Die weltweiten Rüstungsausgaben sind 2024 um etwa 7 Prozent gewachsen. Doch gemessen an den Zahlen haben die Schweizer Exporteure davon nichts gemerkt.
Der Rüstungswettlauf ist in vollem Gang. Drei Namen dazu: Putin, Xi und Trump. Der Letztgenannte hat Europa an eine unangenehme Wahrheit erinnert: Europa ist nackt und fährt Trittbrett. Das amerikanische Trittbrett scheint wegzubrechen, in Europa ist deshalb Panik ausgebrochen.
Eine Illustration des Rüstungswettlaufs liefern die Aktienmärkte. Ein globaler branchenübergreifender Aktienfonds brachte in den letzten zwölf Monaten eine Rendite von etwa 8 Prozent ein – mit einem globalen Indexzertifikat für Rüstungsaktien konnte man im gleichen Zeitraum sogar etwa 40 Prozent verdienen.
Schon die letzten Jahre brachten einen massiven Anstieg der Armeeausgaben. Laut EU-Angaben haben die Mitgliedländer ihre Verteidigungsausgaben von 2021 bis 2024 um über 30 Prozent erhöht. Im Mittel beliefen sich diese Kosten 2024 auf 1,9 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP). Das lag nahe beim einstigen Nato-Zielwert von 2 Prozent. Doch nun sind weit höhere Zielwerte zu hören – etwa 3 Prozent, 3,5 Prozent oder noch mehr. Trump redet gar von 5 Prozent. An diese Zahl glaubt zwar kaum jemand, aber mit einem weiteren Rüstungsschub ist zu rechnen. Was das für die Schweiz bedeuten wird, die nach derzeitigem Fahrplan nur schon eine Marke von 1 Prozent offiziell erst 2032 erreichen wird, will man sich noch gar nicht ausmalen.
Verlust an Marktanteilen
Gemäss dem International Institute for Strategic Studies sind die globalen Rüstungsausgaben 2024 teuerungsbereinigt um über 7 Prozent gestiegen; in Europa betrug der Anstieg sogar fast 12 Prozent. Doch die Schweizer Rüstungsexporteure scheinen davon nichts zu spüren. Darauf deuten die Zahlen, die das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Dienstag vorgelegt hat. Laut diesen Daten sind 2024 die Schweizer Rüstungsexporte im Vorjahresvergleich nominal um knapp 5 Prozent geschrumpft – auf rund 665 Millionen Franken.
Das Ausfuhrvolumen lag gut 30 Prozent unter dem Spitzenwert von 2022. Jenes Jahr war allerdings durch einen Sondereffekt geprägt; der Schweizer Ableger der deutschen Rheinmetall-Gruppe konnte Flugabwehrsysteme nach Katar verkaufen, zum Schutz der Fussballstadien während der Fussball-WM. Die Exporte nach Katar machten 2022 total über 200 Millionen Franken aus. Doch selbst im Vergleich mit 2021 waren die Schweizer Rüstungsexporte 2024 deutlich tiefer – um nominal knapp 11 Prozent und teuerungsbereinigt wohl noch um einiges mehr.
Über 80 Prozent der Schweizer Rüstungsexporte gingen im vergangenen Jahr nach Europa. Mit Abstand wichtigster Abnehmer von Schweizer Kriegsmaterial war Deutschland, mit einem Anteil von gut 30 Prozent. Die Deutschen kauften von den Schweizern namentlich Munition, gepanzerte Radfahrzeuge und deren Bestandteile, Bestandteile von Flugabwehrsystemen sowie Handfeuerwaffen. Hinter Deutschland folgten als wichtigste Absatzmärkte die USA, Italien, Schweden und Rumänien.
Der Schweizer Exportrückgang trotz globalem Rüstungsboom legt eine Frage nahe: Schlägt die enge Auslegung der Neutralität nun in den Exportstatistiken durch? Die Schweiz verbietet Käufern von Schweizer Gütern deren Weitergabe an die Ukraine. Das Seco gab sich am Dienstag vor den Medien noch zurückhaltend: Wegen einzelner grosser Geschäfte könnten die Exportzahlen von Jahr zu Jahr stark schwanken. Zudem seien grössere Geschäfte oft langfristig vorbereitet, weshalb sich wachsende Zweifel europäischer Länder an der Verlässlichkeit von Schweizer Rüstungslieferanten möglicherweise erst mittelfristig stark auswirkten.
Die Schweizer Rüstungsausfuhren nach Europa lagen 2024 nominal etwa 1 Prozent höher als im Vorjahr. Teuerungsbereinigt schaute vielleicht eine schwarze oder rote Null heraus. Das ist kein Einbruch, doch im Vergleich zum europäischen Marktwachstum bedeutet das eine deutliche Einbusse des Marktanteils. Die Schweizer Restriktionen sorgen jedenfalls in der hiesigen Rüstungsbranche für grosse Unruhe. Auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin musste dies im vergangenen Dezember bei seinem Austausch mit der Branche zur Kenntnis nehmen.
Ausweichmanöver
Die Anbieter reagieren auf den Rückgang der Schweizer Verlässlichkeit. So sind laut Seco bei den Ausfuhren Verlagerungen von Gesamtsystemen zu Baugruppen und Einzelteilen festzustellen. Solange Schweizer Komponenten weniger als 50 Prozent des Gesamtwerts des Endprodukts ausmachen, braucht es laut Seco für die Käufer des Endprodukts keine Schweizer Bewilligung für die Weitergabe des Produkts an Drittländer. Gemäss den Angaben vom Dienstag entfiel im vergangenen Jahr etwa die Hälfte der Gesamtausfuhren auf Komponenten, was einem deutlichen Plus gegenüber dem Vorjahr entspreche. Für eine statistisch verlässliche Aussage über einen Trend sei es aber noch zu früh.
Aus sicherheitspolitischer Sicht wäre der stärkere Fokus auf Produkteteile statt Gesamtsysteme unerfreulich, wie Seco-Vertreter andeuten. Die Breite des Know-how im Inland nehme tendenziell ab, und dies könne im internationalen Standortwettbewerb künftig von Nachteil sein – vor allem dann, wenn das Wachstum des Gesamtmarkts abnehme und nicht mehr alle Standorte gut ausgelastet seien.
Ein mögliches Beispiel liefert die Mowag im Kanton Thurgau. Das Unternehmen stellt namentlich gepanzerte Radfahrzeuge her; seine Piranha-Fahrzeuge gehören zu den erfolgreichen Exportprodukten der Schweizer Rüstungsindustrie. Die Mowag hat öffentlich vor den Standortnachteilen als Folge der restriktiven Schweizer Politik gewarnt. Das Unternehmen gehört zum amerikanischen Konzern General Dynamics und steht damit auch konzernintern in einem Standortwettbewerb.
Lockerungsversuche im Parlament
Das Parlament ringt seit längerem um eine Lockerung des Wiederausfuhrverbots. Die diskutierte Lockerung könnte man in gewissen Varianten als «Lex Ukraine» bezeichnen, doch es geht auch um die Stärkung der Verlässlichkeit für künftige Fälle. Eine parlamentarische Initiative von 2023 dazu steckt derzeit in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats.
Zur Diskussion steht zudem auch die Idee, dem Bundesrat die Kompetenz zu geben, bei ausserordentlichen Umständen von den generellen Bewilligungskriterien für Auslandsgeschäfte abzuweichen. Der Bundesrat hat im Februar aufgrund eines Parlamentsauftrags seine Botschaft für eine entsprechende Gesetzesänderung ans Parlament geschickt. Ein linkes Referendum gegen eine solche Gesetzesänderung wäre aber gut möglich. So wird unter Umständen das Volk entscheiden.