Sonntag, September 8

Republikaner und Demokraten haben sich weitgehend auf eine verschärfte Migrationspolitik im Gegenzug für neue Ukraine-Gelder geeinigt. Aber nun will Donald Trump diese Lösung verhindern. Er fürchtet um eines seiner wichtigsten Wahlkampfthemen.

Seit Monaten führen Senatoren der beiden grossen Parteien harte Verhandlungen in Washington, um gleich zwei wichtige Probleme mit einem Kompromiss zu lösen: den Schutz der Südgrenze zu Mexiko vor illegal einreisenden Migranten und die Unterstützung der Ukrainer gegen die russischen Invasoren.

Noch nie haben amerikanische Grenzschützer im Süden so viele Migranten aufgegriffen wie unter dem demokratischen Präsidenten Joe Biden. Waren es unter Donald Trump im Jahr 2019 noch rund 1 Million, ist diese Zahl im vergangenen Fiskaljahr auf 2,5 Millionen angestiegen. Die Republikaner sprechen deshalb von einer «Invasion», die durch Bidens lasche Einwanderungspolitik begünstigt werde. Als der Präsident im vergangenen Sommer vom Kongress neue Milliardenhilfen für die Ukraine forderte, machten die Konservativen deshalb klar: Mehr Geld zum Schutz der ukrainischen Grenze gibt es nur, wenn auch das eigene Staatsgebiet besser gegen illegal einwandernde Migranten verteidigt wird.

«Dramatischer Wandel» der Einwanderungspolitik

Im Oktober legte Präsident Joe Biden dem Kongress deshalb ein Ausgabenpaket vor, das die beiden Politikfelder miteinander verknüpfte. Gemäss diesem sollte Kiew mit rund 60 Milliarden Dollar, Israel mit 14 Milliarden Dollar und der eigene Grenzschutz mit ebenfalls 14 Milliarden Dollar unterstützt werden. Doch die Republikaner wollten nicht einfach mehr Geld ausgeben. Ihr Speaker im Repräsentantenhaus, Mike Johnson, verlangte einen «tiefgreifenden Wandel» der Migrationsgesetze im Gegenzug für die Unterstützung der Ukraine.

Die illegalen Grenzübertritte haben unter Biden stark zugenommen

Zahl der monatlichen Aufgriffe an der Südgrenze der USA

1

20. 1. 2017: Donald Trump wird Präsident.

2

20. 3. 2020: Die Pandemieregelung «Title 42» tritt in Kraft.

3

20. 1. 2021: Joe Biden übernimmt die Präsidentschaft.

4

11. 5. 2023: «Title 42» läuft aus, stattdessen beginnt Bidens Grenzregime.

Nach äusserst schwierigen Verhandlungen scheint in der kleinen Parlamentskammer nun tatsächlich ein Kompromiss erzielt worden zu sein. «Wir haben ein parteiübergreifendes Abkommen», erklärte der demokratische Senator Chris Murphy gegenüber CNN am Sonntag. Der Gesetzestext müsse nur noch finalisiert werden. Es gehe darum, letzte Aspekte zu klären, meinte auch der republikanische Verhandlungsführer James Lankford gegenüber CBS. Offenbar erfüllt die Einigung wichtige Forderungen der Republikaner. Sie werde zu einem «dramatischen Wandel» der Einwanderungspolitik führen, sagte Senator Lankford.

Noch ist der Text der Gesetzesvorlage nicht veröffentlicht. Gemäss Lankford soll der Präsident aber unter anderem die Möglichkeit erhalten, die Bearbeitung von Asylanträgen an der Grenze einzustellen, wenn die tägliche Zahl der aufgegriffenen Migranten im Schnitt mehr als 5000 Personen beträgt. Die illegal Einwandernden würden dann umgehend nach Mexiko zurückgeschickt, anstatt dass sie nach einem kurzen Arrest und einer ungenügenden Überprüfung mit einem jahrelangen Asylverfahren ins Land gelassen werden. Zurzeit fertigen die Grenzschützer bis zu 10 000 Migranten pro Tag ab.

Im Grunde wäre die von Lankford beschriebene Praxis eine Rückkehr zu einer Politik, die Trump zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 angeordnet hatte. Zudem soll der Kompromiss auch das Kriterium für die Zulassung zu einem Asylverfahren verschärfen und zusätzliche Gelder für Ausschaffungen vorsehen. Das seien alles Dinge, die Trump als Präsident vom Kongress gefordert habe, betonte Lankford am Sonntag. Und nun steht auch Biden, der im Wahlkampf noch eine «humanere» Einwanderungspolitik versprochen hatte, hinter diesen Verschärfungen. «Wenn dieser Entwurf bereits Gesetz wäre, würde ich die Grenze sofort schliessen», sagte der amerikanische Präsident am Wochenende.

Speaker Johnson will den Kompromiss begraben

Nun allerdings torpedieren Trump und seine Verbündeten im Kongress die Einigung. Sie wäre bloss «ein Geschenk» für die Demokraten, erklärte der republikanische Präsidentschaftsbewerber vergangene Woche. «Als Anführer unserer Partei werde ich diesen schrecklichen Betrug an Amerika keinesfalls unterstützen», unterstrich Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Nevada am Samstag. Wenn Biden die Grenze wirklich schliessen möchte, brauche er gar keine neuen Kompetenzen. Er selbst habe es als Präsident ohne ein neues Gesetz geschafft, die Migration unter Kontrolle zu bringen.

Noch bevor die letzten Details geklärt sind, bezeichnete auch Speaker Johnson den Kompromiss als «tot». Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses steht in engem Kontakt mit Trump und gilt als einer seiner loyalsten Anhänger. Als Speaker kann er darüber entscheiden, welche Vorlagen in der grossen Parlamentskammer zur Abstimmung kommen. Bleibt er bei seiner Meinung, hat die vom Senat erzielte Einigung kaum eine Chance im Repräsentantenhaus.

Die illegale Migration zählt angesichts des grossen Zustroms an der Südgrenze derzeit zu den grössten Sorgen der amerikanischen Wähler. Und gemäss Umfragen trauen sie den Republikanern und insbesondere Trump eher zu, dieses Problem zu bewältigen. Deshalb scheinen Trump und viele seiner Anhänger in der Republikanischen Partei kein Interesse zu haben, Biden bei der Lösung zu helfen. Sie hoffen insgeheim auf anhaltend hohe Migrationsströme, um damit ihre Wähler zu mobilisieren. Die Einwanderer würden «das Blut unseres Landes vergiften», sagte Trump bei einem Wahlkampfauftritt im Dezember.

Zu dieser Taktik passt auch das am Dienstag im Repräsentantenhaus mit einer Anhörung vorangetriebene Amtsenthebungsverfahren gegen Alejandro Mayorkas, den für den Grenzschutz zuständigen Minister. Die Republikaner werfen ihm vor, mit einer mangelhaften Anwendung der geltenden Einwanderungsgesetze die derzeitige Migrationskrise mitverursacht zu haben. Rechtsexperten sind sich einig, dass blosses Missmanagement noch kein Impeachment rechtfertigt. Doch den Konservativen scheint es mit dem Verfahren vor allem darum zu gehen, bis zu den Wahlen im Herbst mit dem Thema für weitere Schlagzeilen zu sorgen.

Besonders für die Ukrainer sind dies schlechte Nachrichten. Ihre Aussichten auf neue Waffen und Gelder aus Washington sehen düster aus. Aber eine Niederlage für Kiew scheint Trump mit Blick auf einen persönlichen Wahlsieg im Herbst derzeit als Kollateralschaden in Kauf zu nehmen.

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