Mittwoch, November 6

Die UZH versteckt sich hinter dem Datenschutz – andere Hochschulen informieren transparent.

Sexuelle Belästigungen sind weit verbreitet. In einer repräsentativen Umfrage von GfS Bern (2019) gaben 6 von 10 Frauen an, mindestens einmal gegen ihren Willen berührt oder geküsst worden zu sein. Jede achte Frau sagte sogar, sie habe schon Geschlechtsverkehr erlebt, obwohl sie diesen nicht gewollt habe.

Laut Umfrage werden die meisten Frauen in der Öffentlichkeit bedrängt, auf der Strasse, in Bars oder in Trams, Bussen und Zügen. Zu unerwünschten Begegnungen oder Kommentaren kommt es zudem am Arbeitsplatz: Jede dritte Frau berichtete in der Umfrage davon.

Auch an den Universitäten ist sexuelle Belästigung ein grosses Thema. Betroffene werden beraten und unterstützt. Es gibt Fachtagungen und Sensibilisierungskampagnen und sogar jeweils im März einen nationalen Aktionstag.

Was es nicht gibt, ist Transparenz, jedenfalls nicht an der Universität Zürich.

Die grösste Universität der Schweiz erhebt zwar Zahlen zu Anfragen und gemeldeten Fällen, die Daten sind aber geheim. Ein entsprechender Bericht geht jeweils einzig an die Universitätsleitung. Nicht einmal die Gleichstellungskommission erhält Einsicht. Die Universität begründet die Geheimhaltung mit dem Datenschutz.

Für die Zürcher GLP-Kantonsrätinnen Nathalie Aeschbacher und Andrea Gisler ist das ein unhaltbarer Zustand. Ihnen ist es unverständlich, warum eine grosse öffentliche Institution so wenig transparent ist. Mit einer Anfrage im Kantonsparlament verlangen sie nun Auskunft vom Regierungsrat.

«Die Universität unternimmt bereits sehr viel, und das ist lobenswert», sagt Aeschbacher. «Aber solange wir keine Fallzahlen erhalten, wissen wir weder, wie gross das Problem ist, noch, ob die Massnahmen greifen.»

Auch für Betroffene seien die Erhebungen wichtig: «Die Zahlen senden ein wichtiges Signal aus: Du bist nicht alleine. Andere haben auch den Mut gehabt, sich bei einer Anlaufstelle zu melden», sagt Aeschbacher. «Transparenz hilft, das Schweigen zu brechen.»

Nicht zuletzt sei eine öffentliche Auflistung auch eine starke Botschaft an die Adresse der Belästiger: «Ihnen wird deutlich gemacht, dass sie mit ihrem Verhalten nicht durchkommen, dass es gemeldet und registriert wird. Und dass ihre Opfer nicht einfach ruhig sind.»

Witze über das Aussehen sind verboten

Dass es an der Universität Zürich Fälle gibt, liegt nur schon aufgrund ihrer Grösse auf der Hand. Über 16 000 Studentinnen sind immatrikuliert, etwa 4000 Frauen sind bei der Uni angestellt. Und natürlich können auch Männer belästigt werden.

Öffentlich bekannt wurden Fälle in der Vergangenheit in der Regel nur, wenn sie die Grenze zur strafbaren Handlung überschritten und vor Gericht landeten. So wurde vor rund zehn Jahren ein damaliger Professor der UZH verurteilt, weil er beim Sporttraining an der Uni einer Frau nachgestellt hatte und sie ungebührlich berührt hatte. Er erhielt eine bedingte Geldstrafe und eine Busse.

Hinweise gibt es zudem aus Umfragen. Im letzten März berichtete die «Zürcher Studierendenzeitung» über eine Befragung von rund 600 Zürcher Medizinstudentinnen und -studenten, die ein Verein von Studenten durchgeführt hatte.

Aus der Umfrage ergab sich, dass jede vierte Medizinstudentin schon einmal belästigt worden war. Die Schwelle für eine sexuelle Belästigung wurde in der Befragung allerdings ausgesprochen tief angesetzt. Sogar «unabsichtliche Verhaltensweisen und Aussagen» wurden geltend gemacht.

Die Universität Zürich selbst bezeichnet «jedes Verhalten, das einen Menschen aufgrund seines Geschlechts verletzt oder herabwürdigt und von der betroffenen Person als unerwünscht empfunden wird», als sexuelle Belästigung.

Nicht erlaubt sind neben strafbaren sexuellen Handlungen und ungewollten Körperkontakten zum Beispiel auch ein aufdringliches Verhalten, Witze über das Aussehen oder das Zeigen von pornografischem Material. Wer gegen die Regeln verstösst, kann exmatrikuliert oder entlassen werden.

Zu der Frage, warum sie keine Fallzahlen publiziert, nimmt die Universität Zürich momentan keine Stellung. Zuerst wolle die UZH die Anfrage im Kantonsrat beantworten, teilt die Medienstelle mit.

10 bis 15 Fälle in Bern, 2 Fälle an der ZHAW

Zur Öffentlichkeit der Fallzahlen herrscht unter den Schweizer Universitäten und Hochschulen keine Einigkeit. Es gibt, grob gesagt, drei Lager: jene, die wie die Universität Zürich gar keine Zahlen bekanntgeben, jene, die auf Anfrage wenigstens ungefähre Werte nennen, und jene, welche die Zahlen offenlegen.

Zu der Gruppe der Transparenten gehört die Universität Bern. Sie erfasst die Zahlen seit 2016, pro Jahr seien es etwa 10 bis 15 Fälle, sagt Ivo Schmucki von der Medienstelle. «Wir geben im Rahmen des datenschutzrechtlich Möglichen Auskunft über diese Statistik», sagt er.

Auch die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften gibt auf Anfrage Auskunft. Sie registrierte im Jahr 2022 (jüngste Zahlen) 2 Fälle von sexueller Belästigung. Ein Bericht über die jährlichen Anfragen wird jeweils im Intranet aufgeschaltet.

Die Universität Freiburg sagt, dass sie selbst keinen vollständigen Überblick besitze, weil sich Betroffene an diverse Beratungsstellen auch ausserhalb der Universität wenden könnten. In Freiburg gibt es aber jeweils eine Erhebung unter den Erstsemestrigen. In der jüngsten Umfrage gab eine Person an, sexuelle Belästigung erlebt zu haben.

Die Medienstelle weist zudem darauf hin, dass in der Corona-Zeit die Studenten und Dozierenden meistens von zu Hause aus gearbeitet hätten, was sich auch auf die Fallzahlen auswirke.

Ins Lager der Zurückhaltenden gehört die Zürcher Hochschule der Künste. Die Fachstelle Gleichstellung & Diversity führt eine Statistik über die gemeldeten Fälle, diese ist nicht öffentlich. Die ZHdK sagt auf Nachfrage aber, dass sich ihre Zahlen in einem ähnlichen Rahmen bewegten wie bei den Institutionen, welche diese publizieren.

An der ETH Zürich gibt es verschiedene Anlaufstellen. Unter anderem ist es möglich, über ein Online-Formular eine anonyme Meldung zu verschicken. Eine Statistik über sämtliche Fallzahlen werde aber nicht erstellt, unter anderem weil sich Betroffene an vielen Orten auch sehr niederschwellig melden könnten und ein Gesamtüberblick fehle, teilt die Hochschule mit.

An der Universität St. Gallen sind die Zahlen wie in Zürich unter Verschluss. Zudem ist das Bild auch hier unvollständig, denn es gibt mehrere Anlaufstellen für Betroffene. Nur ein Teil der Stellen führt Statistiken, welche an das Rektorat gelangen.

Die Mediensprecherin Mattea Bieniok berichtet dennoch von leicht steigenden Fallzahlen. «Die Fachstellen führen dies auf die verstärkten öffentlichen Diskussionen um #MeToo und die Reform des Sexualstrafrechts zurück. Betroffene sind eher bereit, ihre Erfahrungen zu melden.»

Steigende Zahlen, so viel ist bekannt, gibt es auch an der Universität Zürich. Die Fälle hätten im Laufe der Jahre deutlich zugenommen, sagte die Strafrechts- und Medizinrechtsprofessorin Brigitte Tag im letzten März im Interview mit einer Universitätspublikation. Einige der Fälle seien sehr langwierig und ressourcenintensiv.

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