit elektrischen Lokomotiven weiterfahren.

Rund 80 Lokführer mussten speziell ausgebildet werden, die die Güterzüge teilweise in zweifacher Besetzung über die Grenze führen. Das Personal und die Lokomotiven hätten aus anderen Regionen abgezogen werden müssen, sagt Susanne Meili, die Sprecherin von SBB Cargo International – und das mitten in der Ferienzeit in Frankreich.

Zudem hätten sich in Deutschland und Frankreich über Jahrzehnte ausgeklügelte Vorschriften, Systeme und Abläufe etabliert. Es sei eine grosse Herausforderung, diese über die Sprachgrenzen hinweg zu verknüpfen. SBB Cargo International kam offenkundig die Rolle zu, beim Projekt zu vermitteln. Deutschland und Frankreich wickeln im Vergleich zur Schweiz wenig grenzüberschreitenden Güterverkehr auf der Schiene ab.

Mit der Gäubahn von Stuttgart nach Singen/Schaffhausen und der Schwarzwaldbahn von Offenburg nach Konstanz gibt es zwar auch in Deutschland Ausweichstrecken. Die Gäubahn ist jedoch teilweise einspurig. Die Schwarzwaldbahn weist starke Steigungen auf, weshalb sie für schwere Güterzüge weniger geeignet ist. Dazu kommt, dass beide Ausweichstrecken nicht für Züge mit vier Metern Eckhöhe ausgelegt sind, wie sie im Nord-Süd-Verkehr häufig sind.

Diese Züge könnten nur über den Korridor auf der linken Rheinseite fahren, sagt Bertschi. Ohne die Umleitungsstrecke via Lauterbourg hätte dieser umfangreiche Verkehr während dreier Wochen ausgesetzt und auf die Strasse verlagert werden müssen. Wegen der häufigen Verspätungen laufen die Bahnen ohnehin Gefahr, Transportvolumen zu verlieren.

Trotz einem guten Start kommt es zu Problemen. Die Betriebsabläufe seien chaotisch, kritisierte das Netzwerk Güterbahnen vor kurzem in einer Mitteilung. Die Umleitung von bis zu 37 Güterzügen pro Tag stocke, weil sich diese in Wörth stauten – aufgrund einer mangelhaften Steuerung.

Zufriedener ist Bertschi. Die Beteiligten hätten das Ersatzkonzept gut vorbereitet, sagt er. «Die Erfahrungen von Hupac sind bis anhin positiv.» Zusammen mit den Umleitungen über die Gäubahn könnten die ferienbedingt schwächeren Verkehre gut bewältigt werden. Das sei ein gutes Zeichen für die Kunden, die unter den Qualitätsproblemen in Deutschland litten. Wegen der Umleitungen entstehen Zusatzkosten. Die deutsche Infrastrukturgesellschaft DB InfraGo übernimmt gemäss Bertschi einen kleineren Teil. Den Rest versucht Hupac auf die Kunden abzuwälzen.

Deutschland, der Flaschenhals

Die Totalsperre der Rheintalbahn wird nicht der einzige Unterbruch bleiben. «In den nächsten drei bis vier Jahren erwarten wir in Deutschland wenig Verbesserungen», sagt Bertschi. Das deutsche Bahnnetz sei im Nord-Süd-Korridor der Engpass. Mit dem Konzept der Gesamtsanierungen schliesst die DB einige ihrer wichtigsten Strecken monatelang. In diesem Rahmen sind auch auf der rechten und linken Rheinstrecke in Deutschland weitere Sperrungen programmiert.

Die Hupac blickt deshalb nicht nur für den Umleitungsverkehr vermehrt nach Frankreich. «Wenn wir mehr Volumen transportieren wollen, müssen wir auf der linken Rheinseite aktiv werden», sagt Bertschi. Die Hupac werde ab dem kommenden Jahr erste Züge über Metz und Strassburg führen. Dies ist auch ein Zeichen an Frankreich, dass die Strecke für den Güterverkehr benötigt wird. SBB Cargo gründet dazu in Frankreich eine Tochtergesellschaft. Das Ziel ist es, die neuen Verkehre mit Schweizer Qualität anzubieten und eng mit Frankreich und Belgien zusammenzuarbeiten.

Nur: Die Linie über Metz ist ebenfalls nicht für Wagen mit einer Eckhöhe von vier Metern ausgelegt. Gemäss Bertschi müssen deshalb die Tunnels auf der ganzen Linie Basel–Metz–Antwerpen angepasst werden. Politisch gibt es Bewegung: Anfang Woche hat sich nach dem Nationalrat auch die Verkehrskommission (KVF) des Ständerats hinter einen Vorstoss gestellt, der die Tunnels auf der Neat-Zubringerstrecke über Metz auf vier Meter Eckhöhe ausbauen will. Der Bundesrat solle Frankreich eine finanzielle Unterstützung in Aussicht stellen, nach dem Muster der Neat-Zubringerlinien in Norditalien, heisst es.

Bertschi hofft, dass die positiven Erfahrungen mit dem Umleitungsverkehr über Lauterbourg auch dazu beitragen, den Ausbau dieser veralteten Strecke voranzutreiben. Die ständerätliche KVF verlangt mit dem Vorstoss, dass der Bundesrat mit Frankreich und Deutschland darauf hinwirkt, die Linie Wörth–Strassburg zu elektrifizieren – oder zumindest für einen kontinuierlichen Güterverkehr mit Hybrid- oder Dieseltraktion zu ertüchtigen. Auch in Zukunft dürften also Güterzüge über Lauterbourg fahren.

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