Dienstag, November 26

Die Social-Media-Hausfrauen filmen ihren Alltag wie aus dem 1950er-Jahre-Bilderbuch. Dazu muss natürlich auch der Look passen. Dieser hat mit gegenwärtigen Trends wenig zu tun und fällt genau deswegen so sehr auf.

Die wichtigsten Accessoires sind Mehl, Milch und Rührschüssel. Dazu kann man überraschend viele Kleidungsstücke kombinieren. Overalls oder geraffte Hippie-Blusen, aber sogar auch glitzernde Abendroben und enge Partytops. Ob man gerade Teig knetet oder einen Smoothie mixt, der Look ist immer durchdacht, perfekt und feminin.

Sogenannte «Tradwives», Kurzform für «Traditional Wives», sorgen in diesem Sommer auf Social Media für Aufsehen mit Videos und Posts, in denen sie ein anscheinend sorgloses Leben der Klischeehausfrau vorleben mit grossem Haus, vielen Kindern und noch mehr Hausarbeit, der sie voller Begeisterung und Leidenschaft nachgehen. Die «Tradwives» führen mit einem ach so einfachen Bilderbuchalltag wie aus den 1950er Jahren ihre wichtigste Botschaft vor: Es ist völlig okay, als Mutter und Hausfrau zu Hause zu bleiben und sein Leben Mann und Kindern zu widmen. Ein wichtiges Werkzeug bei der Inszenierung dieser Botschaft ist Mode.

Hauptsache, alles ist perfekt

Sie spielt deswegen so eine grosse Rolle, weil ein auffälliges Merkmal der «Tradwife»-Show ist, dass sie immer perfekt aussieht. Meistens pflegt sie dabei einen betont femininen Stil wie aus einem Doris-Day-Film. Die Influencerin Estee C. Williams trägt platinblonde Marilyn-Monroe-Wellen zu taillierten Kleidern mit Petticoat-ähnlichem Rock, kurze Cardigans und Perlenkette.

Etwas weniger altmodisch, aber ebenso durchdacht wirken die Looks von Nara Smith, der Frau des Männermodels Lucky B. Smith – beide gehören der Glaubensgemeinschaft der Mormonen an. Smith stellt sich in Looks in die Küche, die andere zu einer Fashion-Week-Party tragen würden: Fell-Bolero-Jacke, schwarzes Slip-Dress. Anstatt an einem Martini zu nippen, macht sie jedoch ihre eigene Limonade oder Kimchi-Kohl. Klar, dass kein Tropfen danebengeht und auf dem schönen Stoff landet.

Während Nara Smith offensiv nach Perfektion strebt und ihren Alltag fast schon absichtlich unrealistisch aussehen lässt, lässt Hannah Neeleman, die unter dem Profil @ballerinafarm neun Millionen Follower unterhält, ein wenig mehr Lässigkeit und, zumindest dem Anschein nach, Authentizität zu.

Mann und Kind im passenden Look

So ist sie auch einmal ungeschminkt, steht mit Socken oder schmutziger Schürze in der Küche, streicht sich durch die duschnassen Haare und zeigt sich im zerknitterten Nachthemd. So natürlich das anmutet, sieht es eben auch auf perfekte Art unperfekt aus.

In allen Fällen steht fest: «Tradwives» machen ihr Leben zur Video-Show für die Öffentlichkeit, und dieser müssen sie visuell etwas bieten und sie unterhalten. Die Mode kann entweder die grundlegende Botschaft über die Freuden des Hausfrauenlebens unterstreichen, sie kann traditionelle Weiblichkeit zelebrieren, sie kann einfach nur etwas fürs Auge bieten. Sie kann, wie im Fall der Ballerina-Farm, etwas über das wunderschöne und erfüllende Chaos des Familienlebens auf einer Farm mit acht Kindern ausdrücken, indem sie nicht ganz so perfekt aussieht.

Fast ebenso wichtig ist dabei auch der Look der anderen Familienmitglieder –natürlich muss der Mann ebenso maskuline Klischees erfüllen, wie ein Cowboy mit Jeans oder ein Vater mit Seitenscheitel aussehen. Und die Kinder? Tragen gleichermassen Rüschenkleider wie die Mama – und natürlich Schürze, wenn auch sie in der Küche stehen.

Entgegen jedem Trend

Ohne den richtigen Look wäre die «Tradwives»-Bewegung nicht so erfolgreich – es fällt leichter, dem Versprechen eines schönen Lebens als «stay-at-home mum» zu verfallen, wenn dabei alle und alles so gut aussieht. Hinzu kommt, dass «Tradwife»-Looks das Gegenteil von dem repräsentieren, was in der Mode lange angesagt war oder noch ist: besonders knappe und offenherzige Kleidung, verrückte Y2K-Trends, Gender-Fluidity. So alt die Rollenbilder im «Tradwives»-Kosmos sind, so neu erscheint derzeit ein Stil, der wieder traditionelle Feminität, klassische Schönheit, Züchtigkeit und ein gepflegtes Äusseres propagiert. So etwas findet sicherlich seine Fans, ob sie Hausfrauen sind oder nicht.

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