Freitag, Oktober 18

Der englische Fussballverband hat das Engagement am Mittwochmorgen bestätigt. Tuchel erwarb sich im Chelsea FC einen exzellenten Ruf – nun soll er die talentierteste Generation englischer Spieler seit 20 Jahren zu einem Titel führen.

Ein Deutscher als englischer Fussball-Nationaltrainer – das klingt auf den ersten Blick fast so wesensfremd wie der Titel von Mark Twains Satire: «Ein Yankee am Hofe des Königs Artus». Denn wenn es etwas gibt, was im Fussball Bestand hat, dann ist es die Rivalität zwischen Engländern und Deutschen.

Es muss also schon ein spezieller Trainer sein, für den sich Offizielle wie Anhänger erwärmen konnten; am Mittwochmorgen bestätigte der englische Fussballverband (FA) die Übereinkunft. Und genau das ist Thomas Tuchel, 51 Jahre alt, ehemals Trainer bei Bayern München, dem FC Chelsea und Paris Saint-Germain.

Tuchel hatte an vielen Stationen Erfolg

Eine Karriere, die durchaus eindrucksvoll ist, denn der Name Tuchel garantiert in der Regel Erfolg: Nie war das Starensemble aus Paris besser als unter ihm – im Final der Champions League unterlag es nur knapp dem FC Bayern. Den FC Chelsea übernahm er in einer Krise und führte ihn 2021 auf Anhieb zum Champions-League-Sieg. Dass er im FC Bayern, in dem er bis zum Ende vergangener Saison unter Vertrag stand, Probleme bekam, ist insofern normal, als es nahezu jedem Trainer dort so ergeht. Dass es sich um einen Fachmann von höchster Qualität handelt, wird aber auch in München niemand bestreiten.

Dennoch haftet dem 51-Jährigen ein sehr spezieller Ruf an. Tuchel ist nicht nur anspruchsvoll, sondern geradezu kompromisslos, was bisweilen irritiert. Borussia Dortmund brachte er auf Vordermann, aber er zerstritt sich mit etlichen Menschen im Klub, die etwas mehr zu sagen hatten. Im FC Bayern irritierte die bisweilen herzerfrischend offene Kommunikation, mit der Tuchel bereitwillig Auskunft zu allem und jedem gab, was in dem Verein nicht unbedingt gut ankam.

Dass er nun in England die Three Lions als Nachfolger von Gareth Southgate übernehmen wird, liegt an dem hervorragenden Ruf, den er sich als Trainer des FC Chelsea erworben hat. Kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges geriet der Klub wegen seines damaligen russischen Eigentümers Roman Abramowitsch unter enormen Druck. Der Verein war stark mit Sanktionen belegt wegen seines russischen Eigentümers, Tuchel aber blieb. Sein Spruch auf einer Pressekonferenz ist legendär: Wenn nichts mehr helfe, würde er zur Not auch einen Kleinbus fahren.

Einst coachte er sein Vorbild Guardiola aus

Humor im Angesicht der Krise: Das wurde als umso eindrücklicher empfunden, als Tuchel ein Dreivierteljahr zuvor den wohl grössten Erfolg der Klubgeschichte errungen hatte: Als Aussenseiter setzten sich die zuvor krisengeschüttelten Londoner gegen Manchester City durch – das Team, das von Tuchels Idol Josep Guardiola trainiert wird. Die einstige Bewunderung für das Mastermind aus Katalonien ist einer Mischung aus professionellem Respekt und Rivalität gewichen. Und im Final zerbrach sich der Coach des Favoriten so lange den Kopf, bis er einen entscheidenden Fehler beging und seinen besten Spieler, den Spanier Rodri, aussen vor liess.

Ob das Nationalteam Englands für Tuchel ein Ort für taktische Finessen sein wird, muss sich weisen. Tatsächlich aber bekommt es Tuchel mit der talentiertesten Generation englischer Spieler seit 20 Jahren zu tun. Dass ihm grössere Chancen zugebilligt werden als seinem Vorgänger Southgate, liegt indes nicht an der Bilanz des Vorgängers, die mit zwei EM-Finalteilnahmen gewiss nicht schlecht ist. Im Gegensatz zum bedächtigen Southgate aber, der seine Weisheiten oft mit seiner notorischen Magenbittermiene verkündete, wirkt Tuchel geradezu erfrischend, zupackend und jovial. Dass er auch anders kann, weiss man in England nicht so sehr wie in Deutschland. Der britische Boulevard darf sich freuen.

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