Sonntag, September 29

Die Schweizerin überzeugt an der Landesrundfahrt. Ihren männlichen Landsleuten fehlt 2024 mehr zu einem Exploit. Stefan Küng rät seinen Profi-Kollegen zu mehr Egoismus.

Erfolge lassen sich nicht erzwingen, wer wüsste das besser als Elise Chabbey? Minuziös hatte die Genferin die Auftaktetappe der Tour de Suisse Women geplant und Trainingseinheiten am Col de la Croix absolviert. Dort setzte sich die 31-Jährige am Samstag bergauf vom Feld ab. In der Abfahrt, die sie perfekt kannte, baute sie den Vorsprung aus.

Erst nach 50 Kilometern wurde Chabbey kurz vor dem Ziel in Villars-sur-Ollon von zwei Fahrerinnen überholt. Der Schweizerin stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, doch sie musste sich keine Vorwürfe machen: Sie hatte deutlich gemacht, dass ihr ein Etappensieg an der Tour de Suisse die Welt bedeutet hätte. Am Montag und Dienstag will Chabbey weitere Versuche starten, ihren Traum doch noch zu verwirklichen.

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Erzwingen lassen sich Erfolge nicht, aber wahrscheinlicher werden sie durch aufopferungsvolles Engagement eben doch. Das bewies der Belgier Thibau Nys. Zwei Tage vor dem Start des Männerrennens kam er am GP Gippingen kurz vor dem Ziel unglücklich zu Fall. Statt über sein Pech zu lamentieren, fuhr der 21-Jährige noch am selben Abend nach Rüschlikon, um die welligen und kurvenreichen Schlusskilometer des dritten Teilstücks der Tour de Suisse zu begutachten. «Von dieser Etappe habe ich schon lange geträumt», sagte er später. Die Streckenbesichtigung lohnte sich: Nys erkämpfte sich in Rüschlikon dank einem perfekt getimten Sprint den Tagessieg.

Helferdienste und Aufbautrainings

Die Schweizer Männer erweckten an der Tour de Suisse in diesem Jahr nicht den Eindruck, mit demselben Perfektionismus ans Werk zu gehen wie Elise Chabbey und Thibau Nys. Auch sie suchten ihr Glück und attackierten. Doch die meisten Bemühungen wirkten ebenso spontan wie aussichtslos. Abgesehen vom zweiten Rang Stefan Bisseggers im kurzen Auftaktzeitfahren blieb ein Etappensieg in weiter Ferne.

Auf welligen Tour-de-Suisse-Etappen ist Bissegger in der Lage, nach langen Fluchten zu triumphieren, das bewies er 2021 in Gstaad. Dieses Jahr musste er auf den Teilstücken, die ihm gelegen wären, zum eigenen Missfallen Helferdienste verrichten. Es blieb ihm ein verzweifelt anmutender Angriff auf der sechsten Etappe, wo ein Sieg angesichts des schweren Schlussanstiegs nach Blatten von vornherein illusorisch war.

Die beiden Schweizer im Team UAE, Marc Hirschi und Jan Christen, äusserten vor dem Rennen ebenfalls Hoffnungen, auf eigene Rechnung fahren zu können. Als es darauf ankam, schlüpften sie jedoch in Helferrollen für ihre Captains Adam Yates und João Almeida, denen in der Gesamtwertung ein ungefährdeter Doppelsieg gelang.

Eine Bronchitis warf Stefan Küng aus dem Konzept. Er bewies in der Vergangenheit immer wieder, dass er die Tour de Suisse als Chance zur Profilierung begreift, mehrfach eroberte er das Leader-Trikot. 2024 musste Küng die Landesrundfahrt kurzfristig zum Aufbautraining für spätere Saisonziele umdefinieren. Er bestritt das Rennen also so verhalten wie andere, die schon jetzt die Tour de France oder die Olympischen Spiele anvisieren.

Küng fordert seine Landsleute auf, egoistischer zu denken. «Man muss sich als Fahrer fragen, wie man seine Karriere gestalten will», sagt er. Wer nicht aufpasse, könne dauerhaft in Helferrollen hineingeraten. Profi-Kollegen wie Hirschi und Christen hätten ein enormes Potenzial. Doch in ihrem Team sei es in World-Tour-Rennen schwierig, eigene Möglichkeiten zu erhalten. Küng wechselte einst von der Mannschaft BMC zur Equipe FDJ, also von einem Topteam ins Mittelfeld des Pelotons. Manche hätten den Transfer als Rückschritt aufgefasst, sagt er. Ihm habe er jedoch geholfen, sich zum Leader zu entwickeln.

Wenn die besten Schweizer ihre Fähigkeiten an der Tour de Suisse besser zur Geltung brächten, wäre das nicht nur in ihrem eigenen Interesse. Erfolge von Einheimischen erhöhen die öffentliche Aufmerksamkeit. Das zeigte sich 2021. Seinerzeit triumphierten auf drei unterschiedlichen Teilstücken erst Küng, dann Bissegger und schliesslich der 2023 tödlich verunglückte Gino Mäder. Gemeinsam lösten sie eine ungeahnte Euphorie aus.

Die Zukunft des Frauenrennens ist offen

Gerade in einem Jahr, in dem die Landesrundfahrt im Schatten der Fussball-EM stattfindet, müssen die Veranstalter um Aufmerksamkeit kämpfen. Erste Indizien deuten zwar auf gute Einschaltquoten hin, doch die wirtschaftlichen Sorgen sind akut. Während beim Männerrennen 2024 ein überschaubares Defizit entstehen dürfte, klafft bei der Finanzierung des Frauenrennens eine alarmierende Lücke.

Die Zukunft der Tour de Suisse Women ist offen. Er gehe davon aus, dass die Veranstaltung 2025 stattfinde, sagte der Renndirektor Olivier Senn am Sonntag. Garantiert sei dies jedoch nicht. Senn richtete einen Appell an potenzielle Sponsoren sowie an die Politik: Gefragt sei nicht nur, die Bedeutung des Frauensports zu betonen, sondern ihn auch tatsächlich finanziell zu unterstützen.

Immerhin gelang es Senn und seinen Mitstreitern, die durchgehende Fernsehübertragung des Rennens zu retten. Wegen der Ukraine-Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock waren weiträumige Gebiete im Wallis zur Sicherheitszone erklärt worden, was während der Etappe nach Blatten den Einsatz von Helikoptern infrage stellte. SRF war laut Senn drauf und dran, an jenem Tag auf Live-Bilder zu verzichten. Erst spät gelang es, unerfreuliche wirtschaftliche Konsequenzen zu vermeiden.

Für die an vielen Fronten geforderten Organisatoren sind engagierte Auftritte wie jener von Elise Chabbey am Col de la Croix von enormer Bedeutung. Sie generieren Spannung und wecken Sympathien. 2025, wenn die Rundfahrt in Küssnacht am Rigi startet, können die Männer wieder nachziehen.

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