Der Italiener gewinnt den US-Open-Final gegen Taylor Fritz in 6:3, 6:4, 7:5. Die Amerikaner müssen weiter auf den ersten einheimischen Sieger seit Andy Roddick warten.
Ziemlich genau zwei Jahre sind vergangen, seit Roger Federer das Racket aus der Hand gelegt hat. Doch das Vermächtnis des Baselbieters ist derart gross, dass man ihm trotzdem immer wieder begegnet. Auch beim US Open in New York war Federer in den vergangenen zwei Wochen präsent. Wenn auch vor allem als statistische Randnotiz. Mit fünf Titeln zwischen 2005 und 2008 ist er gemeinsam mit Jimmy Connors und Pete Sampras weiterhin Rekordsieger in der Open-Ära, die 1968 mit der Öffnung der Turniere für professionelle Spieler begann. Er ist aber auch jener Spieler, der 2008 im Final den letzten amerikanischen Sieg am US Open verhindert hatte.
Andy Roddick war 2003 der letzte amerikanische Sieger in New York
Connors und Sampras prägten die Zeitrechnung vor Federer. Es war die Zeit, als die Amerikaner dem Tenniszirkus ihren Stempel aufdrückten. Zu Beginn der 1990er Jahre hatten sie mit Ivan Lendl, Brad Gilbert, John McEnroe, Michael Chang, Aaron Krickstein, Andre Agassi und Jay Berger gleich sieben Spieler in den Top Ten.
Doch dann kam der Bruch. Andy Roddick gewann das US Open 2003 als letzter Amerikaner und weckte damals die Hoffnung, der nächste amerikanische Dominator auf der Tennis-Tour zu werden. 2006 erreichte er in New York noch einmal den Final gegen Federer. Wer weiss, was aus Roddicks Karriere geworden wäre, wenn ihm der Baselbieter nicht immer wieder im Weg gestanden hätte. Roddicks Bilanz gegen diesen muss man schon fast als Desaster bezeichnen. Er gewann nur gerade 3 von 24 Duellen. Vier dieser Niederlagen erlitt Roddick jeweils im Final eines Major-Turniers. Neben jenem 2006 in New York verlor er auch noch drei in Wimbledon (2004, 2005, 2009).
2012 am US Open trat Andy Roddick zurück. Seither warten die Amerikaner bei den Männern vergeblich auf einen neuen Major-Sieger. Taylor Fritz gilt bereits seit längerem als einer der vielversprechendsten der vielen Nachfolger, die Agassi, Sampras und Co. bereits gehabt haben. Doch bis zum diesjährigen US Open war er an den vier Major-Turnieren noch nie über die Viertelfinals hinausgekommen. Seit 2015 auf der Profi-Tour, hat er in neun Jahren bisher erst acht Turniere gewonnen. Im Ranking stiess er vor einem Jahr bis auf Platz 5 vor. Momentan ist er die Nummer 12 der Welt.
Mit 26 Jahren gehört Fritz nicht mehr zur wirklich neuen Generation. Trotzdem muss er weiter auf seinen ersten grossen Titel warten. Vor dem Final hatte er zwar noch zuversichtlich gesagt, er sei überzeugt, dass er Sinner Probleme bereiten könne: «Ich habe es immer genossen, gegen ihn zu spielen. Und wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass der Match schwieriger wird als der Halbfinal gegen Frances Tiafoe. Wenn ich mein Tennis spiele, dann ist das gut genug, um ihn zu schlagen.»
Das ist das sprichwörtliche Selbstbewusstsein, das die Amerikaner auszeichnet. Aber mit diesem allein gewinnt man keine Turniere, schon gar nicht in einem Final gegen Jannik Sinner. Fritz zeigte zu lange zu viele Schwächen, um den Shootingstar der laufenden Saison in ernsthafte Bedrängnis zu bringen. Dass er durchaus Potenzial hat, zeigte er im dritten Satz, als der Match bereits mehr oder weniger verloren schien.
Mit einem Break überraschte er Sinner. Die knapp 24 000 Zuschauer in der grössten Tennisarena der Welt witterten eine neue Chance und begannen, sich ins Spiel einzumischen, wie es praktisch nur das New Yorker Publikum tut. Sie versuchten, Sinner mit Zwischenrufen und Applaus zur Unzeit zu stören. Und tatsächlich zeigte er vorübergehend Schwächen. Doch beim Stande von 4:5 gelang ihm das Rebreak. Und danach gab er bis zum Ende des Matchs kein Game mehr ab.
Ähnlich wie jenes von Andy Roddick, der unter den Zuschauern auf der Tribüne sass, basiert auch das Spiel von Taylor Fritz vor allem auf einem hervorragenden ersten Service. Doch trägt ihn dieser nicht, dann wird es schwierig. Sinner fand auf alles, was der Amerikaner versuchte, eine Antwort. Nach 2:15 Stunden beendete er den Match mit seinem ersten Matchball und hob die Hände zum Jubel in die Höhe. Kurz darauf bekam er den US-Open-Pokal aus den Händen von Andre Agassi, einem anderen Amerikaner, der in New York 1994 und 1999 zweimal gewonnen hatte, überreicht.
Seit Januar im Hoch
Jannik Sinners Hoch begann im Januar am Australian Open, wo er im Final gegen den Russen Daniil Medwedew seinen ersten Major-Titel geholt hat. Nun gewinnt er als erster Italiener auch das US Open und auch das zweite Grand-Slam-Turnier auf Hartplatz der Saison. In Paris und Wimbledon gewann sein grosser spanischer Gegenspieler Carlos Alcaraz.
Seither eilt er von Erfolg zu Erfolg. Der Sieg am US Open ist bereits sein 16. Turniersieg, der sechste im laufenden Jahr. Dabei ist der Südtiroler am 16. August erst 23 Jahre alt geworden. Seit Anfang Juni führt er die Weltrangliste an. Mit dem zweiten Major-Titel in der laufenden Saison baut er seinen Vorsprung im Ranking auf den Deutschen Alexander Zverev, der diesen Montag erstmals als Nummer 2 geführt werden wird, auf über 4000 Punkte oder den Gegenwert von zwei Major-Siegen aus.
Überschattet werden seine Erfolge von den beiden positiven Doping-Tests. Im Frühjahr in Indian Wells und ein paar Wochen später im Training war er zweimal positiv auf das Steroid Clostebol getestet worden. Die International Tennis Integrity Agency (Itia), die entsprechende Fälle untersucht und ahndet, sperrte Sinner daraufhin vorsorglich. Doch ein unabhängiges Gericht hob diese Sperre umgehend wieder auf. Die Rekursfrist gegen das Urteil ist am Samstag abgelaufen. Ob die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) beim Internationalen Sportgericht in Lausanne Einsprache eingereicht hat, war bis am Sonntagabend nicht bekannt.
Sinner sagte bei seiner Sieger-Rede auf dem Platz, die vergangenen Wochen seien für ihn nicht einfach gewesen. Deshalb bedeute ihm dieser Titel enorm viel. Er bedankte sich zuerst bei all jenen, die ihn unterstützt hätten. Dann widmet er diesen jüngsten Erfolg seiner Tante zu Hause in Italien, die schwer erkrankt sei und in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt habe.
In seinen Augenwinkeln sammelten sich ein paar Tränen, die selbst das abgebrühte New Yorker Publikum nicht kalt liessen. Aller Widerwärtigkeiten zum Trotz hat er damit bestimmt auch den einen oder anderen Sympathiepunkt zurückgeholt, den er mit den Doping-Vorwürfen verloren haben dürfte. Mindestens so wichtig aber dürfte der Siegercheck von 3,6 Millionen US-Dollar gewesen sein, die er für den Sieg erhalten hat. Auch das ist ein Rekord an Major-Turnieren.