Dienstag, Januar 7

Eine Frage verleiht dem langweiligen Politjahr 2025 wenigstens ein bisschen Spannung.

Am 8. Juni 2023 gab Alain Berset, damals noch Innenminister, Radio SRF ein Interview. Auf die Frage, ob er auch 2024 noch Bundesrat sein werde, sagte er, er habe wichtige Projekte, die bei weitem noch nicht zu Ende seien. Als der Journalist nachhakte, antwortete er: «Mein Ziel ist klar: Ich will auch danach weiterarbeiten und meine Dossiers vorantreiben. Ich bin ab 2023 der Amtsälteste und gleichzeitig der Jüngste. Ich bin voller Energie und habe Lust, weiterzumachen.»

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Der SRF-Newskanal Swissinfo titelte darauf: «Alain Berset bekräftigt erneute Bundesratskandidatur im Dezember.» Der «Blick» schrieb: «Bundesrat Alain Berset hat noch nicht genug. Er will im Dezember zur Wiederwahl antreten.»

Zwei Wochen später verkündete Berset an einer Medienkonferenz seinen Rücktritt auf Ende Jahr. Auf die erstaunte Frage einer Journalistin, weshalb er denn gesagt habe, er wolle weitermachen, antwortete er ungerührt, er habe nie gesagt, dass er sich zur Wiederwahl stellen werde. Die Journalisten hätten das halt so interpretiert.

«Wir haben ein starkes Ergebnis erzielt, das ich gerne vertreten werde»

Am 30. Dezember 2024 hat auch Aussenminister Ignazio Cassis nach langem Schweigen wieder einmal ein Zeitungsinterview gegeben: In den Portalen von Tamedia antwortete er auf die Frage, ob und mit welchem inneren Feuer er die Vorlage über das Vertragswerk mit der EU vertreten werde: «Wir haben ein starkes Ergebnis erzielt, das ich gerne vertreten werde. Auch die Kantone stehen dahinter. Jetzt wird es eine grosse Debatte geben, die über die rein wirtschaftlichen Aspekte hinausgeht und Identitätsfragen betrifft. Am Ende wird das Volk entscheiden.»

Immerhin sagt er nicht, er wolle weiterarbeiten, sei voller Energie und habe Lust, weiterzumachen. Doch die Antwort wirft eine Frage auf: Wie lange will er denn das erzielte Ergebnis als Bundesrat vertreten? Bis zur Paraphierung der Verträge im Frühjahr 2025? Bis der Bundesrat das ausformulierte Ergebnis im Frühsommer in die Vernehmlassung gibt? Bis die Vorlage danach ins Parlament kommt? Bis zur Urnenabstimmung, die frühestens 2027, eher aber 2028 stattfinden wird?

Ignazio Cassis, der nächstes Jahr das AHV-Alter erreicht, schweigt. An der Medienkonferenz vom 20. Dezember 2024, wo er gemeinsam mit Justizminister Beat Jans und Wirtschaftsminister Guy Parmelin das Ende der materiellen Verhandlungen verkündete, wirkte er fast niedergeschlagen. Allerdings machten auch seine beiden Begleiter keinen sonderlich beschwingten Eindruck. Wie überzeugt steht eigentlich der Gesamtbundesrat hinter dem erreichten Ergebnis?

Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss scheint an der Überzeugung der Landesregierung zu zweifeln. In einem Interview mit der Westschweizer Zeitung «Le Temps» sagte sie kürzlich, der Bundesrat habe bereits mit «ohrenbetäubendem Schweigen» reagiert, als Botschafter Roberto Balzaretti im Mai 2021 versucht habe, der Öffentlichkeit die damaligen Verhandlungsergebnisse schmackhaft zu machen. Auch nach dem Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen habe das Gremium auffällig geschwiegen. «Seitdem», sagt Dreifuss, «habe ich vom Bundesrat nicht viel mehr gehört.»

Hat Ruth Dreifuss recht, und im Bundesrat herrscht tatsächlich maximale magistrale Unlust, erklärt sich auch Cassis’ Zurückhaltung. Wie will er eine Vorlage durch das Parlament und eine Urnenabstimmung bringen, hinter der nicht einmal der Bundesrat mit Überzeugung steht? Politiker und Journalisten spekulieren deshalb seit längerem, dass Cassis sein Amt bald zur Verfügung stellen dürfte. Sobald das Vertragswerk im Parlament ist, könnte er guten Gewissens sagen, er habe die Verhandlungen zu einem Abschluss gebracht und könne nun gehen.

Angst um den zweiten FDP-Sitz

Doch da gibt es ein Problem: Sobald Cassis zurücktritt, muss seine Partei, die FDP, um ihren zweiten Sitz bangen. Bei den Gesamterneuerungswahlen 2023 landete der Freisinn nur hauchdünn vor der Mitte. Über das in der Zauberformel festgeschriebene arithmetische Recht auf einen zweiten Sitz entschieden lediglich 0,2 Prozentpunkte. Damit gilt: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Geht Cassis alleine, werden mehrere Parteien versuchen, seinen Sitz anzugreifen, darunter wohl auch die Mitte.

Der Präsident Gerhard Pfister hat schon mehrfach durchblicken lassen, dass seine Partei Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz erhebt, wenn die FDP weiter schwächelt. An den Erneuerungswahlen Ende 2023 wurde Cassis zwar auf Anhieb wiedergewählt, doch verschiedene Mitte-Politiker machten klar, dass es sich um eine Schonfrist handelt. Der Bündner Ständerat Stefan Engler etwa sagte: «Falls Cassis während der Legislatur zurücktritt, muss unsere Partei antreten. Das schulden wir unseren Wählern.»

Bloss: Was passiert, wenn die FDP die Mitte bei den nächsten nationalen Wahlen im Jahr 2027 wieder stärker hinter sich lässt? Wie liesse sich unter solchen Umständen ein zweiter Bundesratssitz für die ehemalige CVP rechtfertigen? Ein Szenario, welches das Dilemma beider Parteien lösen würde, wäre ein Doppelrücktritt. Denn auch Viola Amherd gilt als amtsmüde. Auf entsprechende Journalistenfragen reagiert sie zwar unwirsch («Sie müssen jetzt nicht jede Woche nachfragen»), doch in Bern dreht sich das Namenskarussell der potenziellen Nachfolger schon seit Monaten.

An der Spitze der Parteien gibt man sich bedeckt. Gerhard Pfister hat das Thema Bundesrat schon lange nicht mehr angeschnitten, und der FDP-Präsident Thierry Burkart antwortete kürzlich in einem CH-Media-Interview ausweichend:

Journalisten: Die Wahrscheinlichkeit, dass Ignazio Cassis 2028 noch im Amt ist, ist kleiner, als dass Sie dann Aussenminister sind. Dann müssten Sie zusammen mit dem Bundesratskollegen Gerhard Pfister – als Nachfolger von Viola Amherd – in die Volksabstimmung.

Thierry Burkart: Jedes Bundesratsmitglied steht in der Pflicht, Entscheide des Bundesratsgremiums mit vollem Engagement zu vertreten.

Journalisten: Das ist wohl einfacher, als eine gespaltene FDP zu vertreten.

Thierry Burkart: Es gibt Leute, die sagen: Parteipräsident ist der anspruchsvollere Job als Bundesrat. Ich kann das nicht beurteilen.

Ob Cassis und Amherd wirklich zurücktreten und ob sie, wenn sie das tun, es gemeinsam machen, ist offen. Aber die Frage drängt sich auf, und sie verleiht dem faden Politjahr 2025 wenigstens etwas Würze. Denn ausser der Debatte um das Resultat der Verhandlungen mit der EU und das Sparen wird im neuen Jahr nicht viel los sein: Am 9. Februar wird über die als aussichtslos geltende Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen abgestimmt; später folgt irgendwann die Abstimmung über die im Dezember im Parlament beschlossene Objektsteuer auf Zweitliegenschaften.

Richtig spannend wird es erst 2026 wieder. Dann kommen gleich drei SVP-Initiativen vors Volk: die Neutralitätsinitiative, die Initiative zur Halbierung der SRG-Gebühren und die Volksinitiative gegen die 10-Millionen-Schweiz. Bundesräte wie Parteipräsidenten dürften sich dann das langweilige Politjahr 2025 zurückwünschen.

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