Freitag, Oktober 4

Nach den heftigen Protesten im Sommer steigt die Nervosität der serbischen Regierung. Aktivisten sind Einschüchterungen, Schikanen und einem Aufruf zur Denunziation ausgesetzt.

Der jüngste Protest in Belgrad letzten Sonntag galt nur indirekt dem geplanten Lithiumabbau. Er richtete sich vielmehr gegen die Repression des Staates, die auf die Proteste in den Sommermonaten folgt. Diese erreichten ihren Höhepunkt Mitte August, als in mehreren Städten Serbiens Zehntausende auf die Strassen gingen, um gegen ein geplantes Lithiumbergwerk im westserbischen Jadartal zu demonstrieren.

Dort waren 2004 grosse Lithiumvorkommen entdeckt worden. 2021 gab der britisch-australische Grosskonzern Rio Tinto bekannt, das Lithium fördern zu wollen. Aus dem anfänglichen lokalen Widerstand gegen dieses Vorhaben – die Bevölkerung sorgt sich vor allem wegen der Verschmutzung des Grundwassers – ist inzwischen eine landesweite Protestbewegung geworden. Diese umfasst neben Umweltverbänden auch Linke, Konservative, Nationalisten und Kleriker. Ein Umstand, der die Regierung um Präsident Aleksandar Vucic nervös macht – denn noch nie in seiner Amtszeit war die Opposition gegen die Regierung gesellschaftlich so breit abgestützt.

Jetzt schlägt die Nervosität des Regimes in Repression um. Umweltorganisationen, welche die Proteste im Sommer organisierten, berichten von Dutzenden Aktivistinnen und Aktivisten, die vorübergehend festgenommen, deren Häuser und Wohnungen durchsucht, deren Handys und Laptops konfisziert wurden. Auch Drohungen in den sozialen Netzwerken nehmen zu und machen den Aktivisten das Leben schwer.

Der öffentlichrechtliche Rundfunk RTS berichtet zwar über die Proteste, jedoch nicht von den Verhaftungen und Durchsuchungen. Genau deshalb versammelten sich letzten Sonntag mehrere tausend Bürger vor dem Hauptgebäude von RTS. Sie forderten, dass dieser in seiner wichtigsten Nachrichtensendung auch über die potenziellen Umweltschäden des geplanten Lithiumabbaus und über das Vorgehen der Behörden gegen Aktivisten berichtet.

Schikanen und Einreiseverbot an der Grenze

Die Repression richtet sich nicht nur gegen einheimische Aktivisten. Die kroatische und in der ganzen Region populäre Sängerin Severina Vuckovic wurde am 25. August bei der Einreise nach Serbien für rund vier Stunden an der Grenze festgehalten, durchsucht und verhört. Unter anderem stellten ihr die Beamten Fragen bezüglich ihrer Unterstützung der Proteste gegen den geplanten Lithiumabbau.

Brisant ist das Eingeständnis hoher serbischer Politiker, dass Listen sogenannter «unerwünschter Personen» geführt würden. Als deren Verfasser meldete sich prompt Aleksandar Vulin, der stellvertretende Ministerpräsident, zu Wort. Er habe die Listen persönlich in seiner ehemaligen Funktion als Geheimdienstchef erstellt. Vulin wurde im Juli 2023 von den USA mit Sanktionen belegt. Washington wirft ihm unter anderem Verwicklungen in Waffenhandel und Drogenschmuggel vor.

Auch der serbische Innenminister Ivica Dacic bestätigte die Existenz der Listen und räumte ein, dass – neben dem Verdacht auf organisierte Kriminalität und Terrorismus – Personen auch aufgrund ihrer Meinungsäusserungen auf der Liste landeten. Dacic krebste später zurück und versprach, Prominente – unter ihnen die Sängerin Severina – von der Liste zu streichen. Während der letzten Monate hielt die Polizei an serbischen Grenzübergängen und Flughäfen immer wieder Aktivisten und Künstlerinnen fest, führte langwierige Kontrollen und Verhöre durch und untersagte ihnen in manchen Fällen die Einreise.

Dem bosnischen Aktivisten Nedim Music, der sich unter anderem gegen den geplanten Lithiumabbau in seiner Heimat wehrt, wurde am 11. Juli der Grenzübertritt nach Serbien untersagt. Auch Aktivistinnen, die sich für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovaren und Serben einsetzen, werden schikaniert. Eine von ihnen ist die Direktorin der Jugendinitiative für Menschenrechte in Serbien, Sofija Todorovic, die nach Angaben ihrer Organisation am 31. August zum achten Mal innert zwei Monaten für längere Zeit am Flughafen festgehalten wurde.

Undurchsichtige «Bürgerbewegung» ruft zur Denunziation auf

Neben staatlichen Schikanen kommt im Streit um den Lithiumabbau auch Propaganda zum Zug. Nur wenige Tage nach dem Skandal um Severina trat eine dubiose Bewegung namens «Kopacemo», auf Deutsch «Wir werden graben», in Aktion – mit eigener Website und X-Account. Sie bezeichnet sich als unabhängige Bürgerbewegung, die sich für das geplante Bergwerk im Jadartal einsetzt. Das Projekt sei ein Pfeiler der wirtschaftlichen Zukunft Serbiens, das Tausende Arbeitsplätze schaffe.

Ziel der Bewegung sei es, «die Öffentlichkeit aufzuklären, Unwahrheiten auszuräumen und einen verantwortungsvollen Bergbau zu fördern». Keine Aufklärung hingegen liefert «Kopacemo» darüber, wer hinter der Bewegung steht. Auf der Website finden sich weder Angaben zu den Mitgliedern noch zur Finanzierung. Die Verfasser begründen ihre Anonymität ausdrücklich damit, Angst um ihr Leben zu haben. Der Umweltbewegung werfen sie vor, durch das Schüren von Angst und durch Propaganda «anständige Menschen zu Verbreitern extremistischer Ansichten» zu machen.

Doch ihre eigenen Methoden sind alles andere als zimperlich. «Kopacemo» führt seit dem 1. September laut eigenen Angaben «das erste öffentliche Register ökologischer Terroristen in Serbien und der Welt». Darin finden sich von 22 Personen Porträtfotos, Vor- und Nachnamen, Angaben zum Beruf und zur Zugehörigkeit zu Parteien und Verbänden. In einem Fall wird auch explizit auf die sexuelle Orientierung hingewiesen – es handelt sich um einen offen homosexuellen Aktivisten.

Die 22 aufgelisteten «Öko-Terroristen» sind führende Mitglieder aus Umweltbewegungen, Oppositionsparteien oder der Wissenschaft. «Kopacemo» lädt Bürgerinnen und Bürger dazu ein, «Personen zu melden, die am Öko-Terrorismus beteiligt sind» – ein Aufruf zum Denunziantentum.

Die Umweltvereine kämpfen weiter

Zuoberst auf dieser Liste steht Zlatko Kokanovic. Der Tierarzt und Viehzüchter ist die Führungsfigur des Umweltvereins «Ne damo Jadar» (Wir geben Jadar nicht her). Gegenüber der Tageszeitung «Danas» erklärt er, nur zwei Organisationen könnten hinter «Kopacemo» stehen: entweder Rio Tinto oder die Fortschrittspartei (SNS) von Präsident Aleksandar Vucic.

Sein Verein will nun Gleiches mit Gleichem vergelten: Er beabsichtigt, ein eigenes Register mit Lobbyisten von Rio Tinto, dem Unternehmen nahestehenden Wissenschaftern und lokalen Abgeordneten der Regierungspartei zu führen. Kokanovic sagte dazu gegenüber «Danas»: «Wenn sie uns ins Fadenkreuz nehmen, dann wollen wir sehen, wie die Regierung reagiert, wenn plötzlich sie zum Ziel der Bürger und von deren Drohungen wird.»

Doch Vucic arbeitet im Meinungskampf um das Bergwerk nicht nur mit Druck, sondern auch mit beschwichtigenden Aussagen. Am Rande eines Truppenbesuchs unweit des Jadartals gab er sich am Donnerstag besorgt, dass Rio Tinto nicht ausreichend in den Schutz von Umwelt und Gewässern investiere, um so seinen Profit zu erhöhen. Dies werde er nicht zulassen.

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