Samstag, September 28

Laut dem Gegenvorschlag sollen einkommensschwache Personen Beiträge an ein lokales ZVV-Abo erhalten.

Der Konstruktionsfehler steckt schon im Titel der SP-Initiative: «VBZ-Abo für 365 Franken». Seit Inbetriebnahme der Zürcher S-Bahn 1990 gibt es keine Abonnements der städtischen Verkehrsbetriebe mehr. Ausschliesslich der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) vertreibt Billetts für den öffentlichen Verkehr, und zwar «für jeden Reisezweck ein passendes Ticket zu einem einheitlichen Preis», und das zum Vorteil der Fahrgäste.

Indirekt will die SP der Stadt Zürich in dieses Gefüge eingreifen, primär um den öV zu fördern. Im März 2024 reichte sie ihre Volksinitiative ein, damit alle Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt ein vergünstigtes Jahresabonnement für die ZVV-Zone 110 erhalten, die deckungsgleich mit der Stadt ist. Erwachsene sollten noch 365 Franken bezahlen, statt des aktuellen Tarifs von 809 Franken, Kinder und Jugendliche 185 statt 586 Franken.

Der Zürcher Stadtrat lehnt die Initiative ab, wie er am Dienstag bekanntgegeben hat: Er hält solch pauschale Pro-Kopf-Vergünstigung ohne Bedarfsprüfung für den falschen Weg, sie sei unverhältnismässig und koste etwa 140 Millionen Franken im Jahr. Statt einer Vergünstigung nach dem Giesskannenprinzip seien Investitionen in den Ausbau eines attraktiven öV besser geeignet, wird Stadtrat Michael Baumer (FDP) in der Mitteilung zitiert.

Dem Parlament stellt der Stadtrat jedoch den Antrag auf einen Gegenvorschlag. Laut diesem wird die Vergünstigung der ZVV-Jahres- oder auch -Monatsabos auf einkommensschwache Personen beschränkt. Die Höhe des Beitrags soll abgestuft sein und kann bis 55 Prozent des Originalpreises für Erwachsene, bis 70 Prozent für Jugendliche betragen.

Genaue Umsetzung noch offen

Doch was heisst einkommensschwach? Der Gegenvorschlag gibt erst die Zielrichtung vor. Wird er angenommen, ist eine Umsetzungsvorlage auszuarbeiten. Um eine Vorstellung von der Grössenordnung des Personenkreises zu erhalten, habe man Berechnungen für jene rund 80 000 Einwohnerinnen und Einwohner von Zürich angestellt, die eine Verbilligung der Krankenkassenprämie erhalten, sagt Zürichs Sozialvorsteher Raphael Golta (SP) gegenüber der NZZ.

Auf dieser Basis rechnet die Stadt mit Kosten von maximal 35,5 Millionen Franken. Ein Bürokratiemonster drohe nicht, so wehrt Golta einen entsprechenden Einwand ab. Vor einem Jahr habe die Stadt bereits die Energiekostenzulage eingeführt, die relativ einfach umgesetzt werden könne.

Nun gibt es auch einkommensschwache Personen, die den öV nicht oder kaum nutzen, sei es wegen einer Gehbehinderung oder weil sie mit dem Velo oder zu Fuss unterwegs sind. Das sei so, sagt Golta. Es gehe um eine sozialpolitische Massnahme, die jenen Personen Mobilität ermögliche, die sonst wegen der Fahrkosten für den öV auf ein Angebot in der Stadt verzichten müssten.

Unklar ist noch, ob die Unterstützung auch als Beitrag an ein ZVV-Abo, das nicht nur in der Stadt, sondern über ihre Grenze hinaus gültig ist, ausgestaltet werden kann. Etwa wenn jemand in Zürich wohnt und zum Beispiel zur Arbeit ins Glatttal pendelt. Es sei das Anliegen in der Umsetzung, die Vergünstigung als eine Art Gutschein für ein ZVV-Abo einlösen zu können. «Wir werden eine Lösung finden», stellt Golta in Aussicht.

Kein Eingriff in das ZVV-Tarifsystem

Ist es nicht «sachfremd», über die ÖV-Tarife Sozialpolitik zu betreiben? Mit diesem Argument lehnte der Regierungsrat 2022 einen SP-Vorstoss aus dem Kantonsrat mit ähnlicher Zielsetzung ab. Golta verneint. Wichtig sei es, Menschen mit wenig Einkommen gezielt zu unterstützen, ähnlich wie bei den gestiegenen Energiekosten: «Der Gegenvorschlag ist ebenso ein wirksames Mittel, um spezifisch Entlastung bei den Kosten für Mobilität zu schaffen.»

Der Vorsteher des Zürcher Sozialdepartements stellt denn auch in Abrede, dass damit indirekt die Zuständigkeit des Kantons für die Tarife im öV in Zweifel gezogen werde. Dieser Vorwurf hätte allenfalls zugetroffen, wenn der Stadtrat die Initiative der SP unterstützt hätte, antwortet er.

Es gebe aber schon heute abgestufte ZVV-Tarife für Jugendliche oder eben ausschliesslich für Personen mit Wohnsitz in Zürich, die Zusatzleistungen zur AHV oder IV erhalten. «Wir machen nicht anderes, als diesen Ansatz sozialpolitisch etwas breiter zu fassen. Unser Vorschlag unterläuft das Tarifsystem des ZVV nicht», sagt Golta.

Dem SP-Stadtrat geht es darum, einem «wichtigen sozialpolitischen Anliegen» zum Durchbruch zu verhelfen. Ein Selbstläufer wird es nicht. Damit der Gegenvorschlag umgesetzt werden kann, muss er von einer Mehrheit im Stadtparlament unterstützt werden. Dort scheiterte Anfang 2022 ein erster Anlauf der SP für die Abgabe von vergünstigten Abos an alle, weil Grüne und AL nicht mitmachten.

Exit mobile version