Donnerstag, Oktober 10


Schuhbedürfnisse

Hohe Schuhe galten einst als Inbegriff von Eleganz, gerade jüngere Frauen greifen aber lieber zu flachen Absätzen. Was ist passiert?

Es ist einer der inzwischen berühmtesten Sätze aus dem «Barbie»-Film von Regisseurin Greta Gerwig. «Wenn meine Füsse so aussähen, würde ich nie High Heels tragen», sagt die Puppe an einer Stelle, an der ihre Füsse plötzlich flach auf dem Boden liegen. Barbie ist das nicht gewohnt: Bisher ist sie grazil auf den Fussballen balancierend durchs Leben getapst, der Mittelfuss gewölbt, die Ferse permanent in die Höhe gereckt.

Mit solchen Füssen liess es sich mühelos in hochhackigen Pumps und Sandaletten dahingleiten, doch angekommen in der echten Welt, plumpsen Barbies Fersen auf den Boden, und das Gehen in High Heels wird vor allem eines: anstrengend.

In Flip-Flops auf dem roten Teppich

Für Frauen, die gebogene Barbie-Füsse nur aus ihrer Kindheit kennen und seit je ihre natürliche Fussform in Stilettos zwängen, ist das nichts Neues. Und langsam sieht es so aus, als hätten sie wirklich genug davon. Denn High Heels tauchen zwar noch in Laufstegkollektionen auf und gehören zum festen Angebot von Marken wie Christian Louboutin oder Roger Vivier, aber auf der Strasse sieht man sie im Grunde kaum noch.

Die Plattform Lyst, die anhand der Datenanalyse und der Suchanfragen die gefragtesten Modeprodukte und Marken auswertet, hat in ihren «Hottest Products» für das vierte Quartal 2023 vier Schuhmodelle bestimmt – kein einziges davon gehört zur Gattung High Heels. Stattdessen suchten Kunden nach Kitten Heels von Miu Miu, Sneakers von Adidas, Loafers von Prada oder Slipper von Ugg.

Während der Modewochen trippeln praktisch nur noch von Designern eingekleidete Influencer und Celebrities auf hohen Absätzen in die Modenschauen. Und auch auf Red-Carpet-Events und Filmfestivals ist es alles andere als unüblich, Frauen in flachen Schuhen zu sehen. Jennifer Lawrence trug im vergangenen Jahr während des Filmfestivals in Cannes zu ihrer roten Dior-Robe sogar Flip-Flops.

Lieber Ballerinas statt High Heels

Zu den vielen Dingen, die die Pandemie nachhaltig verändert zu haben scheint, gehören definitiv auch die Schuhbedürfnisse der Frauen. Um 65 Prozent brach die Nachfrage nach High Heels im zweiten Quartal 2020 verglichen mit dem Vorjahr ein, so ergaben es Erhebungen des Marktforschungsunternehmens NPD. Lockdowns und Ausgehsperren verkleinerten den Ausgehradius auf die eigenen vier Wände, Cocktails wurden durch Pyjamapartys ersetzt, Büro-Dresscodes durch Jogginghosen. Firmen wie Birkenstock und Crocs verzeichneten Rekordumsätze.

Zurück blieb das Gefühl, dass viel Computerarbeit auch vom Home-Office aus erledigt werden kann – und dass Bequemlichkeit im Alltag etwas ziemlich Schönes ist. Und auch wenn die Normalisierung des Lebens und die Rückkehr zu Events und Partys die Nachfrage nach Anlassmode und eben auch High Heels wieder in die Höhe schnellen liess, richtig beliebt sind hohe dünne Absätze anscheinend nicht mehr. Stattdessen investieren gerade junge, trendaffine und Social-Media-versierte Frauen lieber in Ballerinas von Alaïa, Biker Boots von Miu Miu, zarte durchsichtige Slipper von The Row.

Für den Mann ein Zeichen von Status, für die Frau mehr Eleganz

Ein cooler Look, das steht für sie längst fest, braucht keinen Stiletto. Das sahen Frauen, Männer und Modedesigner über viele Jahrhunderte anders. In europäischen Adelskreisen war es zu Zeiten der Renaissance, des Barocks und Rokokos vor allem für Männer üblich, hohe Schuhe zu tragen, weil die erhöhte Statur als ein Ausdruck von Erhabenheit und einer privilegierten Position gesehen wurde.

Als in den 1950er Jahren der Stiletto erfunden wurde – als seine Urväter gelten Salvatore Ferragamo, Roger Vivier und André Perugia –, etablierte er sich sofort als Accessoire, das Frauen mehr Grazie, Anmut und Eleganz verlieh. Der gebogene Fuss, die gestreckte Wade, der langsame Gang, all das zusammen ergab einen Auftritt, der mit Verführung und Feminität in Verbindung gebracht wurde.

Lange schrieben zudem gesellschaftliche Normen und Vorstellungen von Eleganz, Professionalität und Seriosität vor, dass Frauen hohe Schuhe zu tragen haben. Im Film «Die Waffen der Frauen» aus dem Jahr 1984 trägt Melanie Griffiths als ehrgeizige junge Grossstädterin Sneakers auf dem Weg ins Büro, nur um sie unter dem Schreibtisch mit den mitgebrachten Pumps auszutauschen.

Sich auch ohne Absätze elegant fühlen

So strikt ging es schon vor der Pandemie in vielen Büros nicht mehr zu. Nun kann sich kein Unternehmen mehr erlauben, von Frauen einen Auftritt in High Heels zu verlangen. Auch das Filmfestival in Cannes, das weiblichen Stars lange hohe Schuhe auf dem roten Teppich vorschrieb, erregte damit irgendwann so viel Protest und Empörung von Schauspielerinnen wie Kristen Stewart, dass man die Regel fallen liess.

Neben dem Bedürfnis nach Bequemlichkeit ist es auch die Ablehnung eines bestimmten Frauen- und Rollenbildes, das dazu motivieren kann, auf hohe Schuhe zu verzichten. Keine Frau muss heute High Heels tragen, um sich schön, selbstbewusst und elegant zu fühlen – es gibt zu viele Alternativen, Trends und viel mehr Freiheit, diese überall auszuführen.

Wenn sie es aber will, gibt es natürlich immer noch genug Modelle im Angebot. Bei vielen besonderen Anlässen werden Stilettos und Pumps weiterhin häufig zu sehen ein, schliesslich handelt es sich ja um sehr schöne Schuhe. Die Birkenstocks kann man zur Sicherheit auch noch mitnehmen.

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