Die EU muss sich für eine langfristige Konfrontation mit Putin und ein Comeback Donald Trumps wappnen. Da ist es immerhin ein Vorteil, wenn in Brüssel die wichtigsten Akteure an einem Strang ziehen.

Selten gab die Europäische Union in ihrer Aussenpolitik ein so schlechtes Bild ab wie nach dem 7. Oktober. Zwar war der Nahostkonflikt schon immer ein Zankapfel. Doch Ursula von der Leyen, Charles Michel und Josep Borrell taten nach der Terrorattacke der Hamas auf Israel und dem anschliessenden Krieg in Gaza das ihrige, um die Union zerrissen und irrelevant aussehen zu lassen.

Die Chefin der EU-Kommission, der Präsident des EU-Rats und der Hohe Vertreter für Aussen- und Sicherheitspolitik suchten gar nicht erst nach einer gemeinsamen Strategie, sondern preschten alleine vor, stritten über Aufmerksamkeit und Zuständigkeiten. Das Einzige, was Michel und von der Leyen einte, war die gegenseitige Abneigung.

Wird das mit dem nächsten Führungstrio in Brüssel besser laufen?

Die Chemie stimmt

Neben von der Leyen, die letzte Woche für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin nominiert wurde, sollen ab dem 1. Dezember der ehemalige portugiesische Ministerpräsident António Costa als neuer Rats-Chef und die estnische Regierungschefin Kaja Kallas als neue Aussenbeauftragte die Union repräsentieren.

Während Costa bereits gewählt ist, müssen von der Leyen und Kallas noch vom EU-Parlament bestätigt werden. Die drei Akteure freuen sich auf die Zusammenarbeit.

In einem «Politico»-Interview lobte Costa von der Leyen als «aussergewöhnliche Kommissionspräsidentin», die eine «aussergewöhnliche Amtszeit» hinter sich habe. Umgekehrt schwärmte die Deutsche von Costas Professionalität und seinem Sinn für Humor. Kallas und von der Leyen wiederum teilen dieselbe unnachgiebige Haltung zum Konflikt mit Russland.

So sind die drei Spitzenjobs nicht nur nach politischen und regionalen Kriterien sinnvoll verteilt, zum Zuge kommt eine Christlichdemokratin aus Deutschland, ein Sozialist aus Portugal und eine Liberale aus Estland. Es sieht auch so aus, als stimme nach den schwierigen Jahren mit Michel und Borrell endlich wieder die Chemie zwischen den EU-Spitzen.

Ein Portugiese als Brückenbauer

Mit Blick auf die gegenwärtigen Turbulenzen in Europa ist das von Vorteil. Costa pflegt in Brüssel gute Arbeitsbeziehungen zu allen Staats- und Regierungschefs, einschliesslich des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Im Gegensatz zum Belgier Michel, dem viele vorwarfen, eher die eigene Karriere als das Wohl der EU im Auge zu haben, wird von Costa erwartet, dass er den Europäischen Rat selbstloser vertritt.

Der Portugiese gilt als «politisches Tier». Er verstehe sich darauf, komplizierte Koalitionen zu schmieden; in seiner Heimat wird ihm nachgesagt, «chronischen Optimismus» zu verbreiten. Inwieweit der 62-jährige Mitte-links-Politiker in einem spürbar nach rechts gerückten Europa bereit sein wird, auch in Verteidigungs- und Migrationsfragen härtere Positionen mitzutragen, ist die Frage. Beide Politikfelder gehören nicht zu seinen Stärken.

Ein Falke aus dem Baltikum

Der Estin Kallas eilt ein anderer Ruf voraus. Die designierte EU-Aussenbeauftragte unterstützt so entschieden die Ukraine und kritisiert so vehement den Kreml, dass Spötter meinen, die 47-Jährige verspeise morgens Russen zum Frühstück. Nicht überraschend enthielten sich bei der Abstimmung über ihre Nominierung der ungarische Regierungschef Orban und sein slowakischer Amtskollege Robert Fico. Die Personalie, meinten sie, könnte Moskau nur unnötig provozieren.

Kallas ist in Russland zur Fahndung ausgeschrieben. Davon lässt sich die Baltin aber nicht einschüchtern. Eher ist zu erwarten, dass die künftige Chefdiplomatin auf mehr Härte gegen Putin, mehr Sanktionen und Aufrüstung setzt. Selbstverständlich muss Kallas den Blick weiten und sich auch mit anderen Regionen wie dem Nahen Osten und Afrika befassen. Und schliesslich muss sie Empathie für die südlichen Mitgliedstaaten aufbringen, für die der Ukraine-Krieg weit weniger präsent und bedrohlich ist als für ihr Land oder die östlichen Staaten der Union.

Stabilität mit von der Leyen

Was steht der EU bevor? Auf lange Sicht dominiert zunächst der Konflikt mit Russland, womöglich auch die Gefahr einer militärischen Konfrontation. Dann die Aussicht auf eine zweite Präsidentschaft Donald Trumps, der die transnationale Zusammenarbeit schwächen will. Und schliesslich – in viel näherer Zukunft – steht ein politisches Erdbeben in Frankreich bevor, falls das rechtsnationale Rassemblement national von Marine Le Pen bei der Wahl zur Nationalversammlung triumphieren sollte.

Präsident Emmanuel Macron, der bisher ein Antreiber in der EU war, ist schon jetzt geschwächt. Bald könnte er in Brüssel ganz ausfallen, zerrieben in innenpolitischen Machtkämpfen mit einer radikalen Rechten, die völlig andere Vorstellungen von Europa hat.

In dieser Lage erscheint von der Leyen plötzlich wie ein Stabilitätsanker. Macron hatte sie noch vor einigen Wochen zu torpedieren versucht, aber seine Stimme zählt nicht mehr. Die Kommissionschefin muss am 18. Juli vom EU-Parlament bestätigt werden (mit mindestens 361 von 720 Stimmen), das gilt derzeit als sehr wahrscheinlich. Danach soll in Brüssel alles seinen geregelten Gang gehen und die Agenda für den nächsten politischen Zyklus vorbereitet werden.

Mehr Professionalität?

Die Präsidentschaft in der Kommission ist der mit Abstand wichtigste Posten, den die EU zu vergeben hat. Von der Leyen schaffte es in den vergangenen Jahren, das Amt noch weiter aufzuwerten, indem sie während der Pandemie und nach Ausbruch des Ukraine-Krieges ein geschicktes Krisenmanagement betrieb. Erst kürzlich kürte das amerikanische Wirtschaftsmagazin «Forbes» die 65-jährige Deutsche deswegen erneut zur «mächtigsten Frau der Welt».

Zu beobachten war, dass dieser informelle Machtzuwachs von der Leyen nicht ohne Reibereien, namentlich mit dem eifersüchtigen Rats-Chef Michel, einherging. Dieser wollte sich nicht damit begnügen, nur EU-Gipfel zu organisieren und global keine Rolle zu spielen. Sein Nachfolger Costa braucht diese Selbstbestätigung offensichtlich nicht mehr.

Professioneller als ihr Vorgänger Borrell, der sich zahlreiche Fehltritte leistete, dürfte auch Kallas ans Werk gehen, die politisch mit von der Leyen an einem Strang zieht. Zwei «eiserne Ladys» und ein Versöhner, sozusagen ein Trio mit vier Fäusten, das könnte funktionieren.

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