Dienstag, Oktober 8

Nicht nur Kernkraft-, auch Wasserkraftprojekte unterliegen faktisch einem Neubauverbot. Mitte und FDP gehen im Ständerat nun aufs Ganze.

Die Wasserkraft ist CO2-arm, funktioniert auf Knopfdruck – und sie ist politisch breit abgestützt. Fast 69 Prozent der Schweizer haben sich im Juni für das Stromgesetz ausgesprochen und damit auch für sechzehn Wasserkraftprojekte. Zu den grössten gehören das Triftprojekt sowie ein neuer Speichersee beim Gornergletscher in Zermatt. Doch auch wenn diese Projekte direktdemokratisch legitimiert sind und nebst dem National-, dem Stände- und dem Bundesrat auch das Volk deutlich Ja gesagt hat, werden sie in absehbarer Zeit kaum gebaut werden.

Lokale und nationale Naturschutzverbände wie der Grimselverein, Aqua Viva oder die Stiftung Landschaftsschutz wollen den Ausbau dieser erneuerbaren Energien blockieren. Auch deshalb prüft Energieminister Albert Rösti Wege, neue Kernkraftwerke wieder zu erlauben. Das per Notrecht errichtete und mit Öl und Gas betriebene Reservekraftwerk im aargauischen Birr steht für die blockierte Energiewende: Der Atomausstieg und die Einsprachen bei der Wasserkraft machen die fossilen Energien wichtiger denn je.

Ja des Volks schlägt das Nein der Naturschutzverbände

Energiepolitiker im Ständerat versuchen nun, diesen paradoxen Weg zu verlassen. Sie wollen zumindest das faktische Neubauverbot für Wasserkraftwerke aufheben – indem man den Umweltverbänden das Verbandsbeschwerderecht einschränkt. Die Grundidee dabei ist, die sechzehn im Stromgesetz genehmigten Wasserkraftprojekte dem Einfluss der Verbände zu entziehen. Einsprachen wären nicht mehr möglich. Die Grossprojekte im Berner Oberland und in Zermatt hätten plötzlich Perspektiven und Planungssicherheit. Es wäre ein Paradigmenwechsel in der Energiepolitik.

Mit Beat Rieder und Thierry Burkart haben sich jüngst der Präsident sowie der Vizepräsident der ständerätlichen Energiekommission (Urek) dafür ausgesprochen. Der Mitte-Ständerat Rieder sagte in einem Beitrag von Radio SRF, dass es angesichts der ständigen Blockaden nun an der Zeit sei, sich die Frage zu stellen: «Wer entscheidet in der Schweiz, das Parlament und das Volk, oder entscheidet eine NGO?» Für Burkart bedeutet die Forderung zudem ein Déjà-vu. Schon als junger Aargauer Kantonsrat hat sich der heutige FDP-Präsident nach der Jahrtausendwende für eine Beschränkung des Verbandsbeschwerderechts starkgemacht.

Seither wurde das Verbandsbeschwerderecht ad absurdum geführt. Während die grossen Verbände an einem runden Tisch einlenkten und den sechzehn Wasserkraftprojekten freies Geleit versprachen, wird es immer Organisationen geben, die die Vorhaben blockieren können. Rieder und Burkart versuchen nun, kommende Woche ihren Vorschlag über den sogenannten Beschleunigungserlass einzubringen. Die Beschwerdeverfahren würden nicht nur gebündelt und schneller entschieden. Neu sollen Projekte, die die direktdemokratischen Hürden hinter sich haben, von den Verbänden nicht mehr beanstandet werden können.

Der Vorstoss von Rieder und Burkart hat die Umweltorganisationen aufgeschreckt. Raimund Rodewald, der Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz, sagte gegenüber SRF, dass das Verbandsbeschwerderecht dafür sorge, dass die bestehenden Vorschriften und Gesetze eingehalten würden. Wenn man bei Projekten nicht mehr einsprechen könne, fehle die neutrale Überprüfung durch ein Gericht. Was Rodewald so nicht sagt: Natürlich würde eine weitreichende Beschränkung des Beschwerderechts auch den Sinn und Zweck der Verbände grundlegend infrage stellen.

Selbst die Linke, die stark mit den Umweltverbänden verbandelt ist, scheint den Druck zu spüren. Der SP-Ständerat Simon Stocker erwägt bereits einen Kompromissvorschlag zu der Forderung seiner Ratskollegen. So sollen etwa nur Verbände ab einer bestimmten Grösse zu Einsprachen berechtigt sein. Anhand welcher Kriterien, ist derzeit offen – wie so vieles. Sicher ist: Der Zielkonflikt zwischen Umweltschutz und dem Schutz des Wirtschaftsstandorts spitzt sich zu.

Alte Debatte, neue Dringlichkeit

Während die Ständeräte das Verbandsbeschwerderecht bei Wasserkraftprojekten ins Visier nehmen, soll es auch im privaten Wohnbaubereich abgeschwächt werden. Entsprechende Diskussionen sind im Gang, der Bundesrat unterstützt die Vorschläge aus dem Parlament. Mit der proaktiven Wolfsregulierung kommt ein weiteres emotionales Beispiel dazu, wo Direktbetroffene und Verbände um die Entscheidungshoheit kämpfen. Während es Rieder und Burkart gelingen könnte, zumindest im Ständerat eine Mehrheit zu finden, wird sich spätestens im Nationalrat zeigen, wie weit der bürgerliche Ärger über die Blockaden tatsächlich reicht. Sowohl bei der Mitte als auch bei der FDP gibt es Stimmen, die den Verbänden nach wie vor wohlgesinnt sind.

Gleichwohl zeigen die anstehenden Diskussionen in der Urek, dass das Verbandsbeschwerderecht längst keine heilige Kuh mehr ist. 2008 wurde eine entsprechende Initiative der FDP, die den «Schluss der Verhinderungspolitik» erzwingen wollte, vom Volk deutlich abgelehnt. Ob das heute immer noch der Fall wäre? Damals hatte die CVP im Ständerat versucht, wenigstens über einen Gegenvorschlag die Verbandsbeschwerde abzuschwächen. Der entsprechende Antrag wurde jedoch knapp abgelehnt. Sechzehn Jahre später ist die Debatte neu lanciert – mit offenem Ausgang.

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