Die Alte und die Neue Welt driften auseinander. Trump und seine Regierung äussern unverhohlen Verachtung für Europa. Dabei geht es vordergründig um Finanzielles, aber letztlich um Werte und kulturelle Unterschiede, die tief in die Geschichte zurückreichen.

Diesen Monat hatte man Gelegenheit, zu erfahren, wie sich der Vizepräsident J. D. Vance und der Verteidigungsminister Pete Hegseth über Europa äussern, wenn sie unter sich sind. Es ging um den Angriff auf die Huthi-Miliz in Jemen, um den freien Schiffsverkehr durch das Rote Meer sicherzustellen, auf den nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Europäer angewiesen sind. Vance äusserte Bedenken gegen den Plan, weil sich Europa weder finanziell noch militärisch beteiligte. «Ich habe einfach keine Lust, den Europäern da wieder aus der Patsche zu helfen», schrieb er im Chat, den der «Atlantic»-Chefredaktor Jeffrey Goldberg, der aus Versehen eingeladen worden war, später veröffentlichte. «Ich teile deinen Abscheu gegenüber dem europäischen Schmarotzertum vollumfänglich», antwortete Hegseth. «Es ist erbärmlich.»

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Aus ihrer Sicht ist Europa dem Untergang geweiht

Besonders bedenklich ist, dass Vance genau besehen Folgendes sagt: Die Bombardierung der Huthi dient zwar den USA; aber weil sie auch Europa hilft, sollten wir es bleibenlassen. Lieber nimmt er Nachteile für das eigene Land in Kauf, als etwas zu unternehmen, was auch Europa zugutekommen könnte.

Einen Eindruck von Vance’ Verachtung gegenüber der Alten Welt konnte man schon im Februar bekommen. Eigentlich ging es an der Münchner Sicherheitskonferenz um die Ukraine und die russischen Expansionsgelüste. Stattdessen las Vance den Europäern die Leviten und warf ihnen vor, die Redefreiheit zu unterdrücken. Während man sich damals noch einreden konnte, er meine es nicht wirklich so und wolle vielleicht eher die heimischen Trump-Anhänger beeindrucken, gibt es nun keinen Zweifel mehr: Er meint, was er sagt. In einem Interview ging er so weit, zu behaupten, Europa sei im Begriff, einen zivilisatorischen Suizid zu begehen. Europa gilt Leuten wie ihm als dekadent, «woke», realitätsfremd-pazifistisch, ökonomisch todgeweiht, demografisch bedroht durch tiefe Geburtsraten sowie unkontrollierte Immigration und kulturell desorientiert durch die Abkehr vom Christentum und eine schleichende Islamisierung.

Vance ist kein Einzelfall. In einem Interview machte sich Steve Witkoff, der Sondergesandte für den Nahen Osten und Russland, über die Angst der Europäer vor Putin lustig. Sie führten sich auf, als befänden sie sich immer noch im Zweiten Weltkrieg, sagte er. Derweil äusserte Elon Musk wiederholt die Ansicht, dass Europa wegen der Einwanderung von radikalen Muslimen am Rande eines Bürgerkriegs stehe. Und Trump behauptet, die EU sei nur gegründet worden, um die USA über den Tisch zu ziehen.

Eine ganze Serie von Demütigungen

Tatsächlich gibt es viele Anzeichen für eine amerikanische Abkehr von Europa. Washington bedroht die EU mit massiven Zöllen. Bei den Verhandlungen über die Ukraine liess Amerika Europa links liegen und schlug sich mehr oder weniger auf die russische Seite. Vor der ganzen Welt demütigten Trump und Vance den ukrainischen Präsidenten Selenski im Weissen Haus. Zudem signalisierte Trump, dass die Europäer nicht mehr auf den militärischen Schutz der USA zählen könnten, wenn sie selber nicht mehr für ihre Verteidigung zahlten.

Als Frankreich und Grossbritannien allerdings die Entsendung von eigenen Truppen diskutierten, um den Frieden in der Ukraine abzusichern, machte sich Vance über sie lustig und sprach von «20 000 Soldaten aus einem x-beliebigen Land, das seit 30 oder 40 Jahren in keinem Krieg mehr gekämpft hat». In Wirklichkeit hatten die beiden Länder Zehntausende von Soldaten nach Afghanistan geschickt, um die Amerikaner zu unterstützen.

Die Geringschätzung der Regierung in Washington bekamen auch Besucher zu spüren. Für den polnischen Präsidenten Andrzej Duda, der für das Gespräch mit Trump den Atlantik überquert hatte, hatte der Präsident gerade einmal zehn Minuten Zeit. Kaja Kallas, die EU-Aussenministerin, wartete umsonst auf ihren Termin mit dem amerikanischen Amtskollegen Marco Rubio. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bekam nicht einmal einen Termin. Ernst genommen werden eigentlich nur dezidiert rechte Politiker wie Viktor Orban, Giorgia Meloni oder Alice Weidel.

Und zu guter Letzt droht Trump Dänemark mit der Annexion Grönlands.

Der europäische Antiamerikanismus

Die Europäer befinden sich immer noch in einem Schockzustand, nachdem das transatlantische Bündnis jahrzehntelang unverbrüchlich erschien.

Dabei gab es immer wieder Krisen. Zum Beispiel im Jahr 2003, als sich ein grosser Teil der europäischen Länder weigerte, sich der von den USA angeführten Irak-Invasion anzuschliessen. Der damalige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mokierte sich über das «alte Europa» mit Frankreich und Deutschland, das er dem «neuen Europa» mit Ländern wie Polen gegenüberstellte, das sich der «Koalition der Willigen» gegen Saddam Hussein anschloss.

Es war eine Zeit, in der auch der Antiamerikanismus wieder einmal aufblühte. Für viele Europäer war der damalige Präsident George W. Bush der Inbegriff des dummen, unkultivierten Cowboys, wie zuvor bereits Ronald Reagan. Auch früher schon gab es immer wieder Spannungen: bei der Suezkrise 1956, dem Vietnamkrieg, dem Nato-Doppelbeschluss von 1979 und dem Kosovo-Krieg von 1999. Die Abgrenzung von der Alten Welt mit ihren Monarchien und Despoten gehört seit dem Unabhängigkeitskrieg gegen Grossbritannien zum Selbstverständnis der USA. Man sieht sich gerne als jung, modern und zupackend. Die Kehrseite ist die Herablassung der Europäer gegenüber dem angeblich vulgären, materialistischen, hyperkapitalistischen und bildungsfernen Amerika. Der Antiamerikanismus ist dabei eher links, der Antieuropäismus rechts verortet. Aber dieses Mal scheint es nicht um eine Beziehungskrise zu gehen, sondern um Scheidung.

Denn handelte es sich lediglich um die Finanzierung der Nato, so gäbe es gute Chancen für einen Kompromiss. Viele europäische Staatschefs räumen durchaus ein, dass ihre Länder mehr Verantwortung für die eigene Verteidigung und auch für die Ukraine übernehmen müssten. Aber das Zerwürfnis geht tiefer und betrifft grundlegende Fragen der Werte und der Kultur.

«Die Europäer sind wie welke Stiefmütterchen»

Der Historiker Timothy Garton Ash fasste schon 2003 zusammen, was für Stereotype über die Europäer in den USA kursieren: Sie seien Weicheier, schrieb er. Schwach, verdrossen, heuchlerisch, zerstritten. Ihre Werte und ihr Rückgrat hätten sich in einem lauwarmen Bad von multikulturellem, säkularem und postmodernem Caramel aufgelöst. «Ihre Euro geben sie für Wein, Ferien und den Wohlfahrtsstaat anstatt für Verteidigung aus. Dann buhen sie von der Seitenlinie, während die USA die Dreckarbeit erledigen, die Welt für die Europäer sicher zu machen.» Während viele Europäer die Amerikaner als machistische Cowboys sähen, betrachteten Amerikaner die Europäer oft als welke Stiefmütterchen. «Der Amerikaner ist ein heterosexueller Mann, der Europäer ist entweder eine Frau, ein Impotenter oder ein Eunuch.»

In eine ähnliche Richtung zielte der konservative Publizist Robert Kagan, als er in Anspielung auf das bekannte Buch «Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus» schrieb: «Amerikaner sind vom Mars, Europäer von der Venus.»

Das alles ist natürlich überspitzt formuliert, aber drückt wohl aus, was Leute wie Vance auch heute noch insgeheim über die Europäer denken.

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