Dienstag, Oktober 8

Moskaus Einfluss in Afrika schien immer weiter zu wachsen. Doch langsam entstehen Zweifel.

Vermutlich hatten sie in Moskau befürchtet, dass irgendwann solche Bilder aus Afrika auf Social Media auftauchen würden: Leichen weisser Männer im Wüstensand, noch lebende russische Kämpfer, die von malischen Rebellen gezwungen wurden «Nein zu Russland» in Kameras zu sagen, Fahrzeugtrümmer, Blut.

Ende Juli hat Russland seine grösste Niederlage auf dem afrikanischen Kontinent in den vergangenen Jahren erlitten. Vermutlich über 80 Kämpfer der Gruppe Wagner, Russlands einstiger Avantgarde in Afrika, wurden bei einem Gefecht bei der Stadt Tinzaouaten im Norden Malis von separatistischen Tuareg-Rebellen getötet. Danach prahlte auch noch ein Sprecher des ukrainischen Geheimdiensts: Man habe den Rebellen die «nötigen Informationen» für den Kampf verschafft. Die Evidenz, dass die Ukraine bei der russischen Niederlage in der Wüste tatsächlich eine Rolle gespielt hatte, war dürftig. Doch es ging ohnehin eher um den Eindruck, dass Russland auf einem Kontinent getroffen wurde, auf dem es noch vor kurzem unaufhaltsam schien.

In den vergangenen Jahren hat Russland sich auf dem afrikanischen Kontinent eine Einflusssphäre aufgebaut, die fast vom Atlantik im Westen an das Rote Meer im Osten reicht. Das Herzstück ist der Sahel, ein Gürtel grosser Binnenstaaten unterhalb der Sahara. Dort haben jihadistische Gruppen im vergangenen Jahrzehnt riesige Landstriche der Kontrolle der Zentralregierungen entrissen. Militärs stürzten daraufhin die zivilen Regierungen unter dem Vorwurf, diese seien unfähig, die Sicherheit wiederherzustellen. Die neuen Juntas wiesen französische und amerikanische Soldaten aus dem Land – und holten an ihrer Stelle russische Kämpfer und Instruktoren. So war es zuerst in Mali, später folgten Burkina Faso und Niger.

Doch inzwischen stellt sich die Frage, wie es weitergeht mit dem russischen Vormarsch in Afrika. Die westlichen Truppen sind weg, die russischen Kämpfer dagegen als Partner der nationalen Armeen in einige der vertracktesten und blutigsten Konflikte weltweit verwickelt. War die russische Niederlage bei Tinzaouaten ein Einzelfall – oder der Anfang von grösseren Schwierigkeiten? Kann Russland seinen Einfluss noch weiter ausbauen – oder sind die Grenzen erreicht?

Die Gründung des Afrika-Korps

Ob Russland weiter erfolgreich in Afrika agieren kann, hängt nicht zuletzt von einer Truppe ab, die im vergangenen Jahr den Aufstand gegen Moskau gewagt hatte. Im Juni 2023 meuterte die Gruppe Wagner unter ihrem Chef Jewgeni Prigoschin, weil sie sich vom russischen Verteidigungsapparat in der Ukraine im Stich gelassen fühlte. Zwei Monate später starb Prigoschin bei einem mutmasslich vom russischen Geheimdienst orchestrierten Flugzeugabsturz.

Die Militärfirma Wagner war bis zur Meuterei Moskaus wichtigstes Werkzeug in Afrika gewesen. Prigoschins Leute installierten sich in den Ländern, die ins russische Visier gerieten. In der Republik Zentralafrika zum Beispiel, die zu Russlands Labor in Afrika wurde, halfen Wagner-Kämpfer ab 2018, Rebellen zurückzudrängen, und beschützten den Präsidenten. Gleichzeitig errichtete Wagner ein Geschäftsimperium im Land, die Gruppe handelte mit Holz, Gold und Diamanten, braute sogar Bier.

Nach der Meuterei und Prigoschins Tod hat die russische Regierung versucht, die Gruppe Wagner in Afrika unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie richtete das «Afrika-Korps» ein, das als neues Dach der russischen Aktivitäten auf dem Kontinent dienen sollte und unter direkter Kontrolle des Verteidigungsministeriums steht. Auf bis zu 40 000 Soldaten, so behaupteten kremlnahe Quellen, könnte das Afrika-Korps anwachsen.

Ein Jahr nach Prigoschins Tod zeigt sich: Wagner gibt es noch immer. Aber wie sich die Truppe in Afrika verändert hat, sagt viel aus über die russische Einflussnahme auf dem Kontinent. Sie ist getrieben von Opportunismus, vieles ist Improvisation.

Der Geheimdienst GRU kontrolliert nun Wagner

Moskau scheint bisher viel Toleranz gegenüber Wagner walten zu lassen. Wagner-Kämpfer tragen noch immer ihre Uniformen, auf Telegram-Kanälen wird für Wagner rekrutiert, im November 2023 hissten Kämpfer nach der Eroberung der Stadt Kidal in Mali die Wagner-Flagge. Auch sind offenbar viele Wagner-Kommandanten in Afrika weiter im Amt.

Doch der Kreml hat die einst an Wagner übertragenen Afrika-Aktivitäten tatsächlich unter seine Kontrolle gebracht. So wurden Vertreter des Militärgeheimdiensts GRU in die afrikanischen Partnerstaaten geschickt, um die russischen Aktivitäten zu überwachen. Zudem sind neue russische Akteure im Rahmen des Afrika-Korps aufgetaucht. In Burkina Faso zum Beispiel sind in diesem Jahr mehrere Dutzend Angehörige einer paramilitärischen Gruppe mit dem Namen «Bear» eingetroffen. Es macht den Eindruck, der Kreml wolle verhindern, dass eine einzelne Gruppe wie einst Wagner allzu viel Macht besitze.

Doch unabhängig davon, ob die russischen Militärs nun als Afrika-Korps, als Wagner oder unter anderem Etikett agieren, offensichtlich ist: Im Gegensatz zu früher, als der Kreml bestritt, mit der Gruppe Wagner in Verbindung zu stehen, ist die russische Regierung nun direkt verantwortlich für die Aktivitäten auf dem afrikanischen Kontinent. Das bedeutet auch, dass Moskau gegenüber den afrikanischen Partnern direkt in der Verantwortung steht und dass die Risiken grösser geworden sind.

Russische Kämpfer massakrieren Zivilisten

Russland hat sich im Sahel mit Militärregierungen eingelassen, die schwach sind und in ständiger Gefahr, durch einen nächsten Putsch entfernt zu werden. Die Konflikte in der Region sind mit militärischer Gewalt nicht zu gewinnen. Sie rühren daher, dass sich grosse Teile der Bevölkerung vom Zentralstaat im Stich gelassen fühlen, und sie finden in riesigen Gegenden statt, in denen Rebellen verschwinden oder mit der Zivilbevölkerung verschmelzen können.

Die russischen Kämpfer versuchen trotzdem, militärisch zu gewinnen, mit extremer Gewalt. Aus Mali gibt es Berichte, dass Wagner-Soldaten zusammen mit der malischen Armee Hunderte von Zivilisten massakriert haben, dass sie Köpfe von getöteten Dorfbewohnern zur Abschreckung auf Pfähle steckten. Die Zahl der zivilen Opfer ist seit der Ankunft der Wagner-Soldaten in Mali Ende 2021 stark gestiegen, es sind jedes Jahr über tausend.

Die russischen Soldaten haben es geschafft, die jihadistischen Gruppen aus manchen Gegenden zu vertreiben, etwa im Zentrum Malis. Doch an vielen Orten kommen sie nicht voran.

Es ist wahrscheinlich, dass die Lage im Sahel weiter eskalieren wird – nicht trotz, sondern wegen der russischen Präsenz. In Burkina Faso und Niger haben bisher nur je rund hundert russische Ausbildner die nationalen Armeen trainiert. Wenn Russland mehr Soldaten in die beiden Länder schickt, damit diese gemeinsam mit Armeen kämpfen, dürfte sich die Situation ähnlich verschärfen wie in Mali. Und die Gefahr wächst, dass sich russische Verluste wie jene in Tinzaouaten häufen.

Russland hat sich im Sahel in Kriege begeben, die nicht zu gewinnen sind. Es stellt sich die Frage, wie lange die Geduld des Kremls reicht, falls die Zahl der getöteten Russen steigt. Ebenso stellt sich die Frage, wie lange die Beziehung zu den Militärjunten harmonisch bleibt, wenn es den russischen Kämpfern nicht gelingt, die Sicherheitslage zu verbessern.

Wirtschaftlich ist Russland in Afrika ein Zwerg

Es zeigt sich auch, wie limitiert das Angebot ist, das Russland den afrikanischen Partnern macht. Russland hat ausser Waffen und Kämpfern wenig anzubieten. Sein Handelsvolumen mit dem afrikanischen Kontinent beträgt lediglich 5 Prozent des europäisch-afrikanischen Handels. Russische Investitionen machen weniger als 1 Prozent der Auslandsinvestitionen in Afrika aus.

Manche russische Partner in Afrika scheinen realisiert zu haben, dass Russlands Engagement Grenzen kennt. Die Republik Zentralafrika zum Beispiel, die in den vergangenen Jahren einem russischen Klientelstaat in Afrika am nächsten kam. Sie hat in den vergangenen Monaten vermehrt den Kontakt Richtung Westen gesucht. Präsident Faustin-Archange Touadéra hat sich zweimal mit dem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron getroffen. Dieser versprach neue französische Hilfsgelder. Dazu kursierten Gerüchte, die zentralafrikanische Regierung sei interessiert daran, die amerikanische Söldnerfirma Bancroft ins Land zu holen.

Es ist denkbar, dass andere afrikanische Regierungen, die sich in den vergangenen Jahren mit Moskau verbündet haben, ebenfalls wieder vermehrt den Kontakt mit anderen Partnern suchen. Und für all jene, die nicht von Rebellen bedroht werden, sind etwa China oder die reichen Vereinigten Arabischen Emirate ohnehin die interessanteren Partner als Russland.

Die Trophäe Tschad

Das alles heisst, dass Russlands Einfluss in Afrika tatsächlich Grenzen hat – und in den vergangenen Jahren auch oft überschätzt wurde. Doch gleichzeitig öffnen sich für Moskau neue Möglichkeiten in Afrika. In Niger zum Beispiel, das bis zu einem Militärputsch im vergangenen Jahr als engster Verbündeter des Westens im Sahel galt. Niger ist ein wichtiges Transitland für afrikanische Migranten auf dem Weg nach Nordafrika. Europäische Regierungen fürchten, Moskau könnte versuchen, die Migration Richtung Norden anzutreiben.

Auch Nigers Nachbarland Tschad, wo noch französische und amerikanische Soldaten stationiert sind, könnte ein weiteres Einfallstor für Moskau sein. Die dortige Regierung hat in den vergangenen Monaten russlandfreundliche Signale gesendet. Präsident Mahamat Déby reiste im Januar nach Moskau, im Juni flog der russische Aussenminister Sergei Lawrow zum Gegenbesuch nach Tschad. Tschad wäre eine grosse Trophäe für Russland, weil es dann an der Nato-Südflanke eine riesige zusammenhängende Einflusssphäre hätte.

Und deshalb wird Russland sich nicht so bald wieder aus Afrika zurückziehen – wie es das einst nach dem Ende des Kalten Kriegs getan hatte. Der Kontinent ist zu wichtig geworden für Moskau. Und er bietet trotz wachsenden Risiken auch noch immer viele Chancen, Russlands Grossmachtträume zu nähren.

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